Arafats Sicht
Der Antrag auf Kaution rauszukommen wurde endlich bewilligt, nach Wochen im Loch konnte ich nach Hause. Beim Bruder holte mich ab und fuhr mich zur Villa. "Wallah, freu ich mich auf zu Hause.", grinste ich, er erwiderte es nur schwach. "Was gibt's Neues? Wie läuft das Geschäft?" "Gut, gut.", nickte er ab und parkte das Auto auf der Auffahrt. Das Auto von Amina stand dort, sie waren also zu Hause, was mich noch ein wenig mehr freute. Ich betrat mein Haus, alles sah aus wie immer. Unsere Haushälterin kam um die Ecke. "Willkommen zu Hause. Habe Essen im Ofen. Können setzen, ich bringe Ihnen.", begrüßte sie mich freudig. "Vielen Dank, gleich. Erstmal möchte ich meine Tochter sehen.", etwas missbilligend nahm sie meine Worte zur Kenntnis und verschwand wieder in der Küche. "Amina?", schrie ich, doch erhielt keine Antwort. Stattdessen kam Said die Treppe runter und umarmte mich herzlich. "Wo ist meine Tochter?", fragte ich ignorierend. "Sie ist weg." "Wo ist sie?", ich verstand nicht. "Sie ist abgehauen, vor ein paar Tagen.", mein Bruder war mittlerweile ins Haus gekommen und stand hinter mir an der Tür. "Wie konnte sie abhauen?", rief ich wütend. "Und warum sagt es mir keiner?" "Wir wollten nicht, dass du noch mehr aushalten musst, wenn du da drin sitzt.", klopfte Nasser auf meine Schulter. "Geht mir aus den Augen!", schrie ich sauer und beide verließen das Haus. Stille. Einsame Stille, herrschte im Haus. Ich zog meine Jacke und Schuhe aus und ging die Treppen hinauf zu ihrem Zimmer. Es war unordentlich, sie hatte es also ziemlich schnell verlassen. Vorsichtig legte ich die Bettwäsche zur Seite und ließ mich auf ihrem Bett nieder. Was hatte sie dazu bewegt? Es klopfte an der Tür, weshalb ich auf sah. Mevlida stand dort und wusste augenscheinlich auch nicht so recht, ob es richtig war mich an zu sprechen. "Ich darf stören?", fragte sie vorsichtig, was ich nicht verübeln konnte. "Wissen sie etwas von meiner Tochter?", fragte ich sie selbst. Sie schüttelte den Kopf, überlegte aber noch. "Ich bin erst wieder da ein paar Tage, davor eine Woche nein. Ihre Tochter kaum hat gegessen, immer sehr traurig. Einmal gewaschen, weil Bettwäsche voller Blut.", erzählte sie und ich wurde hellhörig. "Voller Blut?" "Ja, Amina hat gesagt von Periode, aber war Kopfkissen.", mein Blick dürfte nicht fragender gewesen sein, als ihrer. "Vielleicht sie sollten fragen den Burak, er war oft hier, damit sie nicht allein war.", riet sie mir, wofür ich ihr sehr dankbar war. Sie gab mir außerdem eine Telefonnummer. "Sie können denn gehen.", entließ ich sie. "Hoffe es geht ihr gut.", sie sah mich eindringlich an und ging. Ich wählte direkt die Nummer von diesem Jungen. "Hallo?", seine Stimme klang noch jünger als ich dachte. "Komm sofort zur Villa.", ordnete ich barsch an. "Wer ist denn da?", fragte er noch. Meine Antwort war nur ein Knurren:"Arafat."
Keine 20 Minuten später klingelte es an der Haustür. Als ich öffnete stand ein junger Mann vor mir, offensichtlich auch jünger als meine Tochter. "Burak? Nehme ich an?", vergewisserte ich mich. Er nickte und ich ließ ihn ins Haus. "Weißt du was von meiner Tochter?", fiel ich sofort mit der Tür ins Haus. "Sie ist weggelaufen, weil sie Angst hatte.", sagte er so, als wenn es offensichtlich wäre. "Warum hatte sie Angst? Wovor?" "Vor ihm.", sagte er schlicht. "Wieso?", langsam wurde ich sauer, rückte er nicht bald mit der Sprache raus, bereute er es. "Er war unberechenbar, er ist ihr immer nähergekommen, aber sie wollte nicht. Er hat sie geschlagen, mehrmals.", seine Aufregung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Als sie mich besucht hatte, hatte sie ein blaues Auge, sie sagte es sein von einem Treppensturz. Schon damals habe ich es ihr nicht glauben können. "Zuletzt war ihr Auge blau, ihre Lippe aufgeplatzt. Einmal ist sie ohnmächtig geworden, da habe ich sie ins Bett getragen. Ich weiß aber nicht wieso.", berichtete er mir bedrückt. "Sie hat immer versucht alles geheim zu halten um ihn zu schützen, glaube ich." Das klang nach meiner Tochter, alles für die Familie. "Weißt du wo sie hin ist?" "Nein, leider nicht. Wissen Sie was bei der BMG passiert ist?", drehte er den Spieß um und fragte mich. Ich zuckte mit den Schultern. "Sie hat sich weggeschlichen, mit so einer anderen Frau. Wir haben sie auf der Dachterrasse entdeckt mit einem anderen Mann." Er wartete meine Reaktion ab. Ich forderte ihn nur auf weiter zu sprechen. "Mit Raf Camora, sie wirkten sehr vertraut. Said ist dazwischen gegangen und hat ihr klar gemacht, dass sie seine Frau ist, Nasser hat sie weggezogen und mir gegeben, ich hab sie reingebracht. Die Jungs haben mir erzählt dass Said gesagt hätte, er hätte sie geschickt wegen irgendeinem Deal. Ich dachte, ich hab richtig gehandelt und ihr fremdgehen gestoppt, aber ich glaube das war falsch." "Warum?" "Ich habe danach bei ihr gesessen, stundenlang bis sie aufgewacht ist und dann hab ich Said angerufen, weil er mit ihr sprechen wollte, seitdem war sie wie ein Geist, ich habe sie abends im Bad gefunden und ins Bett getragen. Sie hat kaum noch was gegessen und sich nur versteckt, vor allen." "War's das?" Er nickte. "Du kannst gehen.", er nickte erleichtert, stand auf und ging zur Tür. "Werden sie es Said sagen?", befürchtete er. "Junge, geh nach Hause und kümmere dich um deine Familie." wies ich ihn an. Seine Worte gaben mir zu denken. Hatte sie wirklich gegen unsere Abmachung verstoßen und hatte wieder Kontakt mit ihm aufgebaut? So hatte ich mir meinen ersten Tag in Freiheit nicht vorgestellt. Said tauchte nicht wieder auf, weshalb ich nochmal in ihr Zimmer ging und nach irgendwelchen Hinweisen suchte. Unter dem Bezug von ihrem Kopfkissen schimmerte ein bräunlicher Fleck, ich zog es aus und betrachtete ihn im Licht. Es war Blut. Wie der Junge es gesagt hatte.
Im Papierkorb fand ich roten Stoff, der sich als ich es rausholte, als Kleid entpuppte. Ein ziemlich aufreizendes Kleid, welches meiner Tochter gar nicht ähnlich sah. Hatte sie es für Said oder für Camora getragen? Der Schlitz des Kleides war eingerissen, doch auch wenn er nicht gerissen wäre, hätte ich ihr nicht erlaubt es zu tragen. Ihr Schminktisch war unaufgeräumt, wie immer wenn sie sich zurechtgemacht hatte. Ob davon was fehlte, keine Ahnung. Aus ihrem Schrank waren einige Sachen herausgerupft und ihre Sporttasche fehlte. Die hatte sie wahrscheinlich mitgenommen. Wo sie wohl war? Sie war nicht dumm, sie würde auf keinen Fall direkt zu ihm gehen, denn dort würden wir sofort suchen. Völlig in Gedanken durchsuchte ich ihr Zimmer und entdeckte ich einen Karton, der sich unter ein paar Kleidern verbarg. Ich zog ihn heraus und betrachtete die Adresse, kannte diese Handschrift nicht. Gespannt setzte ich mich aufs Bett und öffnete ihn behutsam. Als allererstes hielt ich olivfarbenen-seidenen Stoff in den Händen, ebenfalls ein Kleid, im Gegensatz zu dem anderen aber ganz nach meinem Geschmack, sehr elegant aber bedeckt. Dann ihr Morgenmantel. Viele Shirt von ihr, die ich schon lang nicht mehr gesehen hatte und ein T-Shirt, was ich noch nie gesehen hatte. Argwöhnisch legte ich es zu Seite. Allerlei Zeug lag auf dem Boden des Kartons, Schminksachen, Shishatabak, rauchte Amina etwa Shisha? Mein besonderes Augenmerk fiel auf einen schwarzen Beutel, wie ich ihn von Schmuck kannte und zog ihn heraus. Wie angenommen, befand sich dort drin eine rote Schmuckschachtel, Cartier. Als ich sie öffnete, blickte ich auf einen goldenen Ring mit einem Diamanten drauf, excellent geschliffen, der komplette Ring war ebenfalls mit winzig kleinen Steinen besetzt. Auf der Innenseite fand ich eine Gravur in arabischer Schrift. Nur mit Mühe und Not konnte ich die winzigen Schriftzeichen entziffern, es war ein kleines Meisterwerk und musste unfassbar teuer gewesen sein. Es war eine etwas abgewandelte Form eines bekannten Zitats aus dem Islam, übersetzt hieß es so viel wie: Einmal in dieser Welt und einmal im Dschanna, was das Paradies bedeutete. Der Schriftzug zog sich durch den gesamten Ring und war ergänzt durch ein geschwungenes A&R. Es war ein Verlobungsring.
Erst jetzt begriff ich, dass er ihr die letzten Sachen geschickt hatte, um das mit ihnen abzuschließen. Entgegen meiner Erwartung, sie hätte sich auf einen Halbstarken eingelassen, überraschte mich es. Ich hatte bisher keine Nachforschungen über ihn anstellen können, weil ich es anfangs nicht wollte und dann keine Gelegenheit mehr dazu hatte. Wie dumm war ich gewesen? Meine Tochter war nicht irgendein naives Mädchen, wenn sie sich gegen ihre Erziehung auflehnte, mich hinterging, bedeutete es mehr. Raf war wesentlich älter als sie, aber wahrscheinlich hatte es genau deswegen gepasst. Er war nicht mehr voll dummer Ideen, unrealistischen Träumen, die er nicht erreichen würde, weil er nichts tat oder lieber in Bars abhing. Er stand im Leben und konnte meiner Tochter etwas bieten, war bereit eine Familien zu gründen. Der Ring zeigte mir, dass Amina sich auch mit ihm treu geblieben war und er ihre Werte unterstützte. Ich hatte ihre Beziehung, mit Gefühlen, Zuneigung und Respekt weit unterschätzt. Ich packte den Karton wieder zusammen, nur den Ring behielt ich bei mir und verstaute ihn wieder unten im Schrank. Missmutig rief ich meine Brüder an und orderte sie zu mir nach Hause.
Zu deren Glück dauerte es nicht lang, bis sie mein Haus betraten. "Schön, dass du wieder da bist Bruder.", klopften sie mir auf die Schulter und setzten sich. "Da ihr ja nun endlich alle da seid.. ich brauche Info. Was ist stand der Dinge?", kam ich zum Punkt. Sie blickten sich alle einmal der Runde nach an, bis Nasser das Wort ergriff:"Wir haben seine Wohnung in Berlin gekreuzt und ihn bis nach Wien verfolgt. Laut seinem Instagram ist er in Barcelona, macht sich ein schönes Leben am Strand.", innerlich kochte ich. "Schön, was haben wir zu Amina?", versuchte ich mich selbst zu beruhigen. Alle zuckten mir den Schultern. "Ist das euer Ernst? Ihr verfolgt ihn und sucht nicht nach unserem Blut?", meine Stimme donnerte durch das Haus. "Geht und findet sie!", befahl ich und sie suchten das Weite. "Nasser..", hielt ich den ältesten meiner Brüder zurück. "Ich will, dass das aufhört. Lasst ihn und seine Familie in Ruhe, wir haben keine Zeit dafür. Ich will meine Tochter wieder haben. Finde nur raus wo er wirklich ist", er nickte verständnisvoll. "Was soll der Scheiß?", schrie es von der Haustür und Said spazierte herein. "Was soll das heißen, wir lassen ihn in Ruhe? Er hat sie angepackt!", spuckte er mir vor die Füße. Ich gab meinem Bruder ein Zeichen zu gehen und setzte mich in aller Seelenruhe an den Tisch im Wohnzimmer. "Setz dich mein Junge.", ich deutete auf den Stuhl gegenüber, wo er trotzig platz nahm. "Woher stammen ihre Verletzungen?"
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Inshallah Amore | Raf Camora
Fiksi PenggemarIn dieser Story geht es um die 22-ährige Mina und um ihre Familie, mitunter um ihren Vater Arafat Abou-Chaker, ihrem Onkel Anis Ferchichi und ihren besten Freund/schon fast Bruder Michael Schindler. Wie es sich in einer arabischen Großfamilie, mit...