Kapitel 39

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Zora blieb angewurzelt stehen. Sie konnte das Flüstern ihrer Tante von weitem hören. „Es tut mir Leid!"

Als die Statur sich in Sand umwandelte, fühlte es sich an als ob jemand ihr Herz ausreißen wurde. Ihre Tante war tot! Sie war tot! Zora rannte zu der Stelle in der ihre Tante noch vorkurzem mit der Schlange kämpfte. In der Mitte vom grauen Sandhaufen, lag Glorias Schwert. Zora drückte es gegen ihren Leib und weinte wie nie zu vor in ihrem Leben. Ihre Tante war tot! Wie konnte ihre Tante es ihr bloß antun? Sie brauchte sie! Sie war ein Teil von ihr? Zu wem soll sie gehen, wenn sie sich mit ihrer Mutter oder Freundinnen stritt? Zu wem soll sie gehen, wenn sie einfach mal genug von Edwins blöde Scherze hatte? Zu wem soll sie gehen, wenn sie einfach nur eine Umarmung brauchte und niemand war da? Zu wem soll sie gehen, um ihre Geheimnisse zu erzählen? Zoras Körper bebte. Sie fühlte sich schwach. Sie hat ihre Tante verloren! Warum? Warum konnte ihre Vorahnung nicht früher ihr etwas sagen über den Tod ihrer Tante? Sie hat Lily gerettet, also warum auch nicht ihre Tante? Soll sie etwa verstehen, dass sobald sie ein Leben rettete starb dafür ein anderer?

Bellareine beugte sich und zog Zora in eine feste Umarmung. Bellareine wusste ganz genau was Gloria getan hat. Sie hat ein Opferungsspruch angewandt. Anscheint blieb ihr keine andere Wahl in diesem Moment, als ihr Leben zu opfern.

„Nicht weinen Zora. Sie hat es für dich getan!", versuchte sie das mutige Mädchen, dass nun gebrochen auf dem Boden lag zu besänftigen. „Ich bin hier! Alles wird gut!", wiegte sie Zora in ihren Armen. Nach einer Weile, als Zora keine Tränen mehr zu weinen hatte, zog die Hexe Zora sanft hoch und brachte sie zu ihrem Labor, wo Edwin, Alastair und Lily auf sie warteten. Zora folgte Bellareine einfach hinterher. Sie ließ sich einfach hinziehen. Sie spürte nichts, sah nichts, bemerkte nichts. Sie war einfach leer. Selbst die Trauer und der Schmerz konnten ihr nichts mehr machen. Bellareine druckte Zoras Hand fester zu sich. Sie machte sich sorgen. Seitdem sie die unterirdischen Tunneln verlassen haben, gab Zora kein Wort von sich. Die Hexe öffnete die Tür zum Labor. Lily war bereits wach. Es schien ihr viel besser zu gehen.

„Hey, habt ihr also die Flöte?", fragte Edwin und wurde dann wieder still, als er Zoras roten Augen bemerkte. „Was ist passiert?", fragte er. Zora blickte nur leer vor sich hin. Ihr Mundwinkel verzog sich kurz. Edwin bemerkte plötzlich, dass Gloria nicht da war.

„Wo ist Gloria?", wollte er wissen. Zora hielt es nicht mehr aus. Sie dachte ihre Tränen wären alle schon vergossen aber nun kamen sie wieder hoch. „Sie ist tot!", krächzte sie.

„Sie ist was?", fragte noch einmal Edwin. Lily und Alastair blickten Edwin und Zora abwechselnd an. Sie waren sich auch nicht sicher ob sie Zora richtig verstanden haben.

„Was verstehst du nicht wenn ich sage sie ist tot! Gloria ist tot!", schrie Zora und fiel dann weinend auf dem Boden. Lily rannte schnell zu ihr und schmiegte sich. Bellareine beugte sich vor und zog sie wieder in eine Umarmung. „Wie ist es passiert?", wollte Alastair wissen und blickte Zora mitfühlend an. „Sie hat gegen Zayns Gefährten gekämpft. Die Schlange die Lily gebissen hat. Sie hat sich aufgeopfert.", erklärte Bellareine und blickte Edwin an. Er tat ihr Leid. Er hat gerade seine große Schwester verloren. Edwin ballte seine Hände zu Fäusten. Wie konnte seine Schwester tot sein? Sie war doch immer die Stärkere von den drei Geschwistern. Er kniete sich auf dem Boden und schubste die Hexe und den Luchs zur Seite. Er zog Zora zu sich und umarmte sie fest. Die Tränen rollten ihm über die Wangen. Keine Worte konnten den Schmerz beschreiben den er fühlte. Er hat seine zweite Hälfte heute verloren. Aber warum hat sich Gloria bloß aufgeopfert? Die selbe Frage stellte sich ebenfalls Zora. Für was war es gut? Der Armband an Zoras Handgelenk fing an zu leuchten. Edwin und Zora lösten sich von einander . „Warum leuchtet dein Armband?", fragte Edwin seine Nichte.

„Das ist die Flöte.", erklärte ihm Zora, jedoch wusste sie nicht was die flöte wollte. Das Leuchten wurde immer stärker. Aus dem blauen Licht konnten Edwin, Zora und alle anderen Anwesenden im Raum eine Gestalt sehen. „Gloria...", erkannten Edwin und Zora sofort die liebe Frau, die sich geopfert hat. Sie schwebte vor ihnen in einem weißem Kleid. Ihre Haut leuchtete bläulich. Sie lächelte Edwin und Zora liebevoll an. „Weint bitte nicht!", bat sie ihren lieben kleinen Bruder und ihre Nichte. „Hört auf eure Tränen wegen mir zu vergeuden."

„Kannst du nicht hier bleiben?", brach Zoras Stimme zusammen.

Gloria streichelte mit ihrer Hand über Zoras Wange. Es fühlte sich an wie eine angenehme kühle Brise im Sommer.

„Ich kann nicht meine Liebe. Ich bin tot. Was du siehst ist meine Seele. Die Flöte hat mich hierher gebracht, damit ich mich von euch verabschieden kann."

Wie nett von der Flöte, dachte sich Zora. „Warum hast du dich geopfert?", wollte Edwin wissen.

„Kurz bevor die Schlange mich töten konnte, habe ich ihre Gedanken gelesen. Zayn ist unsterblich durch ihr. Solange sie lebt, lebt er weiter und so lange er lebt, lebt sie. Die einzige Möglichkeit war mich zu opfern. Nun ist Zayn nicht mehr unsterblich. Zumindest für eine Weile."

„Was soll ich Opa und Dad sagen?", schluchzte Zora.

„Hör auf zu weinen Zora!", bat sie ihre Nichte. „Sag ihnen einfach was passiert ist und sag ihnen, dass ich sie liebe. Ich liebe euch zwei auch! Edwin du musst auf Zora aufpassen!"

„Das werde ich."

„Gut...und du Bellareine. Du bist nun ein Teil unserer Familie. Zora hat mir bereits alles erzählt. Ich möchte, dass du auf sie aufpasst, wie eine Schwester."

„Für immer und ewig.", versprach die Hexe. Gloria gab sich zufrieden mit dieser Antwort und wandte sich dann wieder zu ihrer Nichte. „Ich habe dich lieb und du weißt nicht wie stolz ich auf dich bin! Ich möchte, dass du weiter lachst und dich um die Menschen kümmerst, die du liebst. Bitte bleib das fröhliche kleine Mädchen, das ich immer kannte. Und vor allem mach dir keine Vorwürfe. Ein Wahrsager kann nicht immer alles voraussehen! Das Leben muss auch ein Mysterium bleiben."

Zora schloss ihre Augen kurz und wischte sich die Tränen weg. Sie zwang sich zu einem Lächeln. Ein letztes Lächeln für ihre Tante. „Ich liebe dich auch Tante Gloria. Ich werde dich nie vergessen! Ich werde unsere Erinnerungen hier in meinem Herzen gut aufbewahren, damit wenn wir uns eines Tages sehen, wieder darüber lachen können."

„Und ich hoffe es wird eine Ewigkeit dauern.", hauchte ihre Gloria einen Kuss auf die Stirn und dann Edwin. Glorias Seele verschwand schließlich und eine schweigende Stille verbreitete sich im Raum. 

Die letzte WahrsagerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt