Barcelona

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Raphaels Sicht

Ein paar Tage schon war ich zurück in Wien, zu Hause hatte ich es nicht ausgehalten. Meine Mutter und meine Schwester lenkten mich ein bisschen ab, hatten sie anfangs noch andächtig auf mein bläuliches Jochbein gesehen, ignorierten sie es mittlerweile völlig. Zum Glück heilte es relativ schnell. Sie hatten nicht gefragt, was war oder ist. Sie gaben mir Raum zum atmen und trotzdem hatte ich das Gefühl zu ersticken, innerlich zu verbrennen. Ich beschäftigte mich damit eine passende Location für mein Studio zu suchen, auch wenn ich sie verfluchte, die Idee von einem zusätzlichen Studio bei meiner Familie in Wien, war genial. In den letzten Tagen hatte ich mir mehrere Häuser, Stockwerke in Häusern und Industriegebäude angesehen, meine Wahl stand fest. Ich hatte das optimale Wo gefunden. Der Makler war nicht zu erreichen, weshalb ich murrend in die Küche zu den zwei Frauen meines Lebens ging und zumindest ihnen schon mal von meinem Entschluss erzählte. Sie freute sich riesig, meine Schwester fiel mir in die Arme und auch meine Mutter war außer sich. "Sie tut dir gut mein Sohn.", umarmte sie mich und stach das Messer unbeabsichtigt tiefer in mein Herz. "Sprich bitte nicht immer von ihr als wäre sie eine Heilige.", zischte ich und fingerte nach meinem klingelnden Handy. Entgegen meiner Erwartung war es nicht der Makler sondern eine Berliner Nummer. "Hallo?", meldete ich mich zögerlich. "Herr Ragucci? Mein Name ist Zimmer von der Dienststelle-...", stellte sich der unbekannte Anrufer vor. "Uns erreichte der Anruf einer Nachbarin von Ihnen, bei Ihnen wurde eingebrochen." Das konnte doch jetzt nicht wahr sein. Sofort wusste ich wer dahinter steckte. Er teilte mir mit, wie weiter verfahren wurde, was für mich bedeutete dass ich Wohl oder Übel erstmal wieder nach Berlin musste, um die Sache zu regeln. Diese Missgeburten. Ich legte auf, buchte den nächsten Flieger zurück nach Berlin und überbrachte meiner Familie die Neuigkeiten. "Hast du dir Feinde gemacht junge?", fragte mich meine Mutter nachdenklich. Ich teilte ihr meinen Verdacht wahrheitsgemäß mit:"Ich denke, dass ihre Familie dahinter steckt." "Ist es dann gut, allein dorthin zu fahren?", warf sie ein. "Wenn sie was gesucht hatten, dann haben sie es mit Sicherheit schon genommen.", beschwichtigte ich sie und packte, mal wieder, meine Sachen und fuhr geradewegs zum Flughafen. Mein Auto ließ ich dort stehen, denn ich würde nicht allzu lang bleiben.


Als ich meine Wohnung betrat, traf mich der Schlag. Alles war verwüstet, aus den Schränken gekramt, verstreut, durchwühlt. Es fehlte aber offensichtlich nichts, meine Uhren waren alle da, mein Schmuck auch, der Safe war zu. Schlüssel hingen alle am Brett. Sogar die Autos waren alle da und hatten nichts abbekommen. Mein Verdacht bestätigte sich, es war ihre Familie. Und zwar nicht um mich zu beklauen, sondern um mir eine Botschaft zu schicken. Wahrscheinlich hatten sie gehofft mich hier anzutreffen, da sie kein Glück hatten, ließen sie sich an der Wohnung aus. Tief durchatmend nahm ich den Fahrstuhl, fuhr nach unten und machte mich auf den Weg auf die zuständige Polizeiwache. Ich sollte meine Personalien aufgeben und es sollte geklärt werden, was fehlt, und so weiter. Es dauerte eine Ewigkeit. Ich hasste Dienststellen der Polizei, vor allem musterten die Beamten einen immer so misstrauend, als ob man selber ne Leiche im Keller hatte.

Mein Flieger zurück nach Wien würde erst am nächsten Tag starten, weshalb ich beschloss am heutigen Tag Anna und Max einen Besuch abzustatten. Ich rief kurz durch, ob es passte, schließlich hatte ihre Familie sicherlich eigene Pläne, doch Anna lud mich herzlich zum Essen ein. Angekommen bei ihnen, klingelte ich und schon wurde die Tür aufgerissen. "Hey jo Raf, was geht? Komm rein!", begrüßte mich Kontra und ließ mich herein. "Was geht!?", rief sein Sohn freudig und kam die Treppe runter gesprungen. "Vorsichtig! Wie oft habe ich dir gesagt, auf der Treppe wird nicht rumgehüpft?", maßregelte Anna ihn und zog mich kurz in ihre Arme. "Ihr könnt euch schon mal setzen.", sie schob uns durch ins Wohnzimmer und huschte flink wieder in die Küche. "Bruder, was machst du in Berlin? Bist du nicht erst geflogen?", erkundigte sich Max und ich berichtete ihm von meinem Tag, auch er war der Meinung, dass die ABC-Familie damit zu tun hatte. Wir verschoben das Gespräch auf später, als Anna uns zum Essen rief.

"Warum glaubst du, haben sie das gemacht?", fragte Anna kritisch, nachdem ich sie ebenfalls auf den neusten Stand gebracht hatte. "Entweder sie wollten mich antreffen oder das war eine Warnung.", mutmaßte ich und dachte nach, wie das alles zusammen passte. "Weißt du was ich glaube?", riss mich die Blondine aus meinen Gedanken. "Sie ist nicht gekommen, weil er sie geschickt hat, sie ist gekommen weil sie dich liebt und er will verhindern, dass ihr euch wieder nähert, trefft, damit er sie für sich haben kann. "Ja daran habe ich auch schon gedacht. Aber warum hat sie mir geschrieben, dass es ein Fehler war?", darauf konnte sie mir leider auch keine Antwort geben. Es machte mich verrückt. Ich blieb noch etwas bei ihnen, lehnte mehrmals ihr Angebot ab, mir beim Aufräumen in meiner Wohnung zu helfen und fuhr gegen Mitternacht nach Hause. Mein Körper war geschafft, doch mein Geist hellwach und zermarterte meinen Kopf mit vielen Fragen, warum, weshalb, wieso und alle betrafen Amina. Die Küche war meine erste Baustelle und so fing ich an Scherben auf zu fegen, Gewürze wieder zu ordnen und ordentlich zu verstauen bis ich gar nichts mehr denken konnte und müde ins Bett fiel.

Keine zwei Stunden Schlaf wurden mir gegönnt, da klingelte schon wieder mein Handy. Es war Farido. "Bruder, was gibt's mitten in der Nacht?", meine Stimme war vom Schlaf belegt. "Raf, hör zu. Heute Nachmittag stand die ganze Zeit so ein Van auf der anderen Seite der Straßenkreuzung. Heute Abend kamen zwei in meinen Laden und haben ein Foto von deiner Freundin rumgezeigt und gefragt, ob sie sie mal gesehen haben. Sie haben uns mit ner Neuner bedroht und gefragt wo du bist.", seine Stimme klang aufgedreht, aber nicht panisch. "Raf.. Sophia war bei mir." WAS? "Wo ist sie jetzt? Wie geht's ihr?", klang ich jetzt nahe zu panisch. "Sie ist zu Hause, Agic ist bei ihnen.", etwas beruhigter atmete ich hörbar aus. "Sorry Bruder, wie kann ich das je wieder gut machen?", murmelte ich schuldbewusst. "Alles gut Bruder, mach dir keine Gedanken, Hauptsache deiner Schwester geht es gut.", wie dankbar ich ihm war konnte ich nicht in Worte fassen. Stunden nach dem wir aufgelegt hatten, lag ich mit offenen Augen im Bett und dachte nach, wie es am besten weiterging. Hier bleiben würde ich nicht, nach Wien wollte ich nicht, denn sobald rauskam das ich dort war, war meine Familie nicht mehr sicher. Es fickte meinen Kopf hart, ich wusste nichts mehr. In den frühen Morgenstunden hatte ich einen Koffer gepackt und räumte zumindest das große Chaos auf. Es traf mich der Schlag als ich in mein Studio Zimmer kam. Mein Mischpult war im Arsch, irgendeine komische Flüssigkeit drüber gekippt. Die Scheibe zur Aufnahmekabine eingeschlagen. Wie viel Hass muss in ihm stecken? Mein Handy kündigte Marten an, doch ich drückte ihn weg und stellte mein Handy auf Flugmodus. Ich wollte keinen Sprechen oder Hören. Ich brauchte Ruhe um Nachzudenken. Meinen Flug hatte ich bereits aus meinem Bett umgebucht, gemeinsam mit meinem Koffer stieg ich ins Taxi.

Am Flughafen angekommen aktivierte ich mein Handy und rief Sophia an, welche schon nach dem zweiten Klingeln ran ging. "Hallo?", hörte ich ihre liebe Stimme. "Schwesterherz, wie geht es dir?", erkundigte ich mich und hörte das Lächeln auf ihrem Gesicht in ihrer Antwort. "Mach dir keine Sorgen, ich bin kein kleines Mädchen mehr. Es ist alles gut bei uns." Sie wurde mit einer Waffe bedroht und ich sollte mir keine Sorgen machen.. "Raphael? .... Pass bitte auf dich auf und hol Mina wieder nach Hause.", bat sie mich eindringlich. "Wie meinst du nach Hause?", sie überlegte kurz. "Zu unserer Familie.", nicht sie auch noch. "Ich weiß nicht, ob das ihr zu Hause ist.", knurrte ich angefasst. "Wie dem auch sei, ich komme erstmal nicht nach Wien, sondern fliege nach Barca, damit bei euch wieder Ruhe einkehrt." Entsetzt schrie meine Schwester auf:"Was allein?" "Ich bin nie alleine. Weißt du doch.", versicherte ich ihr, obwohl ich mich auch nur auf den Wachdienst vor meinem Haus verlassen konnte, doch das brauchte sie nicht zu wissen. "Du weißt schon, was du tust.", gab sich meine Schwester geschlagen. "Grüß Mama von mir.", bat ich sie, dann legten wir auf. Sofort postete ich ein altes Video aus Barcelona, damit auch ja jeder sehen konnte, dass ich weder in Berlin noch in Wien war und schaltete mein Handy aus, um eventuelle Anrufe und Nachrichten gar nicht an mich ran zu lassen.

Auf dem zweistündigen Flug versuchte ich meine Gedanken zu sortieren, irgendwie alles was passiert war, einzuordnen. Ich weiß, ich hatte keinen Grund ihm mehr zu glauben als ihr, aber sie hatte geschrieben, dass es ein Fehler war. Von Elena wusste, ich dass sie an uns gezweifelt hatte und warum vor allem, war sie einfach mit ihnen gegangen als wir auf dem Dach waren? Außerdem hatte Ronny mich an dem Abend tatsächlich um ein Gespräch gebeten, was irgendwelche Geschäfte betraf. Sie hatte mir auch geschrieben, dass sie mich liebt. Sie war zu mir gekommen, als Anna sie aufgefordert hat und sie hat gezögert zu mir zu kommen, weil sie nicht wusste, was zwischen uns ist, wie wir zu einander stehen. Sie hat ehrlich und offen mit mir gesprochen. Was für sie sprach, war außerdem, dass es zu gar keinem Geschäft gekommen ist, ihre Familie überhaupt nicht näher darauf eingegangen ist. Wenn der Piç die Wahrheit sagte, warum war er dann hinter mir her, verwüstete meine Wohnung und bedrohte meine Familie?

Inshallah Amore | Raf CamoraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt