Kapitel 14 - Abendessen

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Die letzten Tage verbrachte ich die meiste Zeit im Bett oder unter der Dusche. Die Wüsten des letzten Spieles sind noch nicht völlig verschwunden. Mein Handgelenk ist noch ein wenig blaugrün, doch durch die Salbe von Izumi hat es aufgehört zu pulsieren. Mein Körper scheint sich auch erholt zu haben, doch ab und an zittern meine Hände immer noch. Ich fühle mich nicht mehr so benebelt und der Kaltschweiß ist glücklicherweise verschwunden. Die Wunde auf meiner Stirn ist ein wenig abgeklungen und es gelingt mir besser, sie zu verdecken.

Izumi hat mich dazu überredet, heute mein Zimmer zu verlassen und mit ihr zu Abendessen. Ich war nicht so begeistert von der Idee, aber abschlagen kann ich es ihr auch nicht. Sie war so freundlich und hilfsbereit, dass ich mich einfach schlecht fühlen würde, ihr so eine Bitte abzuschlagen. Ich klopfe als ersten an ihr Zimmer, doch da niemand öffnet vermute ich, dass sie schon im Restaurant ist und uns Plätze freihält.

Der Saal ist ziemlich voll und ich brauche eine Weile, um Izumi zu entdecken. Sie winkt mir zu und ich signalisiere ihr, dass ich mir noch ein Tablet hole. Ich nehme mir ein paar Reiswaffeln, trockene Cornflakes und ein paar Früchte. Ich quetsche mich durch die ganzen Leute durch in Richtung Izumi. Ich setze mich ihr gegenüber und lächele sie zur Begrüßung an.

"Wartest du schon lange?"

"Nein, kein Thema. Ich wollte nur verhindern, dass wir keinen Platz bekommen. Die meisten müssen heute Spielen und wollen sich nochmal den Bauch vollschlagen", sagt sie und wir schauen zu dem Gedrängel an der Essensausgabe.

"Nach meinem letzten Spiel kann ich mit gutem Gewissen sagen, dass es eine verdammt schlechte Idee ist"

Bei dem Gedanken verziehe ich leicht angewidert das Gesicht, aber Izumi lacht nur.

"Wann musst du wieder spielen?"

"Ich spiele auch heute, deswegen wollte ich mit dir noch zu Abend essen", sagt sie und lächelt tapfer, "Du bist morgen wieder dran oder?"

"Ja und wenn ich wieder mit Niragi eingeteilt werde, laufe ich vielleicht freiwillig durch die Laserschranke"

"Ich glaube das ist nicht nötig. Ich habe gehört, dass er heute spielen will"

Erleichtert atme ich auf und hoffe insgeheim, dass er nicht mit Izumi eingeteilt wird. Sie ist hier das, was einer Freundin am nächsten kommt und ich würde sie ungern so schnell wieder verlieren. Plötzlich stellt jemand sein Tablett neben Izumi und setzt sich zu uns.

"Ich darf doch?"

"Klar, schön dich mal wieder zu sehen", strahlt Izumi.

"Ich habe gehört du spielst heute, viel Glück", lächelt das Mädchen zurück und sieht dann zu mir, "Sayuuri, richtig? Mein Name ist Kuina"

Sie streckt mir zur Begrüßung ihre Hand hin und ich nehme sie entgegen. Sie beginnt gleich von ihrem vollbepackten Teller zu essen, doch ich merke wie ihr Blick immer noch an mir hängen bleibt.

"Spielst du heute auch Kuina?", fragt Izumi neugierig.

"Nein ich war gestern dran. Pik zwei, das bedeutet ich darf morgen wieder"

Sie redet ziemlich entspannt und ich kann nicht anders, als sie prüfend anzuschauen. Ihre Haltung ist ziemlich locker und sie scheint das Essen eher runter zu schlingen, als zu genießen. Auf ihrem Tablett an der Seite erkenne ich einen ihrer Strohhalme, doch dieser scheint neu zu sein. Ich kann sie noch nicht wirklich einschätzen und es kommt mir ein wenig seltsam vor, dass sie sich zu uns gesetzt hat.

"Ich habe gehört du bist hier in einer Cheerleader-Uniform angekommen", wendet sie sich an mich und schaut mich mit großen Augen an, "Gehst du noch zur Schule?"

"Stimmt, das hast du mir auch noch nie erzählt", meint Izumi und scheint einen Moment nachzudenken, "Ehrlich gesagt weiß ich gar nichts von dir"

Ich schaue auf meinen Teller um ihrem Blick auszuweichen. Zugegeben habe ich ihr am Anfang nicht wirklich vertraut und Gespräche, was mein Leben vor dem Borderland betrifft, bewusst gemieden. Der erste Grund ist, weil es hier niemandem und vor allem nicht mir etwas bringt, mehr über mein Leben zu wissen. Ich muss mich auf die Spiele konzentrieren und brauche einen klaren Kopf. Seit dieser Halluzination stehe ich manchmal ein wenig neben der Spur. Lights Jacke habe ich seit dem nicht mehr im Zimmer hängen, sondern in der Sporttasche unter meinem Bett. Jedes Mal als mein Blick auf den aufgestickten Namen fällt, fühle ich einen Druck auf meiner Brust. Ein weiterer Grund ist, dass ich einfach nicht an meine Familie oder meine Freunde denken möchte. Denn dann komme ich zu der Frage, ob sie vielleicht auch hier sind und um ihr Leben kämpfen müssen. Oder dass ich hier sterben werde und sie nie wieder sehe.

Ich schaue zu den beiden auf. Kuina schaut mich neugierig an, doch Izumi's Blick verrät mir, dass diese Tatsache sie verletzt. Sie hat mir so viele Geschichten von ihren zwei kleinen Schwestern und ihrem besten Freund erzähl. Ich möchte sie nicht verletzen, also versuche ich so wenig wie möglich zu sagen. Vor allem hat mich Kuina's Wortwahl aufmerksam werden lassen. Nicht viele haben mich in meiner Uniform gesehen, was bedeutet das die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass Chishiya es ihr erzählt hat. Und das bedeutet, dass die zwei über mich geredet haben müssen.  

"Nein, zweites Semester auf der Uni"

"Ich war Verkäuferin. Ein kleiner Supermarkt unten an der Ecke. Mein Vorgesetzter hat mir immer Überstunden aufgeladen, um die Regale einzuräumen"

Sie seufzt und ich denke ich weiß, weshalb sie das erzählt. Sie vertraut mir etwas an und denkt dann, dass ich ihr mehr vertraue und ein wenig offener werde. Aber sie wirkt nicht wie eine Person, die böse Hintergedanken hat. Trotzdem sollte ich erst einmal vorsichtig sein.

"Wieso arbeitest du noch da, wenn dein Vorgesetzter dich so behandelt?", frage Izumi interessiert und scheint das Gespräch fortsetzen zu wollen.

"Die Arbeitszeiten waren gut. Ich hatte immer die Frühschicht und konnte mich den Rest des Tages um meine Mutter kümmern"

"Wieso musstest du dich um deine Mutter kümmern?", frage ich vorsichtig. In ihren Augen bilde ich mir ein pure Ehrlichkeit zu erkennen, was mich doch ein wenig beruhigt.

"Sie ist krank und liegt im Krankenhaus"

"Das tut mir Leid", sage ich voller Mitgefühl. Wahrscheinlich hat sie das schon oft gehört, aber sie lächelt mich an und nickt dankend. Ich habe vergessen, dass es hier auch Menschen gibt, deren Familien sie wirklich brauchen. Für eine Sekunde denke ich an meine Eltern und ich versuche den Gedanken schnell wieder abzuwerfen. Ehrlich gesagt weiß ich nicht einmal, ob sie mich vermissen.

Glücklicherweise hat keiner der beiden meine kurze, gedankliche Abwesenheit bemerkt. Ich schließe kurz meine Augen, um mich zu sammeln und setze wieder ein Lächeln auf.

"Ich glaube mein Magen spielt noch nicht so mit", sage ich und stehe auf, "Viel Glück für heute Izumi"

Ich bringe mein Tablett weg, bevor ich aus dem überfüllten Raum laufe. Ich beschließe erst noch einen Abstecher in die Bar zu machen, statt gleich auf mein Zimmer zu gehen. Irgendwie ist mir einfach nach einem Drink zumute.

Ich bin ziemlich unsicher, da das meine erste Geschichte ist, deswegen freue ich mich immer über Kritiken und Zustimmungen

Alice in BorderlandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt