Kapitel 117 - Auf ins nächste Spiel

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Entgegen meiner Erwartungen bin ich erst heute dran an einem der Spiele teilzunehmen, einen Tag nach meinem eigentlichen Einzug von dem Hutmacher. Die letzten zwei Tage habe ich in meinem Zimmer oder im Eingangsbereich verbracht, vertieft in meine neue Lektüre über die Mythologie der Griechen, Römer und Ägypter. Kuina kam jeden Tag vorbei, ob ich nicht doch mit den anderen einen Tag an Pool verbringen möchte und nachdem Satoru dazu kam habe ich mich geschlagen gegeben. Dennoch war mein Kontakt zu Chishiya seit dem Gespräch über seinen neuen Schachpartner begrenzt. Meistens sind wir uns auf den Fluren über den Weg gelaufen oder saßen mit Kuina zusammen, aber ich habe nicht bei ihm geschlafen oder anders herum. 

Das ist so eine Sache. Ich war missgestimmt gegenüber ihm und er war einfach nur Chishiya. Entweder er hat mir den Raum gelassen den ich brauchte oder wollte meiner Emotionalität einfach nur aus dem Weg gehen, weil es anstrengend ist. Ich habe Tayuya in den letzten Tagen nicht mehr gesehen, trotzdem fühle ich mich nach jüngsten Ereignissen nicht wohl mich mit Chishiya zu streiten, wenn diese Furie hier im Hotel herumläuft. 

Ich weiß, dass sie ihm nur für den Schüssel nützlich war. Aber trotzdem war zu erwarten, dass von dem Vergangenen Narben zurückbleiben. Zweifel oder Besorgnis. In Gedanken versunken ziehe ich meine kurze Spiel-Hose und meinen schwarzen Pullover an, da der Geruch von Sommerregen durch das offene Fenster zu mir durchdringt und ich vermute, dass es bald gewittern wird. Meinen schwarzen Gummiball stecke ich in meine Tasche, mein Messer klemme ich mir hinter den Hosenbund an meinem Rücken und ich streife mir ein Haargummi über das Handgelenk.

In der Eingangshalle lehne ich mich an das Geländer mit Blick auf die Beach-Mitglieder, welche ihre volle Aufmerksamkeit auf den Hutmacher richten. Dieser schaut schon fast gierig auf die anderen herunter, wie als wären sie seine kleinen Marionetten und er der Puppenspieler, als hätte er die volle Kontrolle über sie. Geduldig warte ich Danmas Rede ab und setze mich erst in Bewegung, als alle anderen schon nach draußen stürmen. Seltsam, sie gehen in tödliche Spiele und rennen in ihren Tod ohne es wirklich bewusst zu realisieren. Vermutlich haben nicht alle eine Wahl, aber das Konzept des Beach würde nicht aufgehen, wenn nicht die meisten an die Philosophie und den Ausweg des Hutmachers glauben würden. 

Gemütlich laufe ich auf den Parkplatz zu, als jemand neben mir läuft und konzentriert gerade aus schaut. Ich tue es ihm nach und wage keinen einzigen Blick zur Seite.

"Wir spielen wieder zusammen", sagt er und aus seiner Stimme höre ich zu meiner Überraschung ein leichtes Grinsen heraus. Dieses bringt mich unweigerlich dazu auch zu grinsen bevor ich es überhaupt realisieren und unterbinden kann. Ich kann es manchmal nicht fassen wie leicht es manchmal mit Chishiya ist. Nachdem Katsu damals reingeplatzt ist als wir uns das erste Mal küssen wollten war es genauso. Nervös stand ich unten an der Empore und er hat mich angegrinst wie immer, wie als wäre nichts peinliches oder unangenehmes geschehen. Vielleicht bin ich wirklich manchmal zu emotional

"Warum nicht, spielen die anderen auch mit? Izumi, Katsu, Tayuya...", versuche ich gleichgültig zu klingen, wobei der Name Izumi unterzugehen scheint. Doch anstatt sich zu verkrampfen scheint Chishiya noch entspannter und schnaubt einmal grinsend aus.

"Tayuya ist seit ihrem letzten Spiel von vor fünf Tagen tot, dachte dass interessiert dich", bemerkt er amüsiert und läuft mit einem frechen Grinsen auf dem Gesicht einen Schritt schneller als vorher. Einen Augenblick verlangsame ich meine Geschwindigkeit so sehr, dass man meinen könnte ich bleibe stehen. Sie ist also so gestorben wie ich es vorausgesagt habe, bei ihrem zweiten oder dritten Spiel. Und so wie Chishiya es gesagt hat ist es nicht traurig über ihren Tod. Das habe ich auch nicht erwartet, eher habe ich mich gefragt ob er genauso reagieren würde bei meinem Ableben. Diesen Mann kann man nicht einschätzen, so gerne ich es auch versuche würde ich mir nicht anmaßen ihn wirklich zu verstehen. 

Zögernd steige ich auf die Rückbank und entspanne mich in dem Moment, in dem ich den schwarzen Gummiball ergreife. Ich blende alles aus: Aguni auf dem Fahrersitz, den nach bierstinkenden Mann neben mir und Niragi am anderen Fensterplatz hinten. Ich sehe nur aus dem Fenster und beobachte die Reklamen mit den Spielankündigungen die an uns vorbeiziehen. So viele Spielorte, so viele Spieler. So wenige Überlebende. 

Das Auto parkt an einem Parkplatz nahe eines Wohngebäudes in Richtung weiß-leichtender Pfeile welche unweigerlich zum nächsten Spielort führen. Wir steigen alle aus, wobei ich niemanden zögern sehe was bedeutet, niemand von uns tritt hier zum ersten Mal an. 

"Du", beginnt Aguni und zeigt auf den Fremden, "Du gehst vor, danach Niragi und ich, dann Chishiya und zuletzt Sayuuri"

Ich nicke einfach nur und blende aus, wie die anderen nacheinander zum Spielort gehen. Ich bemerke noch den prüfenden Blick von Chishiya, doch ohne ein Wort folgt er den anderen. Ich lehne mich an das Auto und sehe entspannt nach oben zu den Sternen. Ich atme tief ein und aus, dann erst beschließe ich mich auch zum Spielort zu gehen. Entspannt laufe ich auf den Tisch in der Mitte zu, auf dem alle Handys liegen. Ich entscheide mich für ein Handy mir einer weißen Hülle, zugleich ich mich an die Wand lehne um auf das Startsignal zu warten. Doch noch bevor mein Rücken die kalten Fliesen berührt erfasst mich ein ungutes Gefühl. 

Neugierig wie ich bin sehe ich auf und mustere die anderen Spieler, bis mein Blick an einem Mann hängen bleibt und jede Faser meines Körpers sich augenblicklich verkrampft. Ich kann meinen Blick einfach nicht von ihm nehmen und automatisch beginnt mein Rücken zu brennen. Das ist unmöglich, er ist tot. 

Anscheinend bemerkt er mein starren und nach einem Moment Verwunderung entspannt sich sein Gesichtsausdruck und dieses hässliche Grinsen schleicht sich auf sein Gesicht. Meine Sicht wird leicht schleierhaft und ich versuche zurückzuweichen, doch die Wand hinter mir und er vor mir versperrt jeglichen Fluchtweg. Er scheint meine Reaktion zu bemerken, doch er lässt nicht von mir ab, im Gegenteil. Der Mann dreht sich zu mir und kommt langsam auf mich zu.  

Ich handele impulsiv und aus purer Panik. Ohne an die Konsequenzen zu denken ziehe ich die Pistole hinter Niragis Rücken und laufe mit geladener Waffe einen Schritte auf den Mann zu. Die meisten Spielanwärter zucken zurück, Niragi wirkt wütend doch ich trete noch einen Schritt näher, während der Mann mir lächelnd entgegenkommt.

"Du solltest tot sein", bemerke ich verbittert zu dem Fremden. Bilder von dem Mann, wie er seine Botschaft in mich bei dem Pik zehn Spiel einritzt schießen mir durch den Kopf und durch das Adrenalin merke ich nicht, wie sich Tränen in meinen Augen bilden. Er scheint den Ausdruck in meinem Gesicht zu deuten, dass ich bereit bin jeden Moment den Abzug zu drücken. 

"Sie haben offensichtlich meinen Bruder kennengelernt"


Alice in BorderlandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt