Schweigepflicht

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Aminas Sicht

"Wow, wie hast du so schnell einen Termin in der Praxis bekommen? Ich muss immer Wochen warten.", staunte Anna und drehte sich auf dem Beifahrersitz nach hinten. "Babe, mit Geld geht alles.", lachte Max und zwinkerte mir durch den Rückspiegel zu. "Naja, eigentlich hat mein Nachname gereicht.", murmelte ich verlegen und beide sahen sich wissend an. "Hast du denn Beschwerden?", fragte Anna wie aus dem nichts und ich lief rot an. "Ähm....", ich zuckte mit dem Kopf Richtung Max und sie verstand. "Sorry.", flüsterte sie und war nun diejenige die verlegen grinste. Sie setzten mich vor der Praxis ab und wir machten aus, das ich anrufen sollte, wenn ich fertig und es Raphael hoffentlich auch war. Das Wartezimmer war voll, über all spielten kleine Babys auf dem Boden herum oder sahen mich aus großen Kulleraugen an. Verzückt musterte ich jedes einzelne von ihnen. "Frau Amina A-", bevor sie weitersprechen konnte, sprang ich auf und lief auf sie zu. Die unangenehmen Blicke mussten jetzt nicht sein. Sie nahmen mir Blut ab und ich durfte schon durch ins Sprechzimmer gehen. "Die Ärztin ist gleich bei Ihnen, Sie können schon Platz nehmen.", die Arzthelferin drückte mich auf einen der Stühle und verließ das Zimmer. Lange wartete ich nicht, da kam die Ärztin herein und gab mir die Hand. "Hallo, was führt sie zu uns?", fragte sie mich und nahm ebenfalls hinter ihrem Schreibtisch platz. "Wir vermuten, dass ich schwanger sein könnte.", diese Worte auszusprechen fiel mir unglaublich schwer. "Wie kommen sie darauf?", fragte sie genauer. "Nunja, ich hatte schon ewig lange meine Regel nicht mehr und muss mich oft übergeben. Mein Freund denkt, ich wäre schwanger. Ich glaube eher es ist Stress." "Haben sie denn viel Stress?", ich überlegte was ich sagen könnte. "Bis vor ein paar Tagen ja, jetzt geht es. Ich habe in den letzten Wochen auch abgenommen, versuche auch wieder mehr zu essen. Aber es ist nicht so einfach.", sie nickte anerkennend. "Dann machen wir mal einen Ultraschall, sie können schon nach neben angehen und dann einmal untenrum frei machen.", sagte sie so als wenn es das normalste der Welt wäre. "Ähm, was genau machen sie denn?" hakte ich nach. "Einen Ultraschall durch die Bauchdecke und wo sie schon mal da sind, können wir die übliche Routineuntersuchung gleich mit abhaken.", lächelte sie zwinkernd. "Ich hatte noch nie so eine Untersuchung und eigentlich will ich das auch nicht.", zweifelte ich an. "Diese Untersuchung findet meist auch erst statt wenn man Verkehr hatte.", sie sprach darüber wie übers Wetter, mir war es ultra peinlich. "Aber eigentlich hatte ich den nicht.", stammelte ich und sie legte den Kopf schief. "Entschuldigen Sie die Frage, aber wieso vermuten Sie dann schwanger zu sein?", berechtigte Frage. Ich überlegte kurz. "Frau Abou-Chaker sie wissen ich bin an die Schweigepflicht gebunden.", oh glauben sie, wenn sie Besuch von meiner Familie bekommen, dann vergessen sie das ganz schnell. "Es war nicht ganz freiwillig, aber es war nicht mein Freund. Ich sag ihnen nicht wer, ich möchte dass sie sich daraus halten.", überwand ich mich. Ich hatte erwartet ein schockiertes Gesicht zu sehen, doch sie behielt ihr Pokerface. "Wie lang ist das her?", fragte sie. "Einige Wochen.", gab ich zu und sie notierte sich etwas. "Hören Sie, ich kann verstehen, dass sie einige Dinge nicht machen wollen und das ist okay, ich würde trotzdem einige Tests machen, damit wir sichergehen können, dass es ihrem Körper auch nach SO etwas gut geht, einverstanden?", es klang plausibel und verantwortungsbewusst. Ich vertraute ihr und so ließ ich es über mich ergehen. Zwischendrin brachte die Helferin die Testergebnisse herein. Meine Ärztin verteile etwas durchsichtiges Gel auf meinem Bauch und setzte dann das Ultraschallgerät an, tippte etwas auf ihrem Bildschirm herum und analysierte die Bilder. Dann schnappte sie sich den Laborbericht und nickte. "Frau Abou-Chaker, sie sind nicht schwanger." Der Stein der von meinem Herzen viel war größer als unsere Erde selbst. Beinahe hätte ich sie umarmt. "Danke.", flüsterte ich mit Tränen erstickter Stimme und sie tätschelte meinen Arm. "Ich wünsche Ihnen alles Gute und wenn sie über etwas reden wollen, rufen oder sprechen sie uns an. Wir haben gute Kontakte, die sich mit sowas auskennen.", dankend nahm ich ihre Hand und wir verabschiedeten uns. Sie hatte mir ein paar Empfehlungen zur Beruhigung mitgegeben, aber ich hielt nicht viel davon, schon gar nicht wollte ich mit irgendwelchen Tabletten zum Schlafen anfangen. Trotzdem suchte ich die nächste Apotheke auf und holte mir etwas gegen Übelkeit, was mich gleichzeitig etwas runterbringen würde. Und eine Art Astronauten-Nahrung, kleine Fläschchen mit einer hochkalorischen Mischung aus Eiweiß, Kohlenhydraten und Fetten um wieder mehr auf die Rippen zu bekommen. Ich verstaute alles in meiner Handtasche und beschloss meinen Freund anzurufen, welcher wider erwarten ziemlich schnell abnahm. "Ja?", ich hörte das Lächeln in seiner Stimme. "Hey, ähm.. ich bin fertig. Hast du Zeit?" Kurze Stille. "Schick mir deinen Standort, ich hole dich ab." "Okay, bis gleich.", wir legten auf und ich sendete ihm wo ich mich befand. Er schrieb mir sofort zurück: <<Bin gleich da, 15 Minuten>> Erschöpft ließ ich mich auf eine kleine Bank ein paar Häuser weiter fallen und wartete. Ob es gut wäre, wenn ich den Rat meiner Ärztin befolgte und mal mit jemandem reden sollte? Vielleicht würden dann diese ganzen Albträume besser werden oder gar aufhören. Auf der anderen Seite, was sollte ich meinem Freund sagen? Wobei die Tatsache, dass er wirklich dachte ich hätte ihn je aus freien Stücken betrügen können, schockierte mich. Zwar nahm ich ihm nicht übel, dass er sich abgelenkt hatte, auch wenn es mir weh tat, aber eigentlich hatte ich gedacht, er hätte verstanden wie ich Said verabscheute. Dieser ehrenlose Hund, mir wurde wieder schlecht. Ich legte eine der kleinen Tabletten unter meine Zunge und versuchte ruhig zu atmen, mich völlig darauf zu konzentrieren wie die Luft in meinen Körper strömte. "Alles okay bei dir?", riss mich seine Stimme aus meiner kleinen Trance und ließ mich wieder die Augen öffnen. Schnell nickte ich und stieg ins Auto. Meine Tasche ließ ich geräuschvoll in den Fußraum fallen, nahm Platz und schnallte mich an. "Hey..", begrüßte ich ihn erneut, irgendwie kleinlaut. "Hey.", er lächelte zwar, doch es erreichte seine Augen nicht. Gedanklich schien er ewig weit weg. Er steuerte den Weg Richtung seiner Wohnung an, keiner von uns sagte ein Wort.

Angekommen, fuhr er in die Tiefgarage und wir nahmen den Fahrstuhl nach oben. Die Wohnung sah verändert aus, einige der Bilder waren verschwunden. "Was ist mit den Bildern passiert?", wunderte ich mich und betrachtete die Wände im Wohnzimmer. "Deine Familie war auf der Suche nach dir.", antwortete er schlicht. "Es tut mir Leid..", fühlte ich mich sofort schuldig und rückte ein paar der Rahmen gerade. "Alles gut, komm mal her.", ging er gar nicht weiter darauf ein sondern zog mich zu sich. Ich ließ meine Tasche von meiner Schulter gleiten und mit einem lauten Rums fiel sie zu Boden. "Was hast du da drin? Steine?", erschrocken wechselte sein Blick zwischen mir und der Tasche hin und her. Ich konnte nicht anders und grinste schief. "Nee.. Babynahrung.", seine Augen wurden groß, sein ganzer Körper erstarrte förmlich. "Echt jetzt?", brach er fassungslos heraus. "Nein, mein Schatz... ich war bei der Apotheke und hab mir was geholt, damit ich wieder fitter werde. Ich bin nicht schwanger.", erlöste ich ihn, nahm seine Hand und fixierte seine wunderschönen braunen Augen. "Du Miststück.", seine Stimme knurrte. Doch anstatt mir böse oder nachtragend zu sein, schloss er mich glücklich in seine Arme und küsste meine Stirn, meine Lippen. Ich schlang meine Arme ebenfalls um ihn und zog ihn noch näher zu mir. Er hob mich hoch und trug mich zum Sofa, wo er sich gemeinsam mit mir fallen ließ. "Wenn das so ist, können wir das ja bald ändern.", flüsterte er schamlos zwischen unsere Lippen und brachte mich zum Schmunzeln. "Reiß dich zusammen.", ermahnte ich ihn und er löste sich schuldig von mir. "Tut mir Leid, Baby. Ich will dich zu nichts drängen." "Ich weiß... komm wieder her.", entgegen meiner Worte, wartete ich nicht auf seine Reaktion sondern setzte mich geradewegs auf seinen Schoß, beugte mich zu ihm um ihm so nah wie möglich zu sein. "Ich liebe dich.", flüsterte er und ich könnte schwören, ein verdächtiges Glitzern in seinen Augen gesehen zu haben. "Ich dich auch.", flüsterte ich. Wir genossen die Nähe und schliefen seelenruhig ein.

Als ich wach wurde, war es bereits dunkel. Meine Glieder taten weh, als ich mich streckte. Der Patz neben mir leer und kalt. Leises Summen erreichte meine Ohren, er war im Studio. Vorsichtig öffnete ich die Tür und glaubte taub zu werden. Raphael saß auf seinem Masterstuhl und schrieb etwas auf einen der unzähligen Blöcke, hielt inne, strich das letzte durch und schrieb erneut. Im Hintergrund lief permanent derselbe Beat. "Hey.", schrie ich dagegen an und er wandte seinen Blick zur Tür. Sofort drehte er die Lautstärke herunter, warf seine Skizzen achtlos auf den Boden und wank mich zu ihm. "Hab ich dich geweckt?", langsam schüttelte ich den Kopf und setzte mich auf seinen Schoß. "Ich hab Hunger.", gestand ich und er lächelte. "Dann lass uns was essen gehen." Worauf hast du Lust?", erkundigte er sich wenig später im Auto, ich sah an mir herab. "Meinst du wir können, so wie ich aussehe zu dem kleinen Italiener?", auch er ließ seinen Blick an mir herabgleiten, nickte dann grinsend. "Ich habe nachgedacht,-" "Das ist schön", unterbrach ich ihn frech und er verdrehte die Augen. "Vielleicht trainierst du mal mit Max.", schlug er vor. "Was trainiert er denn?", hakte ich nach. "Kampfsport." "Wie kommst du darauf, dass gerade das was für mich ist?" "Weil es gut für die Kondition ist.", antwortete er schlicht, trotzdem musterte ich ihn eine Weile. "War doch nur ein Vorschlag, du hast doch gesagt, du willst wieder fitter werden." "Ja... vielleicht ist das gar nicht so schlecht, ich überlege es mir.", nahm ich seinen Vorschlag auf. Im Endeffekt würde ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, mehr Ausdauer und eine ordentliche Rechte.

Der braungebrannte Kellner bot Wein an, doch ich lehnte dankend ab. Es kam mir vor wie unser erstes Date. Wir bestellten sogar die gleichen Pizzen. Mein Dauergrinsen konnte ich bald nicht mehr verbergen. "Was grinst du denn so?", fragte mein Freund irritiert. "Es ist wie beim ersten Mal.", erklärte ich und er verstand. "Nur, das du viel frecher geworden bist.", er lachte und stieß gegen mein Glas. Es war ein wunderschöner Abend, nur wir beide eingehüllt in ein Stückchen Vergangenheit.

Inshallah Amore | Raf CamoraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt