Ellens Sicht
Resolut straffe ich meine Schultern, räuspere mich und beginne Dir vor zu lesen, was ich Deinen Eltern geschrieben habe.
An meine mir unbekannten Schwiegereltern,
ich bin unsagbar glücklich darüber, dass ich Sie niemals kennen lernen darf und ganz ehrlich, seien Sie es auch. Denn wenn es anders gekommen wäre, gnade Ihnen Gott. Ich hätte Sie zur Rede gestellt bis sie kleiner als jeder Fingerhut dieser Welt gewesen wären und glauben Sie mir, dass kann ich. Ich bin nicht umsonst bei der Kripo und ich habe schon die härtesten Brocken unter meinem Verhör zusammen knicken sehen.
Wenn Sie dann am Boden gelegen hätten und um Gnade gewinselt hätten, wäre Ihnen meine ganze Ablehnung auf einmal entgegengekommen, darauf können Sie Gift nehmen. Und wenn Sie auch nur einen Blick oder gar ein Wort an Nora gewandt hätten, glauben Sie mir, dann hätten Sie sich gewünscht, tot zu sein. Dann hätten Sie mich kennengelernt, wie mich noch nie jemand erlebt hat. Ich mag der liebste Mensch der Welt sein, aber wenn jemand mein Glück beschädigt, dann werde ich zum Tier!
Sie wären nicht mehr lebensfähig gewesen! Sie verdienen es nicht anders, als von mir verachtet zu werden! Etwas anderes wäre mir nicht möglich gewesen. Ich bin schockiert darüber, wie Sie mit ihrer Tochter umgegangen sind. Niemand hat das Recht, so zu handeln wie Sie es getan haben. Ich bin fassungslos, ganz ehrlich. Warum haben Sie ihr Kind nie so genommen, wie es war? Warum haben Sie es vorgeführt? Warum haben Sie sie für Ihre Zwecke benutzt? Warum?? Was ist der Grund dafür?
Ich würde es wirklich gerne wissen? Denn ich habe keinerlei Antworten dafür und ich bin mir sicher, dass ich damit nicht allein bin. Und dass Sie es tatsächlich zugelassen haben, dass Ihr Sohn Nora regelmäßig verkloppt hat und Sie mit einem Lächeln daneben gestanden haben, schlägt dem Fass dem Boden aus. Ich finde keine Worte dafür, um auszudrücken, was in mir vorgeht. Ich fühle nur Ohnmacht, Wut und eine unendliche Traurigkeit. Warum ist Gewalt der einzige Weg für Sie gewesen?
Haben Sie selber keine Liebe erfahren, als Sie noch Kinder waren oder was in Gottes Namen hat Sie dazu getrieben, so mit Ihrem Kind umzugehen? Ihre Tochter Nora hatte überhaupt keine Chance, Ihnen zu entkommen. Sie haben Sie geschlagen, immer wieder? Warum? Erzählen Sie es mir! Warum haben Sie keinen anderen Weg gefunden, mit ihr umzugehen? Warum konnten Sie sie nicht lieben, wie es ein kleines Kind verdient? Warum konnten Sie ihr keinen Schutz geben, keine Geborgenheit, keine Sicherheit?
Was ist bei Ihnen passiert, dass es soweit kommen musste? Ich würde es gerne wissen, wirklich. Vielleicht könnte ich Sie dann zumindest ein bisschen verstehen, es irgendwie nachvollziehen, dass es soweit kommen konnte. Ihre Tochter ist dank Ihnen endgültig am Boden und weiß nicht mehr ein, noch aus. Doch wissen Sie was? Ich bin so unendlich glücklich mit ihr und ich werde ihr geben, was Sie nie konnten.Und ich bin so froh, dass Sie auf unserer Hochzeit nicht anwesend sein werden, ich hätte Sie auch nicht eingeladen, selbst wenn ich mir damit Ärger mit Ihrer Tochter eingehandelt hätte. Das wäre es mir wert gewesen! ICH werde Ihren Part ab sofort übernehmen, Ihrem Kind zeigen, was es bedeutet, geliebt und geachtet zu werden.
Vor allem werde ich Ihre Tochter glücklich machen und ich hoffe, dass Nora irgendwann dieses ganze Thema verarbeiten und vergessen kann und dann komplett aufatmen und glücklich werden kann.Für mich bleibt nichts anderes übrig, als Sie abgrundtief zu hassen. Dieses Gefühl ist mir bisher immer fremd gewesen, aber jetzt, genau in diesem Moment, kann ich nichts anderes zulassen.
Missachtende Grüße,
Ellen WinterLangsam lasse ich den Brief in meinen Händen sinken und atme tief durch. Stille legt sich über uns und ich drehe meinen Kopf zu Dir, sehe Dir in Deine Augen. Dunkel sehen Sie mir entgegen und ich spüre, wie Du mit Dir kämpfst. Vorsichtig nehme ich Deine Hand in meine und versuche Dir, so ein wenig Kraft zu geben. „Das hast Du gut ausgedrückt. Es stimmt mit meinem Gefühl komplett überein" murmelst Du leise.
„Danke" ergänzt Du leise, küsst mich hektisch und stehst auf, gehst zum Wasser und brichst dort heulend zusammen und schreist Dir die Seele aus dem Leib. Erschrocken sehe ich Dir hinterher, springe auf, renne die wenigen Schritte zu Dir und halte Dich in meinen Armen fest. „Lass es raus, aber bitte bleib bei mir" flüstere ich Dir in Dein Ohr, als Du langsam wieder etwas ruhiger wirst. Ich weiß, dass Du das gerade machen musst, auch wenn es mir mein Herz fast zerreißt, Dich so leiden zu sehen.
„Ich bin hier, Du bist nicht allein damit" sage ich Dir immer wieder, bis Du Dich schließlich in meine Arme fallen lässt und Dich an mir fest klammerst. „Komm, eins müssen wir noch machen, dann gehen wir wieder zurück" meine ich leise zu Dir und ziehe Dich mit mir hoch. Vollkommen entkräftet hängst Du Dich an mich, als wir wieder zurück zu unserer Decke gehen. „Ok...weißt Du was? Ich würde gerne diese Briefe hier verbrennen, als Symbol.
Ich möchte diese Schuld Deiner Eltern hier lassen, in der Weite, damit wir einen Abschluss finden. Was meinst Du? Ist das für Dich ein Weg?" fragst Du mich und ich stimme Dir leise zu. Ich habe sowieso keine Kraft mehr und bin Dir so dankbar, dass Du versuchst, mit all dem irgendwie klar zukommen. „Eigentlich hatte ich das etwas anders geplant, aber nun machen wir es halt so" erklärst Du mir, ziehst ein Feuerzeug aus Deiner Jacke und zündest beide Briefe in der schon vorhandenen Feuerstelle neben uns an.
Stumm sitzen wir beide da, als das Feuer, das mit wütenden Worten beschriebene Papier, verschlingt. „Ein erster Schritt ist getan, den Rest schaffen wir zusammen" meine ich leise, ziehe Dich zu mir und halte Dich ganz fest in meinen Armen. Als nur noch ein kleiner Aschehaufen übrig ist und wir sicher sind, dass das Feuer aus ist, packen wir zusammen und gehen langsam eng umschlungen zurück in unser Zimmer in der Pension.
Noras Sicht
Als wir dort ankommen, lasse ich mich kraftlos ins Bett fallen und schließe meine Augen für einen Moment, als mein Magen plötzlich sehr laut knurrt. „Du hast Hunger, dass ist ein gutes Zeichen" lächelst Du mich an. "Wir haben nichts hier und ich kann gerade nicht unter Menschen gehen" antworte ich Dir, während Du Dich umziehst und dann zu mir ins Bett gekrabbelt kommst. Im selben Moment kommt mir eine Idee.
„Ich rufe bei Henni an, sie soll was vorbei bringen" meine ich zu Dir. „Meinst Du das geht?" fragst Du mich zweifelnd und ich nicke Dir zu. „Klar, das macht Sie bestimmt für mich, uns" grinse ich Dich erschöpft an und zum ersten Mal an diesem Tag fühle ich mich ein kleines bisschen besser. Schnell nehme ich mein Handy in die Hand, wähle die Nummer von Lennard und bitte ihn sofort, mir Henni zu geben, was er auch umgehend tut.
Nach einer kurzen Begrüßung bitte ich Sie um diesen Gefallen, sage ihr noch unsere Zimmernummer und sie verspricht mir, sich umgehend auf den Weg zu machen und uns etwas leckeres mitzubringen. „Sie ist in Kürze da" meine ich zu Dir und lächle triumphierend. „Das hätte ich ja jetzt nicht gedacht, aber toll, dass Sie so flexibel ist" grinst Du mich an. „Es ist schön, Dich wieder lächeln zu sehen" meinst Du leise nach einer Weile zu mir.
„Es geht mir ein kleines bisschen besser, dank Dir und Deinen guten Ideen" meine ich zu Dir und kuschel mich an Dich heran. „Das freut mich wirklich sehr und ich tue es von Herzen gerne, wirklich. Ich liebe Dich, dass gehört für mich einfach dazu" erklärst Du mir und streichelst ganz sanft mein Gesicht. „Wir schaffen das. Zusammen" meinst Du beruhigend zu mir und ich sehe Dir liebevoll in Deine Augen. „Ja, wir schaffen das zusammen" antworte ich Dir und erwidere Deinen sanften Blick.
Langsam beugst Du Dich zu mir und küsst mich sanft auf meine Lippen. Zaghaft erwidere ich diesen Kuss, schmecke Dich und fühle Deine unendliche Liebe für mich. Ganz entgegen unserem sonstigen Tempo beim Thema Küssen, lassen wir uns diesmal wirklich unendlich viel Zeit dabei und vertiefen den Kuss nur schrittweise. Dieser Tag hat tiefe Spuren hinterlassen und wir werden viel Zeit brauchen, bis wir beide damit klar kommen, dass ist uns beiden bewusst.
Aber wir haben es trotz allem geschafft, uns dabei nicht aus den Augen zu verlieren. Als mir das klar wird, unterbreche ich den Kuss, sehe Dir so tief ich kann in Deine Augen hinein und will Dir gerade erklären, wie dankbar ich Dir wirklich für alles bin, was Du heute für mich getan hast, als es bereits laut und unmissverständlich an unserer Tür klopft. „Der Essensservice ist da" murmele ich und stehe auf, um unseren Gast herein zu lassen.
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Lost Love
Romance2 Liebende. Für immer, dachten sie. Doch manchmal schlägt das Schicksal unerbittlich zu. Einfach so. Unvorbereitet. Hättest Du alles anders gemacht, als Du es bis dahin getan hast? In diesem Moment? Vergiss es, es ist eh zu spät. Du kannst nichts...