KAPITEL V

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Reyna 

Reyna hasste Senatssitzungen abgrundtief. Jedes Mal, wenn es zu einer kam, musste sie sich regelrecht dazu zwingen, ihre Toga anzulegen und unvoreingenommenen und mit kühlen Kopf den Saal zu betreten. Meistens gelang ihr das Recht gut, auch, wenn sie zugeben musste, dass sie sich oftmals nach einer Sitzung erst abregen musste, bevor sie sich wieder ihren Aufgaben widmen konnte.

In diesem Moment brodelte es in ihr, wie so oft auch, doch es fiel ihr diesmal besonders schwerer, unbeteiligt dreinzublicken. Am liebsten wollte sie über das, was gerade vor ihr diskutiert wurde, den Kopf schütteln. Der Vorschlag, über den beratschlagt wurde war nicht nur feige, nein, er ließ auch noch ihre Freunde und Verbündeten in Camp Halfblood im Stich. Und das konnte und würde sie nicht zulassen.

Reyna zwang sich, ruhig sitzen zu bleiben und sich alles genau anzuhören- das war ihre Aufgabe als Prätorin. Neben ihr saß Frank, der seine Wut offen zur Schau stellte und neben ihm war Hazel, die trotz ihrem niedrigeren Rang in der 12. Legion als eine der Sieben einen Platz auf dem Podest der Prätoren erhalten hatte. Die Augen der Tochter des Pluto blitzten gefährlich. Auch sie schien nicht gerade einverstanden zu sein.

Reyna umklammerte mit ihren Händen die Lehnen ihres Sessels. Ein Grund, warum sie die Senatssitzungen nicht mochte, waren die Diplomatie und das viele Reden. Sie hatte zwar gelernt, wie sie sich präsentieren musste, um auch in der Politik respektiert zu werden und nicht nur auf dem Schlachtfeld, doch das bedeutete nicht, dass sie es mochte. Reyna war eine Frau der Taten. Sie bevorzugte es, zu kämpfen und nicht davor stundenlang darüber abzustimmen, ob gekämpft werden sollte- denn vor allem in diesem Fall war die Antwort mehr als klar. Sie mussten kämpfen.

Schnell tauschte Reyna still einen Blick mit Hazel und Frank. Ohne ein Wort zu sagen, kamen sie zu dem Entschluss, dass sie eingreifen mussten. Sie stand auf.

Es dauerte ein paar Augenblicke, bis sie bemerkt und es langsam leiser im Saal wurde. Diese Wirkung hatte Reyna immer. Selbst viele der erfahrenen Veteranen fürchteten sie als die Tochter der Kriegsgöttin Bellona. Jeder wusste, dass sie Camp Jupiter und den Römern loyal ergeben war und dass sie schon viel getan hatte, um ihr Zuhause und die dort lebenden Halbgötter zu retten. Sie genoss Respekt und dieser Respekt sorgte dafür, dass sie in jeder Situation angehört wurde.

Reyna spürte die Blicke der anderen Senatoren auf sich. Sie waren ähnlich wie die Hüttenältesten in Camp Halfblood. Von den Halbgöttern bestimmte Vertreter, die Entscheidungen trafen. Eigentlich waren sich die beiden Camps nicht unähnlich, das hatte sie in den letzten Jahren gelernt. Reyna mochte die Griechen sogar recht gerne- und vor allem schätzte sie, dass sie nicht so lange über alles Mögliche redeten, sondern lieber gleich handelten.

Reyna holte tief Luft. „Mir ist selber klar, dass es keine perfekte Lösung für dieses Problem gibt. Aber wo gibt es schon eine perfekte Lösung? Nirgends.", sie machte eine Pause und erwiderte so viele Blicke möglichst streng, wie sie konnte. „Aber Tatsache ist, dass Camp Halfblood angegriffen wurde und uns um Unterstützung bittet. Ich bin dafür, dass wir ihnen diese Hilfe geben."

Ihre Worte hallten klar und deutlich durch den Senat. Manche der Senatoren nickten zustimmend, andere wirkten wütend und schüttelten den Kopf. Welche von beiden häufiger vertreten waren, konnte Reyna nicht sagen.

Einer der Senatoren stand mit zweifelnden Gesichtsausdruck auf. „Ist es wirklich hilfreich, den Großteil unserer Truppen an die andere Seite des Landes zu schicken? Was, wenn wir in dieser Zeit angegriffen werden? Wir müssen uns auch selbst schützen können!", argumentierte er dagegen.

Rufe wurden laut, vor allem die der Gegner. Reyna wartete kurz, bis sie wieder sprach.

„Das ist mir klar. Und auch Hazel und Frank wissen das. Wir alle wissen das. Aber wir haben Neu-Rom. Unsere Grenzen sind stärker, als jemals zuvor. Und alle, die hier leben, ob Legionäre, oder Veteranen haben Kampferfahrung, oder haben es zumindest gelernt. Wenn wir es hochrechnen, dann haben wir mindestens dreimal so viele einsatzbereite Kämpfer, als Camp Halfblood. Wir würden auch nicht einen Großteil unserer Streitmächte schicken. Fünfzig Kämpfer können wir entbehren, ohne, dass wir ein Risiko eingehen.", erklärte Reyna. Noch vor der Sitzung hatte sie sich die Zahlen angesehen.

„Aber ist es wirklich unser Problem, wenn sich die Griechen nicht verteidigen können?"

Reyna konnte nicht sagen, woher dieser Zwischenruf kam, doch sie schenkte der versammelten Menge vor ihr einen bösen Blick. „Wenn wir Hilfe bräuchten, dann hätten die griechischen Halbgötter schon längst Hilfe geschickt."

„Wir wären nicht in dieser Situation, weil wir uns selber verteidigen können!"

Es war die gleiche Stimme, wie schon zuvor auch. Reyna versuchte, den Sprecher ausfindig zu machen, jedoch erfolglos. Vermutlich war das sogar besser, denn sonst hätte sie für nichts mehr garantieren können. Neben ihr wurde ein Stuhl zurückgezogen und Hazel stand plötzlich neben ihr. In den letzten beiden Jahren hatte sich Reyna mit der Tochter des Pluto angefreundet und konnte nun erkennen, wie wütend diese war. Hazel zitterte.

„Habt ihr vergessen, wie es war, gegen Gaia zu kämpfen? Habt ihr tatsächlich vergessen, wie kläglich wir daran gescheitert sind, als wir es getrennt versucht haben?"

Auch Frank stand nun auf. „Erst, als wir uns zusammengeschlossen haben, haben wir unseren Feind besiegt. So wird es auch diesmal sein. Wenn wir weiterhin nichts unternehmen, dann wird Pontos beide Camps nacheinander vernichten.", seine Stimme klang tief und ruhig. Reyna fragte sich, wie er so unberührt aussehen konnte. Sie schluckte.

„Pontos hat Camp Halfblood absichtlich zuerst angegriffen. Es liegt näher am Meer, als wir und bietet so ein leichteres Ziel. Aber das ist kein Grund, es nicht zu verteidigen. Ganz im Gegenteil. Wenn die Griechen erst einmal besiegt sind, dann wird Pontos zu uns kommen. Und er wird kein Halt machen. Weder vor uns, noch vor dem Olymp. Wenn Camp Halfblood erst einmal gefallen ist, dann haben wir auch niemanden mehr, der den Olymp verteidigen kann. Wir brauchen zu lange, um nach New York zu kommen und bis dahin ist es vermutlich schon zu spät.", nachdem sie geendet hatte, schlug Reyna eine Totenstille entgegen. Keiner sagte ein Wort, man hätte eine Stecknadel fallen und aufkommen hören können. Das machte sie erst Recht wütend. Ihre Nerven brannten durch.

„Was ist nur los mit euch?", fauchte sie. „Vor zwei Jahren waren noch alle begeistert von der Idee, die Beziehungen zwischen den Camps zu verbessern und sich gegenseitig zu helfen. Aber jetzt, wo es darauf ankommt, seid ihr zu feige, zu eurem Wort zu stehen?", Reyna schüttelte angewidert den Kopf. „Wenn das so ist, dann könnt ihr euch eine andere Prätorin suchen."

Sowohl Hazel, als auch Frank starrten sie entsetzt an, als ihnen klar wurde, dass sie gerade eben womöglich ihr Amt niedergelegt hatte. Möglich war es auf jeden Fall. Reyna hatte lange genug in der Legion gedient, um sich nun in Neu-Rom ein neues Leben aufzubauen. Ihre Worte hatten auch bei den Senatoren endlich die gewünschte Wirkung. Zum ersten Mal schienen sie ein bisschen offener zu sein. Vielleicht, weil sie Reyna doch noch ein bisschen als ihre Prätorin behalten wollten.

Frank räusperte sich und unterbrach die angespannte Stille. „Wir stimmen ab. Wer ist dafür, dass wir Camp Halfblood zur Hilfe eilen?"

Es kostete Reyna all ihre Nerven, zuzusehen, wie einer nach dem Anderen zaghaft die Hand hob. Es war knapp, doch letztendlich wurde dafür abgestimmt. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht erleichtert aufzuseufzen. Ihr wäre es zwar egal gewesen, ob sie weiterhin Prätorin war, aber Camp Halfblood, ihre Verbündeten und Freude, waren ihr nicht egal.

Vor wenigen Tagen noch schien alles in Ordnung gewesen sein. Vor zwei Tagen war Percy aufgewacht und alle dachten, dass ihnen ein bisschen Zeit blieb, bis Pontos zum ersten, richtigen Schlag ausholte und eins der beiden Camps angriff.

Als dann an diesem Morgen die Nachricht kam, dass die Griechen nur mit großer Mühe einen Angriff von Pontos Armee zurückschlagen konnte, hatte Reyna sofort eine Senatssitzung zusammen mit Hazel und Frank einberufen. Es klang sehr ernst und aus der Nachricht war herauszulesen, dass Pontos stärker war als gedacht. Das Schlimmste an allem war jedoch, dass er nicht die Absicht gehabt hatte, die Griechen zu vernichten. Trotzdem hatte der Feind mit einer Leichtigkeit die Grenzen überschritten und Chaos angerichtet. Bei diesem Gedanken fuhr ein kalter Schauer über ihren Rücken.

Gemeinsam mit Frank und Hazel verließ sie den Saal und ging zurück ins Camp Jupiter, wo sie ungestört reden und die nötigen Vorkehrungen treffen konnten.

Als sie sich endlich hinter ihrem Schreibtisch niederlassen konnte, stieß sie ein erleichtertes Seufzen aus. Noch im gleichen Moment eilten ihre beiden Hunde Aurum und Argentum, die aus Gold und Silber bestanden, zu ihr und ließen sich auf ihren beiden Seiten nieder. Ein wenig gedankenverloren kraulte Reyna Aurum die Ohren und beobachtete Frank und Hazel, die sich auf die Stühle ihr gegenüber hinsetzten.


Neue Perspektive, yay *-* Ich hoffe, es  hat euch gefallen :) 

Die Waffe der MeereWo Geschichten leben. Entdecke jetzt