Die Nacht war nicht frei von Alpträumen, aber keine von denen ich schweißgebadet oder schreiend aufgeschreckt bin. Dennoch brauche ich einen Moment als ich aufwache, um mich zu sammeln und tief durchzuatmen. Müde und noch in Gedanken strecke ich mich und zucke sofort zusammen. Ein schmerzendes Ziehen durchfährt meinen Körper und ich verdrehe nur innerlich die Augen, während ich schon anfangen möchte zu fluchen. Doch als ich zu dem schlafenden Chishiya sehe entspanne ich mich augenblicklich und statt Verwünschungen zu murmeln muss ich leicht lächeln. Durch das gleichmäßige Heben und Senken seiner Brust erkenne ich, dass er noch tief schläft und in den nächsten Minuten nicht aufwachen wird. Das gibt mir Zeit sein Gesicht genauer zu mustern und einfach nachzudenken. Seltsamerweise ist mir nie sein unscheinbares Muttermal unter dem linken Auge aufgefallen, aber es lässt sein Gesicht nicht weniger schön wirken. Als mein Blick ungewollt an seinen Lippen hängen bleibt schießt mir die Röte ins Gesicht und ich drehe mich mit dem Rücken zu ihm.
Ich muss mich zusammenreißen. Ich möchte das zwischen uns nicht kaputt machen, was auch immer das ist. Chishiya ist einfach ein zu logisch denkender Mensch um sich von irgendetwas oder irgendjemanden im Borderland ablenken zu lassen. Und wie komme ich eigentlich auf die Idee, dass er mich auch auf die gleiche Weise mögen würde, schließlich weiß er nicht alles von mir. Er sieht mich höchstens als eine Freundin wie Kuina es ist. Ich verziehe mein Gesicht bei dem Gedanken, auch wenn ich glücklich darüber sein kann da er die meisten Leute hier im Beach ignoriert.
Ich stehe leise aus dem Bett auf um mich abzulenken, solche deprimierenden und komplizierte Überlegungen am Morgen bedeutet den ganzen Tag Kopfschmerzen. Ich laufe zu meinem Schrank um mir etwas anderes anzuziehen als nur einen Bikini und ein Shirt. Ich beschließe einfach das Shirt am Bauch zusammenzubinden und die lockere Hose anzuziehen. Ich nehme mir eines der Bücher von dem Tisch im Raum und setze mich auf den Boden am Fenster, sodass ich parallel zu dem Bett sitze und mich an die Säule hinter mich lehnen kann.
Ich lese ungefähr ein viertel des Buches bis ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung auf dem Bett wahrnehme. Chishiya hat immer noch die Augen geschlossen, dreht sich aber auf die Seite und streckt seinen Arm aus auf die Seite, wo ich vorhin gelegen habe. Er runzelt leicht seine Augenbrauen und bevor er seine Augen öffnet, sehe ich wieder in mein Buch und verkneife mir ein Grinsen. Ich gebe ihm ein paar Sekunden um wach zu werden, dann sehe ich wieder zu ihm.
"Morgen", begrüße ich ihn und muss leicht lachen, da er immer noch verschlafen aussieht. Er steht von der Bettkante auf und läuft um das Bett herum, damit er sich mir gegenüber auf den Boden setzt.
"Morgen", sagt er mit einer Morgenstimme und legt seinen Kopf an der Wand hinter sich ab, "Wie lange bist du schon wach?"
"Vielleicht eine Stunde", schätze ich wage.
"Hast du nicht gut geschlafen?"
"Doch, sogar besser als erwartet. Und du? Dafür dass das Bett laut deinen Worten Folter ist hast du ziemlich friedlich ausgesehen", stelle ich die Frage zurück und klappe das Buch zusammen. Er grinst mich nur an und nickt, bevor er sich das Buch nimmt und den Umschlag betrachtet.
"Die Mythologie der Griechen", ließt er laut vor und zieht die Augenbrauen hoch.
"Ich war schon immer verrück nach diesen Geschichten", sage ich ehrlich und nehme das Buch wieder an mich. Chishiya nickt nur nachdenklich und ich kann genau sehen, wie er diese Information in seinem Kopf abspeichert.
"Ich habe die Geschichte mit dem Trojanischen Krieg noch nie leiden können. Eine dumme Wette unter den Göttern und die hirnlose Tat von zwei Menschen hat tausende von Leben gefordert"
"Ja, den Teil habe ich auch nie gemocht. Ich habe es nur flüchtig gelesen, aber als die Person starb, die ich am meisten leiden konnte habe ich einfach aufgehört zu lesen"
"Bitte sag mir, dass es nicht Paris ist"
"Nein, Hektor", lächele ich und er scheint zufrieden mit der Antwort, "Aber ich hätte gedacht dir würde der Part mit dem trojanischen Pferd gefallen"
"Früher vielleicht, aber mittlerweile kommt es mir viel zu durchschaubar vor"
Ich schüttele nur lachend den Kopf und als es an der Zimmertür klopft wenden wir unsere Aufmerksamkeit zu dem Geräusch.
"Ja?", frage ich und Ann kommt in das Zimmer. Sie hat einen kleinen Koffer in der Hand und sieht Chishiya mit einem ausdruckslosen Blick an, auch wenn sie in der ersten Sekunde leicht überrascht wirkt. Sobald sie zu mir sieht bildet sich ein kleines Lächeln auf ihren Lippen und sie sieht mich wartend an. Ich lasse das Buch liegen, stehe auf und laufe zu ihr. Sie ist offensichtlich hier, um sich die frische Naht von gestern anzusehen und zu überprüfen. Das Shirt ist so hoch gebunden, sodass ich den Bund meiner Hose an der Seite nur ein wenig herunterziehen muss um die abgeklebte Wunde freizulegen. Während sie vorsichtig die Klebestreifen abzieht und die Bandage abnimmt, stellt sich Chishiya zu ihr und mir fällt ein, dass er die Wunde noch nicht gesehen hat.
Sobald die Bandage ab ist und frische Luft an die Wunde kommt, zucke ich leicht zusammen. Gestern war es der Schock, weswegen ich die Schmerzen ausblenden konnte. Aber ganz ohne Schmerzmittel ist es nicht wirklich angenehm, auch wenn ich langsam an Schmerzen gewöhnt sein sollte.
"Die Nähte sind nicht aufgerissen, aber ich sollte einen zweiten Stich setzen, damit die Wundheilung schneller einsetzen kann", sagt Ann fachmännisch und ich schüttele mich bei dem Gedanken.
"Sag bitte dass du etwas stärkeres dabei hast als Aspirin", sage ich sarkastisch und sie lächelt mich nur schief an. Sie kramt in ihrer Tasche herum und stellt verschiedene Sachen nach draußen: Desinfektionsmittel, Einweghandschuhe, eine Nadel und Faden. Sie gibt mir eine kleine Spitze Morphium, legt mir zwei Ibuprofen in die Hand und drück mir eine Flasche Whisky aus meiner Bar in die Hand. Ich sehe sie nur fragend an, zucke dann aber mit den Schultern und spüle die Tabletten mit Alkohol runter. Als sie die Nadel ansetzt durchfährt mich ein grässlicher Schmerz und meine Hände verkrampfen sich in der Stuhllehne vor mir. Ich drehe mein Gesicht weg, damit die beiden es nicht sehen und beiße meine Zähne ganz fest zusammen. Nach zwei viel zu langen Minuten atme ich erleichtert aus und lege meinen Kopf auf der Lehne vor mir ab. Mein Körper zittert immer noch von den Schmerzen und ich merke wie Ann und Chishiya jeweils eine Hand um meinen Arm packen, da sie vermutlich denken, dass ich zusammenbreche.
Nachdem ich mich beruhigt habe stelle ich mich wieder gerade hin und nicke den beiden nur zu, dass es mir gut geht.
"Da fällt mir ein, ich muss noch einen Trupp organisieren der wieder im Krankenhaus Nachschub holen muss", sagt Ann mit einem nachdenklichen Blick auf den kleinen, roten Rucksack.
"Ich bin dabei", versuche ich optimistisch zu klingen, "Schließlich verbrauche ich das Meiste von den Medikamenten oder Verbänden"
"Bist du dir sicher?", fragt sie mich und streift die Handschuhe ab.
"Klar, das letzte Mal ist doch auch problemlos abgelaufen"
"Na gut, ich sag dir noch bescheid aber wenn dann würden wir sowieso erst morgen aufbrechen"
"Ich komme mit", schaltet sich Chishiya ein und wir beiden Frauen sehen zu ihm, "Was? Ich kenne die Namen der Medikamente die wir nachfüllen müssen, dann geht es schneller"
Da er Ann mit seinem hochnäsigen Blick ansieht und gemütlich die Hände in seine Westentasche steckt, erwidert sie nichts und nickt nur. Sie packt die restlichen Sachen in den Rucksack und sobald sie ihren Blick nach unten wendet, treffen sich meine und Chishiyas Augen. Sein Blick wird weicher und er grinst mich nur an, weswegen ich mir ein Lachen verkneife.
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Alice in Borderland
FanfictionArakida Sayuuri wacht in Tokyo auf und kann keine Menschenseele entdecken. Sie begreift schnell die Spielregeln des Borderlands und schlägt sich immer gerade so durch, bis sie zum "Beach" gelangt. Und da scheinen ihre Probleme erst richtig los zu ge...