Kapitel 46 - Hennessy mit dem Hutmacher

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Ich verabschiede mich von den anderen und gebe Kuina mit einem Blick bescheid, dass ich später nachkommen werde. Ich folge Aguni nach drinnen und versuche bei seinen schnellen Schritten mitzuhalten. Ich hatte schon länger kein Privatgespräch mehr mit dem Hutmacher, in letzter Zeit wirkte er entweder beschäftigt oder abgelenkt. Aguni läuft zu der Präsidentensuite und bleibt vor der Tür stehen, wobei er nicht klopft. Er kramt etwas aus seiner Militärhose heraus und hält mir eine kleine Tube Salbe hin.

"Für deine Rippen, Tigerbalsam. Hat mir damals auch einmal geholfen"

"Danke", sage ich, nehme die grüne Salbe überrascht entgegen und nicke ihm noch einmal zu. Sofort, wie um ein längeres Gespräch darüber zu vermeiden, klopft er an die Tür und öffnet sie. Ich folge ihm in das Zimmer und erkenne den Hutmacher auf der Couch seines Zimmers. Die zwei Frauen bei ihm stehen auf und verlassen ohne weitere Anweisung den Raum. Danma sitzt in einem gelben Bademantel mit Kolibris auf der Couch und trägt seine Sonnenbrille mit den runden Gläsern. Er breitet begrüßend die Arme aus und Aguni nickt nochmal, bevor er wieder den Raum verlässt. Ich steuere den Sessel gegenüber an und setze mich selbstverständlich darauf. 

"Sayuuri", sagt er und tätschelt mir im vorbeigehen auf die Schulter, während er die Hausbar ansteuert. Niemand sonst ist hier, auch keiner vom Militärtrupp zur Sicherheit. Er kramt eine Flasche Whisky hervor und kommt mit zwei sauberen Gläsern wieder zum Tisch. Er schenkt schwungvoll beide bis zum Rand voll und reicht mir eines.

"Dankeschön", sage ich höfflich und nehme es entgegen. Wir stoßen miteinander an, dann läuft er wieder zu der Couch und breitet sich darauf aus. Seine lockere Haltung verrät mir, dass ich nicht in irgendwelchen Schwierigkeiten stecke. Ich hoffe nur, dass er weder mein letztes Spiel noch Chishiya erwähnt. Ann wusste zwar, dass ich in Chishiyas Bett lag, aber ich glaube Chishiya soweit einschätzen zu können, dass es sonst niemand aus der Führungsrege erfahren hat.

"Du überraschst mich immer wieder", sagt er mit dem Blick zur Seite gerichtet, "Bei dem Pik 10 Spiel hast du mir gezeigt, dass du eine Überlebende bist. Und dann höre ich, dass du dich bereitwillig dazu erklärt hast, dich ertränken zu lassen. Und trotzdem überlebst du wieder"

"Ich hatte Vertrauen in meine Mitspieler", sage ich knapp. 

"Du meine Liebe, kannst es hier weit bringen im Beach. Ich wusste von dem ersten Moment als ich dich gesehen habe, dass du das Potenzial dazu hast" 

"Sollte ich deshalb letztens bei der Besprechung dabei bleiben?", frage ich neugierig und trinke einen kräftigen Schluck. Der Alkohol brennt in meinem Hals, aber es lindert die Schmerzen ungemein. 

"Das habe ich Aguni überlassen, aber anscheinend hast du auch ihn überzeugt"

"Bin ich deshalb hier?"

"Nein. Im Beach gibt es entweder Menschen, die sich meine Macht aneignen wollen oder sich einschleimen, um mir zu gefallen. Du gehörst zu keiner Kategorie"

Eine oberflächliche Einschätzung, da er mich nicht wirklich kennt und ich ihm nichts privates erzählt habe, aber sie trifft zu. Ich nicke nur und zucke mit den Achseln, bevor ich weiter aus meinem Glas trinke. 

"Also", beginnt er das Thema umzulenken, "Was findest du fehlt noch in diesem Zimmer. Ich überlebe schon seit Tagen, aber es fällt mir einfach nicht ein. Orientalische Teppiche, eine Discokugel"

"Ein Tiger", antworte ich sarkastisch aber mit einem Funken Wahrheit inne. Er sieht mich überrascht an und fährt sich nachdenklich über den Bart. Dann fängt er laut an zu lachen und sieht sich noch einmal im Raum um.

"Das ist es"

Ich bin nicht all zu überrascht, dass ihm diese Idee gefällt, weshalb ich mit in sein Lachen einstimme. Auch wenn er manchmal auf mich wie Narziss aus der griechischen Mythologie wirkt, welcher in sein eigenes Spiegelbild verliebt ist, finde ich den Hutmacher schwer in Ordnung. 

"Sonst alles okay bei ihnen?"

Er scheint leicht verwundert über die Frage und seine Lache flacht ab, doch ein ehrliches Lächeln stiehlt sich auf sein Gesicht. 

"Mir geht es von Tag zu Tag besser. Das Beach wächst mit der steigenden Anzahl der Neuankömmlinge und es fehlen nur noch wenige Karten"

Er vermeidet es, über seine persönlichen Gefühle zu reden. Für ihn scheint nur noch das Hotel zu zählen, er verliert sich allmählich in der Idee hinter dem Beach. Ich nicke nur und schenke uns beiden nochmal nach. Wir denken uns bestimmt eine Stunde lang aus, wo und wie man im Borderland einen Tiger besorgen könnte und trinken weiter. Nichts so viel, dass ich betrunken wäre, aber ich kann nicht leugnen, dass ich den Alkohol spüre. 

"Ann wird dich morgen noch einmal untersuchen, wir wollen ja schließlich, dass deine Verstauchung gut verheilt", sagt er als ich mich für heute langsam von ihm verabschiede.

"Danke", sage ich und trinke mein Glas in einem Zug aus. Ich stehe auf und danke dem Hutmacher für den witzigen Plausch, dann gehe ich aus der Suite und nachdem die zwei Frauen von vorhin wieder eintreten, schließe ich die Tür hinter ihnen. Ich möchte nach links laufen, um wieder zu Kuina und den anderen zu gehen, doch ich kann gerade so verhindern mit dem Mann vor mir zusammenzustoßen. Ich erschrecke leicht und weiche automatisch einen Schritt zurück.

"Tut mir leid", sagt Katsu sofort.

"Nein muss es nicht, ich habe dich nur nicht gesehen", antworte ich und sehe ihn leicht überrascht an, "Was machst du hier?"

"Du warst beim Hutmacher, ich dachte vielleicht hast du Ärger oder so", sagt er und kratzt sich am Hinterkopf. Ich sehe ihn verwirrt und fragend an. Er ist hier, weil er dachte ich hätte Ärger?

"Nein, wir trinken nur ab und zu etwas und reden", antworte ich wieder und sein Gesichtsausdruck entspannt sich ein wenig. Was denkt er hätte er tun können, wenn ich in Schwierigkeiten gewesen wäre? 

"Das ist gut, ich habe mir schon allmählich Sorgen gemacht"

Er redet weiter, doch ich bekomme nur die Hälfte von dem mit, was er sagt. Mein Blick fällt über seine Schulter zum Ende des Ganges, wo Chishiya steht. Er hat seine Augenbrauen ein wenig hochgezogen und seine Hände in der Tasche seiner Weste. Er steht einfach nur da und mustert uns mit seinem aufgesetzten Grinsen.

"Katsu", unterbreche ich ihn und lächele entschuldigend, "Es tut mir Leid, aber ich habe noch was vor. Wir können ja morgen weiter reden"

Ich warte nicht auf seine Antwort und laufe an ihm vorbei, während ich ihn gar nicht wirklich beachte. Ich laufe zu Chishiya und er grinst ein wenig breiter. 

"Der Typ schon wieder", sagt er nur trocken und sieht kurz an mir vorbei zu Katsu. Ich bemerke, wie er ihn prüfend ansieht und ihn grob mustert.

"Ja, er dachte ich hätte Ärger weil der Hutmacher mich zu sich bestellt hat"

Er sieht ihn noch einen Moment streng und nachdenklich an, wobei ich mich frage was in seinem Kopf vorgeht. Dann schaut er jedoch zu mir und seine Züge werden ein wenig sanfter.

"Die Außenbeleuchtung geht gleich an, ich wollte fragen ob du mit auf das Dach kommst"

"Das musst du noch fragen", lache ich und laufe an ihm vorbei, um das Dach anzusteuern. 

Alice in BorderlandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt