Bevor ich geh, spreche ich meinen Wunsch noch einmal aus

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AMINAS SICHT

Die Nacht war unruhig, ständig schreckte ich aus den reinsten Albträumen hoch. Wenn ich mal nicht gerade wieder eingeschlafen war oder aufwachte, fand ich mich im Bad wieder und kotzte mir die Seele aus dem Leib. Ich war allein, alles kam hoch. Ich vermisste Chopper an meiner Seite, Marten, der mir ein Glas Wasser brachte, meinen Vater, der mich liebevoll sein kleines Mädchen nannte, Raphael, der meine Lippen küsste und mein Herz berührte. Stattdessen hörte ich sein keuchenden Atem in meinen Ohren, spürte seine Hände auf meinem Körper, spürte diesen zerreißenden Schmerz. Als die Dämmerung einsetzte beschloss ich auf zu stehen, denn es brachte nichts sich weiter zu quälen. Das warme Wasser der Dusche belebte meine Lebensgeister ein wenig. Ich schlüpfte in eine Leggings, die mir im Gegensatz zu meinen Jeans noch passte und eine längere Bluse, die zum Glück zum Wickeln war. Mit halbwegs trockenen Haaren und einem dezenten Make-up, welches meine nächtlichen Dämonen zumindest optisch versteckte, versuchte ich einen Gang zum Frühstücksbuffet. Beim Geruch von Croissants wurde mir schlecht, weshalb ich mich erstmal nur für einen Tee und ein bisschen Obst entschied. "Für Raf.", hallten mir Martens Worte in den Ohren und so löffelte ich meine Schale Stück für Stück leer.

Bis halb 9 zwang ich mich auf meinem Hotelzimmer zu bleiben, doch dann hielt ich es nicht mehr aus zu warten. Ich wollte es unbedingt noch einmal bei Raphael probieren und so schnappte ich mir meine Zimmerkarte und Handtasche und machte mich auf den Weg zu seinem Haus. Ich lief knapp 20 Minuten, es kam mir vor wie eine Ewigkeit und ich schnaufte bereits nach der Hälfte wie ein Elefant. Mein Körper schrie nach Kräften. Warum quälte mich mein Kopf bloß so. Mein klares Ziel vor Augen leitete mich weiter, bis ich vor dem steinernden Tor stand und klingelte. "Señorita, ich habe Ihnen bereits gestern gesagt, dass sie hier verschwinden sollen.", empfing mich der freundliche, aber bestimmte Mann von gestern. "Haben Sie ihm die Kette gegeben?", erkundigte ich mich und er nickte. "Und?", hakte ich nach. Er zuckte mit den Schultern. "Er hat seine Meinung nicht geändert.", bitte was? Er konnte doch nicht seine eigene Kette nicht erkannt haben.. Es sei denn, er hatte sie erkannt, aber war immer noch überzeugt davon, ich hätte ihn verarscht. Konnte das sein? Dachte mein Freund wirklich ich könnte ihm so etwas an tun? "Können Sie ihn nicht kurz holen? Oder anrufen? Ich kenne ihn! Ich bin seine Freundin!" Er lachte nur. "Was meinen Sie, wie oft ich das höre? Bitte verlassen Sie jetzt das Grundstück.", forderte er. „RAPHAEL! RAPHAEl!! RAF" schrie ich über den hohen Zaun, doch es kam nichts zurück. „Es reicht mir jetzt, ich rufe die Polizei!", er zückte sein Handy und wählte irgendeine Nummer. „Okay, okay... ich gehe ja schon", gab ich enttäuscht nach, schlurfte zurück ins Hotel und verstand die Welt nicht mehr. Dachte er wirklich, ich hätte ihn für Said verraten? Mit ihm gemeinsame Sache gemacht? Das sah ihm gar nicht ähnlich. Natürlich klang das plausibel, aber hatte er mich so kennengelernt? Hatte ich ihm nicht mehr als deutlich gezeigt, was er mir bedeutet, wie sehr ich ihn liebe? "Hola Señorita, alles okay bei Ihnen?", fragte mich der Mann an der Rezeption, als ich an ihm vorbei schlurfte. Ich nickte zaghaft. "Ich würde gerne den nächsten Flug nach Deutschland nehmen.", es war mir egal wohin, Hauptsache weg von hier, weg aus Spanien. "Wenn Sie wünschen, heute Nachmittag geht ein Flieger nach Berlin.", schlug er vor und ich nickte ab. Perfekt. "Ihr Name und ihre Zimmernummer bitte." Ich nannte ihm beides und er buchte. "Dankeschön.", ich nahm den Ausdruck entgegen und nahm den Aufzug ins Zimmer. Mein Ausblick, hatte er mir gestern noch so gefallen, stieß mich dermaßen ab, dass ich die Rollos runter ließ, mich an den Schreibtisch setzte und anfing zu Schreiben. Ich schrieb und schrieb, Seite für Seite einen Brief für Raphael, meinen Freund, oder Exfreund, wie auch immer. Ich wollte die Situation bereinigen, ich schrieb alles auf, vom Gespräch mit meinem Vater, über meinen Hausarrest, über Said, Elena, Burak, BMG, Hamburg, Marten und John, meine Versuche zu ihm zu kommen, über die Kette, ich erzählte ihm wie ich mich fühlte, wie ich ihn liebte und wie ich nicht verstehen konnte, dass er mich abwies und denken konnte, dass ich ihn hintergehen konnte. Ich kotzte wortwörtlich meine Seele auf das Papier. Nur kleine Details lies ich aus, wie was Said mir angetan hatte, was nicht offensichtlich war. Das ging ihn nichts an. Als mein Freund wollte ich nicht, dass er es wusste zumindest momentan nicht und als mein Exfreund erst recht nicht. Ich nutzte fast den gesamten Block des Hotel und steckte die einzelnen Blätter in einen Umschlag, der eigentlich für Feedback gedacht war, glaube ich. Ich würde ein Taxi nehmen, den Brief einwerfen und dann weiter zum Flughafen fahren.

Als das Telefon im Zimmer klingelte und die Rezeption mir Bescheid gab, dass mein Taxi zum Flughafen bereit stand, ging ich runter, checkte aus und übergab meine Tasche dem Taxifahrer. "Bevor wir zum Flughafen fahren, müssen wir noch was abgeben.", wies ich ihn auf mein Vorhaben hin und nannte ihm die Adresse. Zwar hätte ich auch laufen können, aber nochmal den ganzen Weg in der knallenden Sonne, schaffte ich vielleicht nicht. Bei der Adresse angekommen staunte der Taxifahrer und sah sich das Anwesen an. "Warten Sie kurz.", ich stieg aus und steckte den Brief in den dafür vorgesehenen Kasten. Ich warf ein Blick über meine Schulter und sah nochmal rüber zu dem riesigen Haus, ob er drin war? Die Ungewissheit quälte mich, weshalb ich beschloss schnell wieder ins Auto zu steigen und zu fahren. Es nützte ja nichts. Als ich wieder sicher und angeschnallt saß, wendete der Taxifahrer seinen Wagen. "Señorita! Señorita!! Bitte warten Sie.", hörten wir jemanden rufen. Mein Fahrer stoppte und schon öffnete sich die Tür. "Vielen Dank, Danke.", rief er ins Innere des Taxis. "Bitte Señorita, kommen Sie rein.", es war der Wachmann, der mich zwei Mal abgewiesen hat. Ich schnallte mich ab, doch der Taxifahrer stoppte mich. "Sie verpassen ihren Flug, wenn wir länger hierbleiben.", erinnerte er mich. "Mag sein.", entgegnete ich und wühlte in meiner Tasche. Ich zückte ein paar Scheine und drückte sie ihm in die Hand. "Bitte nehmen Sie das. Ich werde hier bleiben.", erklärte ich ihm, doch er stieß meine Hand weg. "Das geht nicht." "Bitte nehmen Sie es und machen Sie ihrer Frau, ihrer Familie oder sich selbst eine Freude.", ich zwinkerte ihm zu und er bedankte sich zigmal bevor er mit qualmenden Reifen davon fuhr.

"Herr Ragucci ist momentan nicht da, aber ich bin mir sicher, es macht ihm nichts aus, wenn sie hier warten.", er führte mich ins Haus, welches von innen noch viel eindrucksvoller aussah, als von außen. "Warten Sie hier, ich versuche ihn zu erreichen.", er setzte mich ins Wohnzimmer und ließ mich allein. Mein Herz drohte zu zerplatzen. Ich fühlte ihn beinahe schon bei mir. Was hatte sich geändert? Der Mann kam und kam nicht wieder, ich stand gelangweilt auf und ging auf die Terrasse, die an das großzügige Wohnzimmer anschloss. Wow, sie war riesig und fast über ihre gesamte Länge erstreckte sich ein Pool. Es gab sogar einen Whirlpool, der mich an heiße Nächte in Berlin erinnerte. Mein Blick fiel auf die einzige aufgeklappte Liege, zwischen einer leeren Zigarettenschachtel und einer halb-vollen Yamazakiflasche. Ohje, mein armer Raphael. Ich hob beides mitsamt dem leeren Glas auf und trug es in die Küche. Dann erkundete ich weiter das Haus. Die Badezimmer waren sehr luxuriös, die Schlafzimmer hell und edel. Dieses Haus war ein Traum am Meer, ich konnte mir gut vorstellen, warum er es gekauft hatte. In seinem Schlafzimmer war das Bett zerwühlt, weshalb ich es richtete und ordentlich faltete. Der angrenzende Balkon war der Wahnsinn, man hatte einen direkten Blick aufs Meer, nicht so wie in meinem Hotelzimmer. Hier war das Meer zum Greifen nahe. Ich entdeckte einen kleinen Weg, der von der Terrasse im Erdgeschoss hinunter zum Wasser führte und beschloss diesen zu erkunden. Das Haus war so groß, dass ich beinahe anhalten musste um Luft zu holen, als ich die Treppen hinab stieg. Der Weg war steiler als von oben angenommen, deshalb war ich heilfroh, als ich das Geländer erreichte und mich zumindest etwas festhalten konnte. Es war nicht mehr weit, da spürte ich den Sand unter mir, zog meine Schuhe aus und lief zum Wasser. Das Geräusch des Meeren schien wieder wie Musik in meinen Ohren. Kurz stand ich einfach nur da. Mit geschlossenen Augen und lauschte den Wellen.  "Wenn du eine Meerjungfrau siehst, sag Bescheid.", hörte ich seine tiefe Stimme und mein Herz setzte aus.

Inshallah Amore | Raf CamoraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt