ACHTUNDSIEBZIG

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Ellens Sicht

Total in Gedanken betrachte ich mich im Spiegel, nachdem wir unser Liebesspiel unter der Dusche beendet haben und Du Dich bereits im Zimmer anziehst. Ich brauche gerade mal ein paar Minuten für mich, habe ich Dich wissen lassen und Du hast mir verständnisvoll zugenickt und lässt mir gerne diese Pause. Tief seufze ich durch und vor meinem inneren Auge ziehen all diese quälenden Aussagen von vorhin vorbei.

Wie kann man nur so mit seinem eigen Fleisch und Blut umgehen, geht es mir durch meinen Kopf. Ich bin noch immer absolut fassungslos darüber und kann es einfach nicht glauben, dass es so etwas tatsächlich gibt. Sicher, in meinem Beruf habe ich einzelne Schicksale erlebt, die wirklich grausam waren, auf ihre Art und Weise, aber dass so etwas jetzt tatsächlich so nah vor mir steht und mich persönlich betrifft, damit habe ich wirklich nicht gerechnet.

Wenn die Eltern nicht schon tot wären, dann würde ich ihnen so was von die Leviten lesen, schade eigentlich. Apropos...wie die Eltern gestorben sind, weiß ich noch nicht. Aber dass bespreche ich lieber ein anderes Mal. Ich bin gerade so froh, dass es Dir jetzt besser geht, ich will es nicht gleich wieder kaputt machen. Vielleicht verrätst Du es mir einfach auch von selber, wenn Du soweit bist. Meine Prinzessin, was musstest Du alles ertragen.

Zu wissen, wie sehr Du darunter gelitten hast und wie hilflos Du damit warst, macht mich selber irgendwie total hilflos und die Tatsache, dass ich nichts mehr daran ändern kann, macht das Ganze nur noch schwerer für mich. Wie sollst Du jemals damit fertig werden? So etwas kann man doch niemals verarbeiten oder gar vergessen. Ich kann es nur besser machen, mit dem einzigen, was es vielleicht wieder etwas leichter macht.

Mit dem genauen Gegenteil von dem, was Dir widerfahren ist. Mit Liebe. Mit all meiner unglaublich aufrichtigen Liebe zu Dir. Ich schwöre mir selber, dass ich es besser machen werde und meine Worte von vorhin keine leeren Versprechen sein werden. Verdammt, ich fühle mich so hilflos damit. Ich kann wohl doch nicht immer die Starke sein. Irgendwann haut es selbst mich zusammen. Aber nicht jetzt, ich muss stark sein, für Dich. Wenn Du es kannst, muss ich es erst recht sein.

Wenn wir wieder zurück sind, werde ich Dich fragen, ob ich mit Paul drüber reden kann. Er wird mir helfen, er wird wissen, wie ich damit umgehen kann und bis dahin, bin ich für Dich da. So gut es die Situation braucht. Wir beide werden es zusammen schaffen. Wenn nicht wir, wer dann?

Tief atme ich durch, schließe für einen Moment meine Augen, trete aus dem Bad heraus und ziehe mich rasch an. Ebenfalls in Gedanken stehst Du am Fenster und blickst hinaus in die Weite. Leise trete ich hinter Dich, umschlinge mit meinen Armen Deinen Bauch und küsse Dich leicht auf Deinen Nacken. „Gehts Dir gut, Du bist so nachdenklich?" frage ich Dich leise und lege meinen Kopf auf Deine Schulter. „Ja, ja mir geht's gut, wirklich, mach Dir keinen Kopf. Wie geht's Dir?" fragst Du mich, doch ich weiß ganz genau, dass es Dir nicht gut geht.

„Sagst Du mir jetzt noch die Wahrheit? Ich dachte, wir sind ehrlich zueinander und es gibt keine Lügen zwischen uns?" frage ich Dich bestimmt, aber mit einer Spur Enttäuschung in der Stimme. Langsam drehst Du Dich zu mir um und siehst mir tief in meine Augen. „Entschuldigung Ellen, es ist einfach gerade zu viel. Mich überfordert das gerade alles. Diese emotionale Achterbahnfahrt, ich bin völlig durch. Ich muss das erst mal selber begreifen...tut mir leid" antwortest Du mir leise und schuldbewusst.

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