Kapitel 74 - Familienmitglieder

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Auf der Rückfahrt spüre ich immer wieder Aguni's stirnrunzelnden Blick im Rückspiegel, doch ich sehe einfach nur stumm aus dem Fenster. Ich versuche mir einzureden, dass es nicht an dem vielen Blut auf mir liegt sondern daran, dass ich die Sitze des Autos dreckig mache. Ich lege meinen Kopf an die kalte Fensterscheibe und versuche an nichts zu denken. Als wir auf dem Parkplatz des Hotels parken steigen wir alle aus und ich beschließe als letzte zum Eingang zu laufen. Wenn ich einfach so zum Eingangsbereich stürme würde ich signalisieren, dass ich verletzt und emotional bin. Keine Frage, genauso fühle ich mich aber das muss keiner der Männer sehen. Ich halte dennoch ein wenig Abstand und laufe hinter ihnen die Treppen des Beach nach oben. 

Ohne auf die anderen Leute oder ihre Blicke zu achten laufe ich auf die Treppen zu, doch etwas schafft es doch meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Eine leise Lache, so vertraut dass ich sie einfach nicht ignorieren kann. Ich sehe zur Seite und entdecke einen gut gekleideten Mann Ende vierzig, welcher mich belustigt und schon fast stolz ansieht. Ich sehe seine Augen von hier aus funkeln und bleibe wie in Trance stehen. Er sieht mich wartend an und während mein Herz mir bis in den Hals schlägt, nicke ich ihm respektvoll zu und laufe weiter. 

Nein, bitte nicht er. Sobald ich die Treppen hinter mich gebracht habe greift meine Atmung schnapphaft über und ich stolpere die restlichen Gänge zu meinem Zimmer. Ich knalle die Tür zu und lasse mich daran heruntergleiten. Von allen Mitgliedern meiner Familie muss es mein Onkel sein. Jetzt kann ich meine Tränen einfach nicht mehr zurückhalten und schreie verzweifelt. Das alles ist zu viel auf einmal, mein Körper scheint es zu merken und beginnt zu zittern. Ich schaue auf das Blut an mir herab und betrachte es dieses Mal mit anderen Augen. Ich fühle mich in die Vergangenheit zurückversetzt und sehe nicht mehr das Blut eines Spielers an mir, sondern das einer unschuldigen Frau. 

Ich stürme in das Bad und werfe mein Messer unvorsichtig in das Waschbecken, wobei einige Bluttropfen auf den Spiegel spritzen. Ich schmeiße die Kleidung auf den Boden und springe unter die Dusche, um das Blut von mir abzuwaschen. Doch mir kommt es so vor, als würde es in Zeitlupe meinen Körper herunterlaufen. Das kalte Wasser lässt mich einen klaren Gedanken fassen und ich versuche meine Gefühle aus und vor zu lassen, um rational zu denken. Das mein Onkel hier ist verändert alles, ich muss mich verändern! Er war schon immer ein guter Analytiker und Manipulator, wenn ich mich normal verhalte wird er merken wie ich zu den einzelnen Leuten hier stehe und es scharmlos ausnutzen. Also muss ich mich so verhalten, wie er es immer von mir erwartet hat. 

Ich lasse meine Haare nass und ziehe meinen schwarzen Body und meine lockere Hose an. Ich nehme mir Verbandszeug aus dem kleinen Schränkchen unter dem Badezimmerspiegel und wickele es grob um meine verletzte Hand. Ich reibe meine unverwundete Hand an meinem blutigen Pullover und schmiere es an den Rücken des Bodys. Davon müsste mein Onkel genügend abgelenkt sein, um nicht zu viele Fragen zu stellen und mich leichtfertig mit offenen Armen zu begrüßen. Ich schließe die Zimmertür hinter mir und laufe zur Poolanlage. Natürlich entdecke ich sofort Izumi an der Bar stehen und gehe direkt auf sie zu. Ich sehe meinen Onkel nach einem flüchtigen Blick nicht, dennoch spüre ich seinen Blick auf mir. 

"Sayuuri, was machst du denn hier?", fragt Izumi und an ihrer Stimmlage kann ich erkennen, dass sie schon einiges getrunken hat. 

"Spaß haben", lache ich und nehme ihr das Glas aus der Hand, um es in einem Zug auszutrinken. Mein Onkel kennt mich noch aus meiner Abschlusszeit in der Highschool: Partys und Alkohol. Also muss ich ihm genau das geben. Ich laufe zu dem Tresen der Bar und nehme mir eine geschlossene Flasche Whisky und schenke mir sofort nach. 

"Ist alles in Ordnung?"

Normalerweise würde sie mich besorgt fragen, doch da sie schon getrunken hat ist es eher eine oberflächliche Frage, der ich leicht entkommen kann. 

Alice in BorderlandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt