Kapitel 145 - Interne Spiele

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„Spielen wir doch ein Spiel, Sayuuri", steht sie auf und stellt sich neben mich, interessiert drehe ich mich um, damit ich beobachten kann, was sie in Augenschein nimmt. „Raten wir doch mal. Wofür werden die einzelnen Mitglieder der Führungsriege abstimmen? Wir wechseln uns ab, dass es interessant bleibt."

„Du möchtest ein Spiel aus dem Leiden anderer machen?", ziehe ich meine Augenbrauen nach oben und zucke zusammen, als sie ihre Hand fordernd und dennoch behutsam auf meine Schulter legt.

„Niragi stimmt für die Hinrichtung, kein Zweifel", beginnt Mira das Spiel ohne meine Einwilligung und sieht zu dem schwarzhaarigen Scharfschützen. Gierig mustern ihre Augen den Mann und ihre Stimme wird süffisanter, sie ist im Spielmodus. „Versteh mich nicht falsch, alle wissen, dass er eine Schwäche für dich hat und die Samthandschuhe anzieht, aber dennoch...seine Brutalität nimmt zu, seitdem der Hutmacher ihn nicht mehr bremst. Er lechzt nach Blut und wird sich einen Spaß daraus machen. Vermutlich wird er sie persönlich erschießen."

Meine Augen durchsuchen den Konferenzsaal und meine Gedanken spielen verrückt. Wen soll ich zuerst analysieren, Ann oder den Schwertträger?

„Ann wird dagegen stimmen", treffe ich meine Wahl und analysiere die verschränkten Arme der sonnenbrillentragenden Frau.

„Aber sie denkt rational, eine Gefahr auszuschalten ist logisch", stachelt mich Mira weiter an, doch ihre ruhige Stimme signalisiert mir, dass sie nur eine Erklärung haben will. Sie vermutet auch, dass Ann nicht für den Tod dieser Menschen stimmen wird, möchte aber meine Sichtweise der Dinge verstehen.

„Forensikerin. Sie steht auf der Seite des Gesetzes und wird nicht einfach darüber hinwegsehen. Sie hat das Beach mitaufgebaut, wie ich mitbekommen habe, sie hält sich – trotz seines Todes – an den Hutmacher. Nicht, dass er sie verschont hätte, aber ich glaube Ann war seine Stimme der Vernunft."

„Gut, ich wähle...Last Boss", meint sie und ist mir einen Schritt gedanklich voraus. Ich wollte mir die Option lassen und ihn als nächstes wählen, sie nimmt mir meinen darauffolgenden Schachzug.

„Du wählst eine Person, welche mit deiner letzten Wahl in Verbindung steht", schnaufe ich amüsiert, „Ist das nicht langweilig?"

„Ich werde es bei der nächsten Runde berücksichtigen", grinst Mira und fährt mit ihrer Einschätzung fort. „Er folgt wie ein Hündchen unserem Freund mit dem Gewehr. Es wäre oberflächlich zu denken, dass er deswegen derselben Meinung ist. Aber der Griff um den Schwertgriff, der ist uns beiden nicht entgangen, oder?"

„Er ist bestimmt, schon fast spielerisch locker für eine Klinge mit diesem Gewicht", nicke ich und Mira entfährt ein zufriedenes Seufzen.

„Du bist dran", flüstert sie mir melodisch ins Ohr und es ist fast paralysierend, schon fast lockt mich der Ruf ihrer Herausforderung aufs Neue.

„Yuji Mahiru", meine ich mutiger. Dieser Mann ist mir schon öfters unter die Augen gekommen, aber heute hat er meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. „Er ist schwieriger einzuschätzen. Seine Hände sind voller Blut, nach allem, was er anscheinend im Borderland getan hat. Er bereut es, verdrängt aber die Stimmen in seinem Kopf. Er wird innehalten, sich aber für eine Hinrichtung entscheiden. Allein um seinen emotionalen Zwiespalt vor der Führungsriege zu verbergen."

„Sehr gut", stimmt Mira mir zu und ihre Augen schenken über die übrig gebliebenen Spieler, geiernd nach ihrem nächsten Opfer.

„Noch keinen gefunden, oder kannst du dich einfach nicht entscheiden?", meine ich provokativ und versuche sie unterbewusst in Zeitnot zu bringen.

„Er", deutet sie mit einem Nicken zu dem Mann in der weißen Weste und unmerklich zucke ich zusammen. Sie hat ihre Hand immer noch auf meiner Schulter, sie hat diese Körperreaktion bemerkt, weshalb ich mich bei ihren nächsten gewählten Worten mehr als neutral verhalten muss. „Chishiya, er hatte mal deinen Posten."

Alice in BorderlandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt