Percy
Jetzt war er sicherlich vollkommen verrückt geworden. Ja, das musste die Erklärung sein. Denn das, was seine Augen sahen, war absolut unmöglich. Absolut unmöglich.
Die Schmerzen hatten seinen Verstand verschwinden lassen. Husch, weg. Einfach so. Er sah Geister, bildete sich diese Gestalt, die dem Sohn des Hephaistos so ähnlichsah, nur ein. Oder es war ein Nachhall von der Wirkung dieses Blitzes. Oder ein Zauber von Pontos. Oder, oder, oder. Es gab sicherlich viele Gründe. Mehr als genug.
Die alle wahrscheinlicher waren, als die Erklärung, dass Leo vor ihm stand.
Der Leo, der seit zwei Jahren tot war. Der sein Leben gegeben hatte, um Gaia zu besiegen.
Percy schüttelte den Kopf, um dieses Trugbild wieder loszuwerden. Er kniff die Augen zusammen, blinzelte. Dann sah er wieder auf. Leo stand immer noch da, starrte ihn an.
Der Leo, der gestorben war. Tot sein sollte.
„Percy, los jetzt. Wir haben keine Zeit!", hektisch sah dieser falsche Leo über seine Schulter, er riss seine Augen auf. „Verdammte Scheiße.", fluchte er. Und dann, diesmal brüllend: „FESTUS! Wir brauchen Feuer! VERBRENNEN! VERBRENNEN!"
Leo, der unmöglich der echte Leo sein konnte, hüpfte auf und ab und sah dabei wie ein Kobold aus.
Dieser Anblick war zu viel für Percy. Er ließ sich zurück in den Sand sinken, vergrub das Gesicht in den Händen.
Was war das für ein beschissener Tag?
Zuerst dieser ganze Mist mit Pontos, Jimmy und Poseidon. Und jetzt halluzinierte er auch noch. Super. Ganz große Klasse.
Percy versuchte irgendwie, seine Gedanken zu ordnen. Egal, ob dieser Leo echt war, oder nur seinem vollkommen überforderten Gehirn entsprang, es war seine Chance, zu fliehen. Er biss die Zähne zusammen. Alles tat ihm weh, eigentlich wollte er nur liegen bleiben. Aber dann dachte er an Annabeth, an seine Mom, an Paul. An all die Leute, die irgendwo auf ihn warteten. Aufgeben war noch nie eine Option gewesen, warum sollte es das jetzt plötzlich sein?
Als er den ersten Schritt getan hatte und sich langsam hochstemmte, spürte er, wie neue Energie ihn durchflutete.
Halte durch, mein Sohn.
Das war Poseidons Stimme in seinem Kopf. Ganz deutlich. Drehte er jetzt endgültig durch?
Andererseits verschwand die Erschöpfung, das Atmen viel ihm leichter. Der Schmerz wurde erträglich. Er kam auf die Beine, taumelte kurz, doch dann erlangte Percy sein Gleichgewicht wieder. Eine nette Abwechslung zum ständigen Auf-dem-Boden-Liegen.
Und dann sah er sich um und wünschte sich im gleichen Moment, es nicht getan zu haben.
Ach. Du. Scheiße.
Der Strandabschnitt war ein Schlachtfeld. Ein paar der Bäume am Waldrand brannten lichterloh. Überall war Rauch und teile des Strandes waren dunkel, rußig und irgendwie glasig, als wäre der Sand aufgrund von starker Hitze geschmolzen.
In all dem Chaos brüllte ein bronzener Drache, spie Feuer und ließ alles zu einem Flammenmeer werden. Auf seinem Rücken stand eine junge Frau in Jeans und T-Shirt, ihre braunen Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, sie schoss mit einem Bogen einen bronzenen Pfeil nach dem Anderen ab, sie zielte auf Pontos. Ihr erster Schuss war grandios gewesen, doch nun prallten die meisten nutzlos von der Rüstung ab.
Irgendetwas an ihr kam Percy sehr bekannt vor. Die Art, wie sie die Pfeile in fließenden Bewegungen aus dem Köcher zog, zielte und dann die Sehne losließ.
Dann war da noch diese Leo-ähnliche Erscheinung. Die Gestalt, die schreiend Feuerbälle auf Pontos warf und mit wedelnden Armen hin und her lief, um den Schwerthieben des Gottes auszuweichen.
Percy runzelte die Stirn. Das sah schon sehr nach Leo aus.
Ihr müsst euch beeilen, Percy. Geht zurück ins Camp. Ich mindere Pontos Macht, aber das nicht mehr lange.
Wieder die Stimme von Poseidon. Er klang drängend.
Geht hinter die magische Schutzgrenze. Dort seid ihr sicher, dafür sorge ich. Los!
Das letzte Wort schien Percy einen Stromschlag zu verpassen. Er zuckte zusammen und wurde vollends aus seiner Starre gerissen. Die Erkenntnis traf ihn mindestens genauso hart.
Das vor ihm war nicht irgendeine Leo-Erscheinung.
Das war der echte Leo.
Live und in Farbe. Und diese junge Frau auf Festus-... das war Calypso.
Erinnerungen schossen durch Percys Kopf, er dachte an die Tage nach der entscheidenden Schlacht gegen Gaia zurück. Er erinnerte sich daran, wie Nico gesagt hatte, dass Leos Seele nicht in der Unterwelt angekommen war. Dieser Fakt war ein ungelöstes Rätsel gewesen- bis zum heutigen Tag.
Leo war nicht tot. Er war quicklebendig und ging gerade einem Urgott anscheinend so richtig auf die Nerven. Pontos brüllte immer wieder auf und hob seine Hände, als würde er das Meer nutzen wollen, doch nichts rührte sich. Das war Poseidon, er verhinderte es, dass der Urgott Percy und die Anderen wie Fliegen zerquetschte.
Wellen türmten sich in der Bucht, meterhoch schienen sie gegeneinander anzukämpfen. Zwei Götter, die um die Vorherrschaft stritten. Dunkle Wolken zogen am Himmel auf, der Wind versteckte sich und zerfetzte die Rauchschwaden in der Luft.
Die ganze Umgebung war geladen, wie vor einem Gewitter, das aufzog. Percy fühlte sich unter Strom gesetzt. Irgendwie war er mit der ganzen Situation ein wenig überfordert, er konnte nicht ganz fassen, was hier geschah.
Aber wie so oft hatte er keine Wahl. Er musste sich zusammenreißen, jetzt, sofort, auf der Stelle. Sonst würde er an diesem Tag vielleicht doch noch sterben und mit ihm Leo und Calypso.
Plötzlich drehte sich Calypso auf Festus Rücken zu ihm, sie zog einen Pfeil aus dem Köcher und schoss. Er surrte haarscharf an Percy vorbei, verfehlte ihn nur um ein paar Zentimeter. Ausnahmsweise funktionierte sein Gehirn wieder, er schloss daraus, dass sich ein Feind hinter ihm befinden musste. Er wirbelte herum und sah nur noch, wie sich eine der Kriegerinnen auflöste, indem sie zuerst erstarrte und dann in Glasscherben zerfiel, die sich noch in der Luft auflösten.
Das erinnerte ihn daran, dass da ja noch jemand war. Wo befand sich die Andere? Weit weg konnte sie auf jeden Fall nicht sein. Das war kein gutes Zeichen.
Calypso sprang von Festus Rücken und kam auf ihn zugelaufen. Ihre Augen blickten ihn ernst an, ihre Körperhaltung war kämpferisch. Sie sah genauso aus, wie Percy sie in Erinnerung hatte und trotzdem irgendwie anders. Nicht mehr so unnahbar, sondern menschlicher.
„Ich frage erst gar nicht, was hier los ist.", begrüßte sie ihn.
Percy schüttelte den Kopf. „Nein. Keine Zeit.", meinte er. „Wir müssen sofort ins Camp."
„Dann hole ich Leo.", erwiderte Calypso schnell. „Geh zu Festus. Schaffst du das?"
Er nickte schnell. Was blieb ihm anderes übrig? Außerdem war die Energie, die ihn durchströmt hatte, noch nicht verschwunden.
Percy hoffte, dass das noch eine Weile so bleibenwürde.
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Die Waffe der Meere
FanficPercy hat es geschafft- er ist aus der Vergangenheit zurück. Doch viel Zeit zum Erholen bleibt ihm nicht, denn die Zeit drängt. Die Halbgötter müssen versuchen, Bethanys geheimnisvolle Hinweise zu entschlüsseln und das Versteck des Dolches finden. L...