Kapitel 69 - Durst

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Im Hotel angekommen überreicht Chishiya dem Hutmacher mit einem stolzen aber doch hochnäsigen Blick die Spielkarte. Niragi steuert die Empore an, von der Aguni wartend auf ihn heruntersieht und Katsu setzt sich einen Moment auf einen der Sessel, während Ann sich seine Pupillen ansieht. Kuina stellt sich neben mich und stupst mich leicht mit ihrem Ellenbogen an. 

"Du hast da ein wenig Blut im Gesicht", bemerkt sie nach einer kurzen Musterung. Mit dem Ärmel meines Pullovers fahre ich mir über die Wange, um das Blut von Tao wegzustreichen.

"Ist nicht meins", antworte ich nur und verziehe das Gesicht bei dem Gedanken, was dem Mann vom Militärtrupp wohl passiert ist. Entweder die Wendigo's haben ihn getötet und auf den Stapel zu den Leichen geschmissen, oder ihn als Mitternachtssnack benutzt. Ich schüttele den Gedanken ab und spüre ein Kratzen in meinem Hals, weshalb ich in meine Armbeuge huste. 

"Wie geht es ihm?", fragt Kuina an Ann gerichtet.

"Das wird schon wieder, aber er sollte etwas in den Magen bekommen", sagt sie und stützt ihn. Ich überlege einen Moment und sehe zu Chishiya, welcher noch mit dem Hutmacher redet. Er scheint Katsu nicht besonders zu mögen und ich möchte eigentlich noch irgendetwas mit Chishiya unternehmen, wobei er wahrscheinlich noch zu einer Besprechung muss. Ich kaue leicht auf meiner Unterlippe, doch Kuina zuckt nur mit den Achseln und läuft zu Ann. 

"Ich komme mit", sage ich und stütze Katsu auf der anderen Seite, "Ich habe sowieso Durst"

Wir laufen durch das Restaurant und ich bin überrascht, dass es eine Uhrzeit gibt in der niemand hier ist. Wir gehen durch die Tür, welche nur für das Personal bestimmt ist und Katsu setzt sich auf einen Stuhl, während Ann einen Korb Weißbrot vor ihn stellt. Ich setze mich auf eine der Kücheninseln und nehme mir eine Wasserflasche aus dem Kasten neben mir. Ich trinke einen kräftigen Schluck, was das Brennen in meinem Hals ein wenig mildert. Während Katsu den Frauen von unserem Spiel berichtet trinke ich die Flasche in einem Zug aus, um das kratzende Gefühl in meinem Hals loszuwerden. Als ich die zweite Wasserflasche zur Hälfte austrinke setze ich kurz ab, da Ann irgendetwas gesagt hat und mich wartend ansieht.

"Wie bitte?"

"Ich sagte, dass man dich nicht unterschätzen sollte", lächelt sie mich an. Ich nicke ihr dankend zu und stecke meine Hände in die Pullover-Taschen, da mir langsam kalt wird.  

"Nein sollte man nicht", höre ich eine leise Stimme hinter mir sagen, als Ann anfängt nach irgendetwas zu suchen und ihren Blick abwendet. Als ich meinen Kopf nach hinten zu Chishiya drehe nickt er nur grinsend und ich kann nicht anders als zu lächeln. Ich nehme mir eine neue Flasche Wasser und halte in der Bewegung inne, als ich seinen Blick auf die drei leeren Flaschen neben mir sehe.

"Hast du die alle gerade getrunken?", fragt er mit zusammengezogenen Augenbrauen und sein Grinsen verschwindet. Moment, waren es wirklich drei Flaschen Wasser?

"Ich wollte das Kratzen in meinem Hals loswerden und hatte Durst", sage ich nur und sehe einen Moment verwirrt neben mir, bevor ich einen weiteren Schluck trinke. Sein Blick macht mich nervös, deswegen versuche ich nur ein kleines bisschen zu trinken. Ich sehe wieder nach vorne zu Ann, die gerade dabei ist eine Tomate zu schneiden. Der Geruch des Gemüses steigt mir sofort in die Nase und für diese Entfernung riecht sie ziemlich stark. Ich schlucke einen Kloß in meinem Hals herunter und mir wird ein wenig schlecht.

"Wollen wir uns verdrücken?", wende ich mich an Chishiya und er zieht nur grinsend die Augenbrauen nach oben. 

"Du willst lieber nur zu zweit sein als dem Koch beim Weißbrotessen zuzusehen?", fragt er gespielt erstaunt und ich verkneife mir ein breiteres Lächeln. Wir sehen beide zu den anderen, doch alle drei sind mit etwas anderem beschäftigt. Sie haben wahrscheinlich nicht einmal gemerkt, dass Chishiya den Raum betreten hat.

"Ja, aber wenn du nicht willst...", ziehe ich das Ende lang und sehe wieder provokativ nach vorne.

"Komm mit", lacht er leise und ein wenig näher an meinem Ohr, weshalb ein kleiner Schauer über meinen Rücken läuft. Ich hüpfe leise von der Theke und zusammen schleichen wir uns aus dem Raum. Er läuft einen Schritt schneller als ich und scheint genau zu wissen, wohin er möchte und ich folge ihm wortlos. Mir ist es gleichgültig wohin wir gehen, solange ich Zeit mit ihm verbringen kann. Er bleibt vor seinem Hotelzimmer stehen und da ich die Prozedur schon kenne gehe ich einen Schritt an die Seite, damit er sich versichern kann dass uns niemand beobachtet. 

Zufrieden nickt er nachdenklich und wir gehen in sein Zimmer. Während er ins Bad geht, um den Staub von seinen Händen zu waschen sehe ich mich ein wenig um. Auf dem Schreibtisch am Fenster entdecke ich einen Haufen elektronischer Einzelteile auf der Arbeitsplatte und unterschiedliches Werkzeug. Hier muss Chishiya diesen Elektroschocker gebaut haben. Ich sehe mir das dicke Buch unter einem Stapel Schrauben und Kabel an und versuche nichts durcheinander zu bringen. Elektrotechnik und elektronischer Maschinenbau. 

Ich höre wie Chishiya wieder aus dem Bad kommt und drehe mich mit dem Buch zu ihm um. Er hat die Weste gegen seinen schwarzen Hoodie getauscht, den er gerade über seinen Kopf zieht und ich wende höflicherweise meinen Blick ab. Ich sehe wieder in das Buch, aber kann nicht verhindern dass sich ein Grinsen auf meine Lippen schleicht. 

"Also was?", sage ich als ich mein Grinsen wieder einigermaßen unter Kontrolle halten kann, "Du ließt das Buch und kannst dann einen Elektroschocker bauen?"

"Ja, mit ein bisschen Vorwissen in Physik", antwortet er und stellt sich neben mich. Ich blättere durch einige Seiten, doch sobald ich die ganzen Bauteile und physikalischen Erklärungen überfliege bekomme ich Kopfschmerzen und klappe das Buch wieder zusammen. Gibt es irgendetwas von dem Chishiya keine Ahnung hat oder es nicht in weniger als einer Stunde lernen kann?

"Ist der Taser das einzige, was du gebaut hast?", frage ich neugierig mit dem Blick auf die vielen Kabel in verschiedenen Farben.

"Bis jetzt ja. Ich hab noch den Musikspieler hier repariert und ein wenig modifiziert, aber das wars", antwortet er und zeigt auf ein blaues Gerät. 

"Der sieht nicht so aus, als würde er über Batterien laufen", stelle ich fest und er nickt bestätigend.

"Man muss ihn aufladen, aber das kann man nur hier im Hotel oder an einem Spielort mit Steckdose" 

Ich lege das Buch wieder an seinen Platz, falls Chishiya die Dinge absichtlich so sortiert hat um seine Ordnung nicht zu stören. Ich lasse von dem Tisch ab und nehme mir eine herumstehende Wasserflasche, da ich immer noch Durst habe und wir setzen uns auf die beiden Sessel an dem Couchtisch. Ich nehme den Kartenstapel und beginne die Karten auszuteilen, damit wir noch ein wenig Mau Mau spielen können bevor ich zum schlafen wieder in mein eigenes Zimmer gehen muss. 

Alice in BorderlandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt