ZWANZIG

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Ellens Sicht

Als wir vor meiner Bürotür ankommen, will Paul gerade die Klinke herunter drücken, als ich meine Hand auf seine lege und ihn somit stoppe. Meine Wut, die gerade noch so sehr in mir brodelte, ist im Moment zumindest, fast verraucht. Ich spüre jetzt selber eine unbändige Angst davor, Dir wieder gegenüber zu treten, diese riesengroße Mauer aus Angst noch immer zwischen uns zu haben, Dir nicht nahe sein zu können, oder dass Du mich wieder weg stößt. Auch wenn ich natürlich eigentlich weiß, dass Du das gerade nicht bewusst machst, trifft es mich so sehr, dass ich manchmal Realität nicht mehr von Sorge um Dich unterscheiden kann.

Genau diese Sorge lässt mich so unsicher werden, dass ich mich gerade total hilflos fühle. Ein Gefühl, welches ich im Normalfall in keiner einzigen Sekunde an mich heran kommen lasse, aber wenn es um Dich geht, ist mein Körper anscheinend nicht mehr in der Lage, diese starke Seite ständig aufrecht zu erhalten. Unsicher blicke ich Paul an, als er mich schon in seine Arme nimmt und mir damit Kraft, Mut und Zuversicht schenkt. Nach kurzer Zeit atme ich tief durch und löse mich sanft aus seiner Umarmung. „Ihr schafft das zusammen" murmelt er mir zu, legt seine Hand auf meine Schulter und drückt diese sanft. „Danke Dir" murmele ich und drehe mich wieder zur Tür. Meiner Tür, hinter der Du hoffentlich gerade auf mich wartest. Mit laut klopfendem Herzen drücke ich die Klinke herunter und die Tür öffnet sich langsam.

Thomas springt uns förmlich entgegen, als wir zwei durch die Tür treten und deutet uns mit seinem Finger an den Lippen an, dass wir bitte leise sein sollen. Meine Augen springen sofort zu Dir und ich sehe, dass Du ruhig auf der Couch liegst und schläfst. „Ich musste ihr ein leichtes Beruhigungsmittel geben, sie wird jetzt für eine Weile schlafen" meint er an mich gewandt. „Kann ich zu ihr?" frage ich ihn und er nickt mir zu. Langsam setze ich mich neben Dich, streichele Dir sanft übers Haar und über Dein Gesicht. Deine Augen sind geschlossen, unter meiner Berührung bewegen sie sich jedoch etwas hin und her und ein leichtes Lächeln bildet sich auf Deinen Lippen. Hauchzart drücke ich meine Lippen auf Deine und flüstere Dir zu, wie sehr ich Dich liebe, versinke in Deinem Anblick und spüre ein kleines bisschen, dass sich Hoffnung, Zuversicht und Liebe wieder in meinen Gedanken Platz und Raum suchen.

„Ich würde gerne mit ihr nach Hause fahren, ist das in Ordnung?" spreche ich Thomas an, der vertieft in einem Gespräch mit Paul ist. Sanft dreht er seinen Kopf in meine Richtung und schaut mir ruhig in meine Augen. „Ja, das ist wohl das Beste im Moment. Ihr braucht beide Ruhe und Abstand nach der Sache. Sie wird wohl lange schlafen, und Du solltest Dir auch unbedingt Ruhe gönnen, Ellen" meint er zu mir und kommt langsam zu mir. „Wenn irgend etwas ist, ruf mich bitte sofort an, ich bin für Euch Beide jederzeit da, in Ordnung?" ergänzt er und schaut mir dabei energisch in die Augen. „Das gilt im Übrigen auch für mich" meint Paul aus dem Hintergrund. „Danke, ihr zwei seit die Besten" antworte ich Ihnen und drehe mich wieder zu Dir. Wie ruhig Du jetzt schläfst, liebevoll streichele ich Dir über Deine Hand. „Helft ihr mir bitte, sie zu meinem Wagen zu bringen?" frage ich die Beiden und beide nicken. Paul kommt zur Couch, hebt meine Prinzessin mit Leichtigkeit an und zusammen gehen wir vier zu meinem alten Mercedes. Sanft legt er sie auf den Rücksitz in meine Arme und fährt uns dann gemächlich zu mir nach Hause, während Thomas in Pauls Wagen hinter uns her fährt.

Als wir in meiner Einfahrt halten, holt Paul Nora wieder aus meinem Wagen heraus, trägt sie bis in mein Haus hinein und legt sie in mein Bett. Als er wieder gehen will, halte ich ihn noch kurz auf. „Ich danke Euch wirklich so sehr, dass Ihr Beide uns heute so geholfen habt. Wenn irgendwas ist, Du etwas Neues weißt, melde Dich bitte bei mir. Ansonsten melde ich mich später bei Euch, wenn wir wach sind, okay?" frage ich ihn und sehe ihm nochmal in seine nun müde blickenden Augen. „Geht klar Ellen" antwortet er und drückt mich nochmal, bevor er geht. Seufzend schließe ich die Tür hinter ihm und bin nun mit dieser Stille um mich herum allein. Leise gehe ich nochmal nach Dir schauen, Du schläfst immer noch friedlich und ich beginne, Dich von Deinen Klamotten und Schuhen zu befreien, decke Dich liebevoll zu und küsse Dich nochmal sanft auf Deine Stirn. Wieder bildet sich ein leichtes Lächeln auf Deinen Lippen und ich beginne leise aufzuschluchzen, bevor ich mich in die Küche begebe, um mir noch einen Tee zu machen.

Während das Wasser vor sich hin kocht und ich mir eine Tasse aus dem Schrank nehme und einen Teebeutel hinein hänge, beginnen meine Gedanken im Kreis zu rennen und nehmen mir sämtliche Selbstkontrolle. Ich beginne zu weinen, zu schluchzen, zu zittern und halte mich an der Kante meiner Arbeitsfläche fest. Ich bin so in meinen Emotionen gefangen, dass ich große Mühe habe, nicht durchzudrehen. Immer wieder sehe ich abwechselnd Dich, wie Du mir in Deinem Schock eiskalt und ohne Regung entgegen blickst, und ihn, mit seinem fiesen Grinsen vor mir. Wie von Sinnen schlage ich meine Hände gegen die Wand, fluche leise vor mich hin, kann mich kaum kontrollieren.

Erst als mich Spritzer von heißem Wasser auf der Hand treffen, wache ich wieder auf und beruhige mich langsam wieder. Zitternd und aufgewühlt gieße ich das heiße Wasser in meine Tasse und stelle den Wasserkocher zur Seite. Mit meiner Tasse Tee setze ich mich an meinen Küchentisch und mir fällt etwas ein, was ich jetzt gerade wirklich ganz dringend brauche. Ich weiß, dass ich noch eine habe, sozusagen meine Notfallration. Leise gehe ich in mein Büro, schließe die Schublade meines Schreibtisches auf, nehme das kleine Päckchen heraus, als mein Blick auf einen unscheinbaren Karton fällt. Vorsichtig nehme ich ihn ebenfalls heraus und stelle ihn vor mir hin. Dich hatte ich ja schon total vergessen.
Ruhig hebe ich den Deckel ab und erblicke die Waffe meines Großvaters darin. Ich sehe mich nochmal um, ob nicht unbemerkt von mir, jemand hinter mir steht, und hole sie dann heraus.

Nehme sie in die Hand und kontrolliere, ob sie noch schussbereit ist. Sie fühlt sich so gut an in meiner Hand und mich durchläuft ein Gefühl von unglaublicher Selbstsicherheit, Gänsehaut legt sich auf meine Haut. Als ich feststelle, dass sie einwandfrei in Schuss ist, lege ich sie wieder zurück, kontrolliere kurz die Munition und schließe den Karton wieder. Tief atme ich durch, stelle den ihn wieder zurück an seinen Platz, verschließe die Schublade wieder und gehe mit dem kleinen Päckchen zurück in die Küche. Mit einem Lächeln und einem Gefühl von absoluter Klarheit nehme ich mir die letzte Zigarette aus dem Päckchen und zünde sie an. Es fühlt sich plötzlich wieder so sicher an in mir. Ich bin wieder zurück, bei mir.
Während ich voller Genuß meine Zigarette auf rauche, trinke ich meinen Tee aus und verschwinde noch kurz ins Bad.

Frisch geduscht und mit geputzten Zähnen lege ich mich neben Dich, ziehe Dich ganz vorsichtig an mich heran und genieße Deinen warmen Körper an meinem. Tief sauge ich Deinen Geruch in mir auf und küsse Dich sanft auf Deine Lippen, bevor ich innerhalb kürzester Zeit ins Traumland verschwinde.

Lost LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt