Kapitel 66 - Völlig von der Rolle

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Als Chishiya den Mann vor meiner Tür erkannt hat, hat er sich ohne ein weiteres Wort aus dem Staub gemacht. Ich bekomme kein Wort heraus und sehe ihm einfach nach, während er im nächsten Gang verschwindet. Vollkommen aus der Fassung geworfen sehe ich auf den mittlerweile leeren Flur und  beginne erst jetzt wieder zu atmen. 

"Sayuuri, alles in Ordnung?", fragt Katsu besorgt und folgt meinem Blick, "Hat er dir irgendetwas getan oder dir gedroht?"

Ungläubig sehe ich zu ihm und schüttele nur verneinend den Kopf. Ich könnte schwören, dass ich halluziniert habe, aber ich spüre immer noch den leichten Druck von den seinen Lippen auf meinen. Bei dem Gedanken werden meine Wangen augenblicklich knallrot und ein seltsames hohes Fiepen entfährt mir. Es fühlt sich an, als würde mein ganzes Gesicht taub werden und meine Brust kribbelt wie bei einer Achterbahnfahrt. Das Gefühl hatte ich schon einmal, aber bei weitem nicht so extrem. Das letzte Mal war es aber etwas vollkommen anderes, das waren lebensrettende Maßnahmen nachdem ich ertrunken bin. 

"Du siehst fiebrig aus", reißt mich Katsu aus meinen Gedanken und legt vorsichtig eine Hand auf meine Stirn. Ich bin noch so in meiner Starre gefangen, dass ich einen Moment brauche um einen Schritt von ihm wegzugehen.

"Nein nein, alles in Ordnung", sage ich und versuche ein Lächeln zustande zu bringen. Wenn er nicht angeklopft hätte ... vielleicht bin ich auch selbst dran Schuld. Ich hätte vorhin mit Katsu reden sollen, nachdem Meiyo gestorben ist. Dann hätte er mir da schon gesagt, weswegen er hier ist und wäre nicht noch einmal zu meinem Zimmer gekommen. Ich wimmele Katsu ab und versichere ihm, dass Chishiya mir nichts böses getan hat. Ich frage ihn gar nicht, warum er um diese Uhrzeit an meine Tür klopft und sobald er geht und ich die Zimmertür schließe, stehe ich verloren da und mein Gehirn schaltet sich langsam wieder ein. 

Ich tue das einzig richtige in diesem Moment, schmeiße mich auf dass Bett und drücke mein Gesicht in eines der Kissen bevor ich anfange laut zu schreien. Das darf doch nicht wahr sein! Ich muss an irgendetwas Positives denken, etwas positives daran finden wie Katsu uns bei was auch immer unterbrochen hat. Verdammt, das ist gar nicht so leicht! Okay, Augen schließen und nachdenken. Das diese ganze Situation überhaupt entstehen konnte ist Katsu nicht verantwortlich. Nein, genau genommen ist es Chishiya. War das eben nur so ein Moment oder mag er mich doch mehr als ich dachte? So oder so habe ich eben fast Chishiya geküsst! Oder er mich? Ich habe keine Ahnung wer wie den ersten Schritt gemacht hat und je mehr ich darüber nachdenke, desto verwirrter und ahnungsloser werde ich. 

Ich liege die ganze Nacht wach im Bett und starre einfach nur an die Decke. Ich bekomme keine einzige Sekunde Schlaf, also versuche ich mich abzulenken und beschließe zunächst zum Lagerraum zu gehen. Ich wühle ein wenig durch die Klamotten da mein weißes Shirt zerrissen ist und ich nicht immer in dem schwarzen Shirt von Chishiya durch die Gegend laufen kann. Verdammt, schon wieder gehen meine Gedanken zurück und ich schlage meinen Kopf in einen Stapel von Handtüchern. Ich wühle ein wenig in den Sacher herum und nehme mir ein übergroßes rotes Shirt zum schlafen, einen schwarzen Bikini und einen schwarzen Pulli von Nike, bevor mich eine Stimme aus den Gedanken reißt.

"Um die Uhrzeit noch wach?"

Ich drehe mich zu Ann um, welche entspannt an der Kante eines Tisches hinter mir lehnt und die Arme vor der Brust verschränkt. Ich lächele sie nur schief an und als sie zu mir läuft bemerke ich mal wieder, dass sie fast einen Kopf größer ist als ich.

"Kann nicht schlafen", sage ich nur knapp und sie sieht mich prüfend an. Sie scheint eine gute Intuition zu haben denn an ihrem Blick erkenne ich, dass sie merkt es liegt nicht an meinen Schmerzen oder den Alpträumen.  

"Dann sollten wir vielleicht ein Glas Wein trinken gehen", nickt sie nur und nimmt mich am Arm. Wir sitzen die ganze Nacht an der Bar im Partyraum und aus einem Glas Wein wurden mehrere Flaschen. Natürlich erzählte ich ihr nicht warum ich nicht schlafen konnte oder von der Situation mit Chishiya und Katsu. Sie erzählte mir von ihren Forschungen und von ihren ersten Tagen im Borderland, dafür erzählte ich ihr von Meiyo. Ab der zweiten Flasche schafft sie es wirklich mich ein wenig abzulenken und ich genieße einfach ihre Gesellschaft. Um acht Uhr morgens taumeln wir kichernd nach oben in unsere Zimmer und sie drückt mich zum Abschied, bevor sie eine Etage höher zu ihrem Zimmer läuft. . 

Ich lege mich sofort schlafen, da ich laut Ann heute Abend wieder zum Spielen eingeteilt bin. Ich verschlafe den ganzen Tag und verkrieche mich die restliche Zeit in mein Zimmer, da mir erst jetzt bewusst wird, dass es ganz schön peinlich sein könnte Chishiya wiederzusehen. So erstarrt und perplex wie ich nach unserer letzten Begegnung war weiß ich nicht, wie ich mich verhalten werde wenn ich ihm über den Weg laufe. Und da ist noch etwas: Meine Angst dass Chishiya so tut wie als wäre nichts gewesen oder noch schlimmer, dass er sich wieder von mir distanziert.

Alice in BorderlandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt