KAPITEL LX

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Percy

„Für jeden anderen ist es klar ersichtlich, wie viel dir deine Söhne und vor allem er-...", Pontos nahm den Dolch von Percys Hals und fuhr mit der Spitze über seine Wange, ohne ihn zu verletzen. „...-dir bedeuten, aber ausgerechnet dein Lieblingssohn denkt, du würdest ihn nicht lieben. Eine tragische Familiengeschichte, beinahe ein Jammer, dass sie heute enden wird.", er steckte den Dolch wieder an seinen Gürtel und ließ Percy los, stieß ihn von sich.

Dieser spürte den Blick seines Vaters auf sich, erneut, doch er wollte ihn nicht erwidern. Er wollte nicht sehen, dass er sich geirrt hatte, dass er sich in Poseidon geirrt hatte.

Aber Percy wurde klar, dass er verletzt gewesen war, weil sein Vater nach dem Krieg gegen Gaia nicht für ihn da gewesen war. Genauso, wie es ihn verletzt hatte, als Poseidon sich nicht auf dem Olymp für ihn eingesetzt hatte.

Es hatte ihn verletzt, weil er seinen Vater liebte. Weil er sich von ihm das Gleiche wünschte, weil er wollte, dass sie sich gut verstanden. Weil Poseidon ihm etwas bedeutete.

„Pontos.", knurrte der Gott des Meeres. „Lass ihn gehen. Oder ich verspreche dir-..."
„Du versprichst mir was? Wir wissen beide, dass du nicht in der Position bist, Bedingungen zu stellen.", unterbrach Pontos ihn. Ein seltsames Lächeln zierte sein Gesicht.

„Was. Willst. Du?", presste Poseidon hervor.

Sein Gegner schüttelte den Kopf, zuckte mit den Schultern. „Ich will gar nichts. Oder warte, doch, da ist etwas. Ich will, dass du zusiehst, wie er stirbt. Ich will, dass du siehst, wie das Leben aus seinen Augen verschwindet. Ich will, dass du den Schmerz und den Verlust fühlst."

Percy konnte sich nicht mehr davon abhalten, er verzerrte sein Gesicht und sah auf. Es versetzte ihm einen weiteren Schlag, als er sah, dass nicht nur Angst in Poseidons Augen glitzerte, sondern auch Tränen.

„Ich hole dich da raus, Percy.", sagte er. Percy wollte es so gerne glauben. „Ich verspreche es dir."

„Nein, wirst du nicht.", warf Pontos locker dazwischen. „Und das wisst ihr beide auch. Zeit, sich voneinander zu verabschieden."

Obwohl er schon so viel erlebt hatte, obwohl er Tartarus gegenübergestanden hatte und Schrecken erblickt hatte, bei denen viele durchdrehen würde. Obwohl er gedacht hatte, vor allem nach seinem Trip in die Vergangenheit keine Angst mehr vor dem Tod zu haben, fürchtete er sich nun.

Percy fürchtete sich davor, dass sein Leben nun vorbei war. Dass es nur noch Sekunden waren, bis all seine Träume verblassen würden und er in die Unterwelt einging.

„Dad-...", Percy rollte eine Träne über die Wange, sie bahnte sich einen Weg durch den ganzen Dreck. „Du musst gewinnen. Du musst gewinnen, okay? Versprich es mir."

Poseidon nickte stumm.

„Versprich es mir!"

„Ich verspreche es. Ich werde gewinnen, mein Sohn.", Poseidons Stimme klang rau und belegt.

Kurzzeitig gab es nur dieses Einverständnis zwischen den Beiden. Percy verzieh ihm alles, was er ihm jemals übelgenommen hatte. Denn jetzt, in diesem Augenblick sah er, dass es doch keine Rolle spielte. Sein Vater liebte ihn. Irgendwie. Auf seine verkorkste Art und Weise.

Der Moment wurde von Pontos zerstört. Wie es zu erwarten gewesen war. Was auch sonst?

„Sieh es dir genau an, Poseidon.", sagte er kalt. „Merke dir diesen Tag. Es wird der Tag sein, an dem du diesen Krieg verloren hast."

Percy schloss die Augen, um seine Tränen nicht zu zeigen. Deswegen sah er auch nicht die Faust auf ihn zufliegen, er spürte nur, wie sie sein Gesicht traf. Er fiel in sich zusammen, ein Kartenhaus, das von einem Windstoß getroffen worden war, Percy krümmte sich.

„Du wirst dafür büßen, Pontos.", hörte er Poseidon knurren. Er verstand, warum sein Vater zerstörerisch sein konnte, in diesem Moment war er es.

„Das werden wir sehen."

Mit diesem Satz wusste Percy, dass die Zeit gekommen war. Es schien ihm eine Ewigkeit her, dass er an den Strand gegangen war, um zu trainieren. Das letzte Mal, dass er Annabeth gesehen hatte, kam ihm vor, als wäre es vor Jahren gewesen. Er konzentrierte sich auf die letzte Nacht, auf die schönen Erinnerungen. Er wollte nicht an seinen bevorstehenden Tod denken.

Percy wurde nach vorne gezogen, was unweigerlich dazu führte, dass er seine Augen wieder öffnete. Er wusste nicht, was Pontos Plan war, aber er würde es sicherlich gleich erfahren. Er suchte ein letztes Mal Poseidons Blick. „Es ist okay, Dad.", brachte er hervor. „Du hättest nichts tun können. Halte nur dein Versprechen. Und-...", seine Stimme brach. „Kümmere dich um Annabeth."

„Das werde ich.", jetzt weinte sein Vater. Und es schien ihm vollkommen egal zu sein, dass er Schwäche zeigte.

Sie drückten ihn mit dem Oberkörper auf diesen Felsen und hielten ihn unten, sodass Percys Kopf seitlich auf dem Stein lag. Das Schwert aus Wasser tauchte in Pontos Hand auf.

Er wollte Percy köpfen.

Als der Urgott das Schwert packte und langsam anhob, schloss er die Augen. Wehren hatte keinen Sinn, die Griffe waren unbarmherzig, das merkte er schon nach dem ersten, kläglichen Versuch. Der Stein drückte in seine Wange, er war noch ein wenig warm vom schwachen, herbstlichen Licht der Sonne. Seine Innenlider leuchteten orange vom Sonnenuntergang.

Annabeth, es tut mir leid, dachte er.

Er konnte nicht in Worte fassen, wie er sich fühlte. Da war schlichtweg unmöglich. Niemand würde das können.

Angst. Verzweiflung. Trauer. Furcht. Der Wunsch, dass es vorbei war, damit er diese Emotionen nicht aushalten musste.

Percy wartete darauf, dass das Schwert hinuntersauste und sein Leben beendete.

Doch soweit kam es nicht. Furchtbares Brüllen, ein metallisches Quietschen und Kreischen, ertönte. Er bildete sich ein, eine Kettensäge zu hören.

Er riss die Augen auf. Pontos hatte das Schwert hoch über seinen Kopf erhoben, bereit, den tödlichen Streich auszuführen, doch er schien irritiert. Sein Blick hatte sich auf etwas im Himmel gerichtet. Eine Sekunde später steckte ein bronzefarbener Pfeil in dem Spalt seiner Rüstung, zwischen Arm und Brustkorb. Pontos brüllte.

„Percy, in DECKUNG!"

Er kannte diese Stimme, doch er hatte keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, zu wem sie gehörte. Er hatte das Gefühl, dass es unheimlich wichtig war, dass er genau das tat, was sie ihm sagte. Außerdem war dieser Pfeil irgendwie ein gutes Zeichen.

Also bäumte er sich auf -er hatte keine Ahnung, wie ihm das gelang-, versuchte, gegen diese beiden Kriegerinnen anzukommen. Inwiefern er sich von ihnen losreißen konnte, wusste er nicht, aber er rutschte zumindest von diesem Felsen hinunter, wo er dann im Sand liegen blieb.

Im gleichen Augenblick ertönte der unglaublich laute Knall eine Explosion, die Druckwelle sauste über Percy hinweg. Da er auf dem Boden lag, wurde er davon nicht sehr getroffen, doch diese beiden Kriegerinnen landeten ein paar Meter weiter.

Gleich nach der Druckwelle kam die Flammenwand. Auch diese rauschte mit einer ungeheuerlichen Hitze über Percy hinweg, die die feinen Härchen auf seinen Armen verkohlen ließ, Blasen bildeten sich auf seiner verbannten Haut und die Luft um ihn herum flimmerte.

Rauchschwaden zogen durch die Luft, keuchend holte er Luft und zuckte zusammen. Der Schmerz hatte sich zwischenzeitlich vermischt und war wie durch ein Wunder in den Hintergrund gerückt, doch jetzt spürte er die gebrochenen Rippen ganz besonders. Er bekam nicht richtig Luft. Seine Augen tränten.

„Percy, komm' schon, wir müssen von hier verschwinden!"

Wieder diese bekannte Stimme.

Dann spürte er eine Hand auf seiner Schulter, die versuchte, ihn hochzuziehen.

Percy sah auf, wollte sich aufrichten, ließ es jedoch gleich wieder bleiben.

Fassungslos starrte er seinen Retter an.

Vor ihm stand Leo.

Es geht weiter, wuhuuuu 🎉 Hat jemand von euch mit dieser Wendung gerechnet?

Die Waffe der MeereWo Geschichten leben. Entdecke jetzt