Percy
Als am nächsten Morgen die Zeit gekommen war, um aufzubrechen, breitete sich dann doch ein wenig Nervosität in Percy aus. Schon immer ging es bei seinen Aufträgen darum, die Welt zu retten- meistens jedenfalls. Doch noch nie hatte er den Druck und die mangelnde Zeit so sehr gespürt, wie jetzt. Nicht einmal im Krieg gegen Gaia. Es war, als hätte Pontos mit seinem Erwachen jegliche Spielregeln geändert, sofern sie denn jemals existiert hatten.
Glücklicherweise hatte Percy in seiner vorerst letzten Nacht im Camp gut geschlafen, allein das erleichterte so einiges. Und nun stand er vor den Pegasus-Ställen und atmete tief durch. Annabeth und er hatten beschlossen, über den Luftweg zu reisen und da ein Ritt auf einem Pegasus für ihn als Sohn des Poseidons eine Grauzone in Zeus' Reich darstellte, war das die einzige Lösung. Schon ein paar Tage zuvor hatte Percy Blackjack darüber informiert, damit es ihn nicht unvorbereitet traf. Und zu guter Letzt hatte die Hephaistos-Hütte spezielle Satteltaschen angefertigt, in denen Annabeth und Percy so gut wie ihre ganzen Sachen unterbringen konnten. Das Wichtigste dabei war jedoch, dass so die Fläschchen, die er von Will erhalten hatte, nur sehr unwahrscheinlich zu Bruch gingen.
Percy sah sich um. Die Sonne war noch nicht einmal aufgegangen, doch am Horizont hatte sich bereits ein heller Streifen am Himmel gebildet. Es wurde Zeit. Annabeth wartete.
Also ging er leise in den Stall. Es waren nur wenige Pegasi dort, die meisten bevorzugten es, ihre Zeit im Freien zu verbringen. Doch Blackjack, Percys langjähriger und treuer Freund lag schlafend in einer Ecke und ein anderer, weißer Pegasus namens Guido war ebenfalls anwesend.
Percy trat zu Blackjack, legte eine Hand auf die Nüstern des schwarzen Pegasus und merkte sofort, wie er aufwachte. Blackjack regte sich langsam, bis er schließlich blinzelte. Als er Percy erkannte, schien er plötzlich fiel wacher.
Jo, Boss, sagte er. Ist es soweit?
Percy musste unwillkürlich lächeln. Es hatte eine Zeit lang gedauert, bis er sich daran gewöhnt hatte, im Prinzip mit jeglichen Fischen und pferdeartigen Wesen sprechen zu können. Doch inzwischen gehörte es für ihn fast zum Alltag dazu. Und noch etwas hatte sich geändert: Er hatte aufgehört, Blackjack ausreden zu wollen, ihn Boss zu nennen. Denn es brachte ja ohnehin nichts.
„Ja, bald ist Sonnenaufgang. Seid ihr ausgeruht? Es wird anstrengend werden.", erwiderte Percy.
Mach dir um uns keine Sorgen, Boss. Du weißt doch, dass wir zäher sind, als es aussieht, meinte Blackjack. Er klang stolz. Dann richtete er sich auf, schüttelte seine Flügel aus und sah anschließend zu Guido.
Hey, Guido, du Schnarchnase!
Percy zuckte zusammen. Er hatte es noch nie mitbekommen, wie ein Pegasus brüllte, aber allen Anschein nach war das nicht unmöglich. „Blackjack!", schimpfte er. „Du kannst auch ein bisschen netter sein!"Ach Boss, du kennst ihn nicht. Anders wird er nicht wach, gab Blackjack zurück.
Percy schüttelte daraufhin den Kopf, im gleichen Moment fing Guido an, sich zu bewegen. Es dauerte nur wenige Minuten, bis auch er wach und einsatzbereit war. Keine fünf Minuten später landete Percy auf Blacksjacks Rücken vor dem Hauptgebäude, wo sich ein paar Halbgötter versammelt hatten, um ihn und Annabeth zu verabschieden. Neben ihr standen zudem noch zwei Rücksäcke mit dem Nötigsten, ein paar weitere Dinge würden sie noch in den Satteltaschen verstauen.
Percy warf einen schnellen Blick auf sein Handgelenk, wo die bronzene Uhr im Licht der aufgehenden Sonne glänzte und schimmerte. Er hatte das dringende Gefühl, den Schild auf dieser Mission gebrauchen zu können- und das mehr als nur einmal. Jedes Mal, wenn er ihn ansah, hatte es jedoch diesen bitteren Beigeschmack und erinnerte ihn an seine kaputte Beziehung zu Poseidon. Eigentlich hatte er nie wirklich viel Zeit mit seinem Vater verbracht, sie hatten sich vielleicht ein, oder zweimal im Jahr gesehen. Und dennoch war das öfter gewesen, als viele andere Halbgötter ihre göttlichen Elternteile zu Gesicht bekamen. Bis zu dem Krieg gegen Gaia hatte Percy auch eigentlich gedacht, dass er in Anbetracht der Umstände eine gute Beziehung zu Poseidon hatte.
Doch im letzten Krieg hatte sich dann alles geändert. Der Gott des Meeres hatte ihm in Stich gelassen, er hatte sich auch nach der letzten Schlacht nicht nach ihm erkundigt. Dabei hätte er das mehr als alles andere benötigt. Sowohl Percy, als auch Annabeth waren fast an den Ereignissen im Tartarus zerbrochen und hätten Hilfe von Seiten der Götter benötigt. Ebenso wie Nico.
Nichts war gekommen.
Schnell verdrängte Percy diese Gedanken. Es half ihm nicht, in diesem Moment darüber nachzugrübeln. Es lenkte ihn von der Mission ab.
Und doch, trotz aller guten Vorsätze, kam er nicht drumherum, sich Hoffnungen zu machen. Tyson hatte gesagt, dass Poseidon gewollt hatte, dass er diese Uhr bekam. Bedeutete das vielleicht, dass ihm doch etwas an Percy lag?
Er wollte nicht, dass er sich diese Hoffnungen machte. Er wehrte sich mit jeder Faser seines Körpers dagegen, denn letztendlich würde er doch nur erneut enttäuscht werden.
Percy wandte sich lieber den guten Dingen in seinem Leben zu. Annabeth zum Beispiel. Sie stand neben den Anderen und lächelte ihn sanft an, als er von Blackjack abstieg. Ihr blondes Haar strahlte wie Gold in der aufgehenden Sonne und wieder einmal wurde ihm klar, wie glücklich er sich schätzen konnte. Sein Leben war nicht einfach, das würde es vermutlich auch niemals sein. Aber er hatte sie an seiner Seite. Und vor allem nach den Ereignissen in letzter Zeit war das alles, was er brauchte. Annabeth war alles, was er brauchte.
Neben ihr standen Jason und Piper, Nico und Will, aber auch Travis, Chris, Clarisse und zu guter Letzt Reyna waren anwesend. Sie alle wirkten bedrückt, was in Anbetracht der Umstände auch nur logisch war. Doch in jedes einzelne Gesicht war auch Hoffnung geschrieben. Sie wollten glauben, dass Annabeth und Percy rechtzeitig wieder zurückkommen und den Dolch finden würden. Sie mussten es einfach glauben.
Die Stille, die einkehrte, als alle Taschen befestigt und die wenigen Habseligkeiten, die mit auf die Reise gingen, verstaut waren, empfand Percy als ein wenig unangenehm. Umso erleichterter war er, als Piper einen Schritt nach vorne trat.
„Passt auf euch auf, ja?", verlangte sie. „Ihr-...", ihre Stimme versagte, Piper brach das, was sie hatte sagen wollen, ab. Es wusste ohnehin jeder, dass sie in diesem Moment die einzige Hoffnung waren, die die Menschheit besaß. Alles hing von Percy, Annabeth und natürlich auch Grover ab.
Piper schloss zuerst Annabeth, dann ihn in die Arme. Es war, als wäre ein unsichtbarer Bann gebrochen. Nacheinander kamen nun alle anderen auf sie zu und umarmten sie, manche murmelten ein paar ermutigende Worte. In diesen Augenblicken war Percy froh, dass er und Annabeth sich dazu entschlossen hatten, so früh wie möglich aufzubrechen. Fast niemand im Camp war wach, lediglich das Zwitschern der Vögel und das gelegentliche Rauschen der Blätter, wann immer der Wind durch sie hindurchstrich, waren zu hören. Irgendwo mussten auch zwei Patrouillen unterwegs sein, doch keine von beiden war zu sehen. Das war auch gut so, er wollte nicht, dass mehr Aufmerksamkeit auf seinen und Annabeths Aufbruch gelenkt wurde, als unbedingt nötig. Es wäre seltsam, wenn so etwas besonders inszeniert wurde, immerhin konnten sie in den Tod fliegen.
Clarisse war die letzte, die Percy umarmte. Sie drückte ihn erstaunlich fest an sich.
„Wenn du stirbst, bringe ich dich um, Jackson.", knurrte sie leise und trennte sich anschließend wieder von ihm.
Percy grinste. „Ich nehme dich beim Wort und gebe mir Mühe. Pass' du im Gegenzug gut aufs Camp auf.", erwiderte er.
Die Tochter des Ares verzog grimmig das Gesicht. „Ares wird jedem, der es wagt, das Camp anzugreifen, ordentlich den Arsch versohlen.", gab sie entschlossen zurück.
Dann war es an der Zeit, sich auf den Weg zu machen. Percy kam es so vor, als wäre es ihm noch nie so schwergefallen, dem Camp den Rücken zu kehren. Und doch musste er es tun, wie so viele andere Dinge auch. Einfach, weil ihnen keine andere Wahl blieb.
Kurz, bevor sie losflogen, warf er Annabeth noch einmal einen schnellen Blick zu. Und als er in ihre grauen Augen sah, erschien ihm die Welt plötzlich nicht mehr ganz so dunkel.

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Die Waffe der Meere
FanfictionPercy hat es geschafft- er ist aus der Vergangenheit zurück. Doch viel Zeit zum Erholen bleibt ihm nicht, denn die Zeit drängt. Die Halbgötter müssen versuchen, Bethanys geheimnisvolle Hinweise zu entschlüsseln und das Versteck des Dolches finden. L...