Kapitel 1 - Ein Zug nach nirgendwo

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'On ne voit bien qu'avec le coeur. L'essentiel est invisible pour les yeux.' Ein Sprichwort, dass ich oft von meiner Mutter zu hören bekomme. Es bedeutet so viel wie, man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar. Bis heute weiß ich nicht so ganz, was sie damit ausdrücken wollte. Ich lebe mit ihr und meiner jüngeren Schwester in Dresden. Es ist eine schöne Stadt, mit vielen tollen Orten, an denen man gut nachdenken konnte. Ich bin jemand, der sehr in sich gekehrt ist, kaum jemanden an sich ran lässt und lieber für sich ist, als unter Leuten zu sein. Ich hatte nicht viele Freunde, eigentlich gar keine. Der einzige Freund, den ich hatte, war mein Kater Louie. Meine Mutter findet das ganz furchtbar. Ich muss mir ständig anhören, dass eine so schöne junge Frau, immer noch alleinstehend und total zurückhaltend ist. Mit 21 Jahren muss ich auch noch nicht verheiratet sein, so wie sie damals. Ich bin anders, eben nicht, typisch französisch. Ihr fragt euch was das bedeutet? Nun ja, mein Aussehen spielt bei mir nur die 2. oder 3. Geige. Ich hasse meinen kleinen französischen Akzent, den ich meiner Mutter verdanke. Ich lebe nicht nach dem Motto Viva la France. Die französische Revolution interessiert mich genau so wenig wie die Männerwelt. Im Gegensatz zu meiner Schwester Camille. Diese hat bereits ihre dritte Beziehung hinter sich und stürtzt sich schon in die Vierte hinein. Übrigens, mich nennt man Chloé, oder wie meine Mutter mich auch gerne nennt, die kleine Brigitte Bardot..nur mit dunklen Haaren und in ihren glanzvollen jungen Jahren. Als ich sechs Jahre alt war, trennten meine Eltern sich. Zu meinem Vater, der ein erfolgreicher Fotograf war, hatte ich ein super Verhältnis, sehr zum Missfallen meiner Mutter. Als ich ihr dann noch vor kurzem erzählt hatte, dass ich zu ihm ziehen werde, rastete sie komplett aus. Sie fing an mich auf französisch zu beleidigen und mit Gegenständen nach mir zu werfen. Das Temeperament hatte sie eindeutig nicht von den Franzosen. Sie verfluchte mich und ich flüchtete über Nacht nach München, zu meinem Vater. Was soll ich dazu sagen? Ich saß nachts am Bahnhof und wartete auf einen Zug, der mich an mein Ziel brachte. Mit zwei vollgepackten Taschen, der Transportbox mit meinem Kater Louie und drei Stunden Wartezeit, betrat ich den Zug, der mich nach München brachte. Was würde mich dort erwarten? Ich hatte seit Jahren meinen Vater nicht mehr gesehen. Ich hatte keine Arbeit, nur eine lausige Ausbildung zur Hotelkauffrau, die ich nur wegen meiner Mutter gemacht habe. Eigentlich wollte ich schon immer mal modeln. Ich weiß, dass klingt komisch, wenn man bedenkt, das ich total schüchtern bin und lieber für mich bin. Aber ich wollte es dennoch ausprobieren. Vielleicht bekomme ich in München die Chance dazu, immerhin hatte mein Vater gute Kontakte in der Modeszene.

Die ganze Fahrt über starrte ich aus dem Fenster und hörte über meinen IPod Musik. Dabei träumte ich vor mich hin, von einem besseren Leben, einem anderen. Ich dachte an meine Schwester, wie sie den Terror meiner Mutter aushalten musste. Die Arme tut mir jetzt schon leid. Ein Glück war ich auf dieser Reise nicht ganz alleine. Ich holte Louie aus seiner Box und setzte ihn auf meinem Schoß ab. Dann streichelte ich ihn eine ganze Weile, so dass er anfing zu schnurren. München ich komme, und ich bin gespannt was mich dort alles erwarten wird. Es war eine Zugfahrt ins Unbekannte.

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