Käuflich

506 24 30
                                    

Seit diesem Tag fühlte sich alles anders an. Ich konnte einfach nicht mehr in dem Bett schlafen. Ich konnte nicht mehr in diesem Haus bleiben. Tagelang tigerte ich durch die Villa, versteckt vor Said oder Burak. Auch Mevlida hatte ich nicht mehr gesehen, wahrscheinlich kam sie nicht mehr, damit ich ihr nichts erzählen konnte. Ich sah im Spiegel nur noch eine abgemagerte, müde Frau, die mich aus glasigen Augen beobachtete. Meine Wunde an der Augenbraue war weitestgehend gut verheilt, jedoch musste ich mich mit einer kleinen Narbe anfreunden. Sie war nicht auffällig, aber sie waren eben da. Meine Lippe war durch Saids Ohrfeigen deutlich schlimmer geworden, nicht nur blutig, auch dick und farbig. Ich musste hier weg, ertrug es nicht länger. Said dürfte nicht da sein, Burak hatte ich weder gesehen, noch kommen gehört. Kurz horchte ich ins Innere hinein, es war absolut still. Mein Blick auf die Auffahrt bestätigte mir seine Abwesenheit, mein Auto war nicht mehr da. Das ist deine Chance, dachte ich sofort. Jetzt oder nie. Ich packte ein paar Sachen in meine Sporttasche und sah mich ein letztes Mal in meinem Zimmer, seinem Tatort um. Wenn ich jetzt ging, wäre es höchstwahrscheinlich für immer, doch was hielt mich hier? Ich konnte die Sache nicht mehr zum Guten wenden, dafür war es zu spät. Der einzige Punkt auf der vermeintlichen Kontraliste war, dass es nicht mehr schlimmer kommen konnte, zumindest wenn er mich nicht umbrachte, aber selbst das wäre mir recht. Dann würde ich mich jedenfalls nicht mehr so schrecklich in meinem Körper fühlen, so verbraucht. Ein kurzer Blick auf den Flur zeigte mir absolute Verlassenheit, weshalb ich nicht riskierte das Licht anzumachen und huschte leise die Treppen hinunter, zur Haustür. Es war totenstill im Haus. Ich öffnete die Haustür, schlüpfte durch sie hin durch und versuchte sie so leise wie möglich zu zu machen, denn so richtig traute ich dem Braten noch nicht.

"Amina! Warte, wo willst du hin?", Burak riss von der anderen Seite die Tür wieder auf und starrte mich an. Anstatt los zu rennen blieb ich wie angewurzelt stehen. "Ich dachte, du bist nicht da". "Es tut mir Leid..", flüsterte er und wollte nach meinem Arm greifen, doch ich war schneller. "Du hast doch gar keine Ahnung!", zischte ich. "Hier:", er reichte mir ein paar bunte Scheine. Skeptisch sah ich auf das kleine Bündel. "Ich weiß, es ist nicht viel, aber es ist alles was ich die letzten Tage bekommen habe." Ich betrachtete das Geld und überschlug es im Kopf. Knapp 300€ sollten es sein. "Warum gibst du mir das?", hakte ich nach. "Weil ich dir helfen will. Nimm mein Auto!", er hielt mir die Schlüssel entgegen, doch ich lehnte ab. "Danke, aber dann finden sie raus, dass du mir geholfen hast. Ich muss jetzt echt, bevor er wieder kommt. Danke, echt!", ich hob ein letztes Mal die Hand, dann drehte ich ihm den Rücken zu und lief, als würde mein Leben davon abhängen, was es ja auch irgendwie tat. Auf dem Weg zu Raphael plagte ich mich die Frage, wieso er mir half, was das eine List? Oder hatte er doch mehr mitbekommen, als angenommen? Ein schlechtes Gewissen? Ich konnte es nirgendwo dran festmachen, auch nicht als ich vor der Haustür meinen Freundes stand und wie verrückt Sturm klingelte. Doch er machte nicht auf. Zögerlich zog ich den Haustürschlüssel hervor, den ich noch immer bei mir hatte und schloss auf. Der Code für den Fahrstuhl war immer noch derselbe. Als sich die Schiebetüren in der obersten Etage öffneten, strömte mir vertraute Luft entgegen. Es roch nach seinem Parfüm, es roch nach seinem zu Hause, ihm. Ich ließ meine Tasche auf den Boden im Wohnzimmer fallen und rief seinen Namen, doch bekam keine Antwort. Überall suchte ich ihn, im Studio, im Bad, auf der Dachterrasse, im Schlafzimmer, doch er war nicht da. Im Bad, welches an sein Schlafzimmer angrenzte sah ich, dass sein Rasierer unsanft aus der Steckdose gezogen war, generell sah es sehr unaufgeräumt aus. Die Handtücher lagen nicht wie sonst, ordentlich gestapelt im Regal, sondern wirkten zerpflückt. Ein Blick in sein Ankleidezimmer, bestätigte mich, er war abgereist und das wohl ziemlich schnell. Wahrscheinlich war er in Wien bei seiner Familie. Ich setzte mich auf "unser" Bett, das mir irgendwie schon fremd vorkam und überlegte. Für eine Zugfahrt oder Flug würde es reichen, allerdings hatte ich weder einen Personalausweis mit, noch meinen Reisepass. Beides lag zu Hause in der Villa, im Safe. Hier in der Wohnung bleiben konnte ich auch nicht, würde meine Familie vermutlich hier anfangen nach mir zu suchen. Ich wusste nicht wo Max und Anna wohnten für Michaels Haus hatte ich keine Schlüssel. Die einzige Möglichkeit schien mir Hamburg zu sein.

Inshallah Amore | Raf CamoraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt