Kapitel 77 - Erleichterung

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Ausgeschlafen schlage ich meine Augen auf und kuschele mich noch einen Moment in meine Decke, bevor ich mich aufsetze. Gestern haben ich und Chishiya noch bis in den Morgen Schach gespielt aber irgendwann war uns beiden klar, dass ich in meinem eigenen Zimmer schlafen muss. Ich reibe mir müde über die Augen und stelle fest, dass es draußen stockdunkel ist. Verdammt, habe ich etwa den ganzen Tag verschlafen? Das Kleid ist zerknittert, also tausche ich es schnell gegen meinen Body und die lockere Hose und nehme meinen Gummiball vom Nachtisch. Ich schließe meine Zimmertür hinter mir zu und laufe runter zur Poolanlage. Ich entdecke Izumi und Yuudai an einem der Gruppentische und eigentlich habe ich nicht vor sie zu stören, doch ich kann niemanden der anderen entdecken.

"Hey", begrüße ich die beiden, welche mich mit einem warmen Lächeln empfangen. 

"Wo hast du den ganzen Tag gesteckt Sayuuri?", fragt mich Izumi mit großen Augen.

"Ja, ich habe dich beim Tischkicker vermisst", lacht Yuudai. Ich schlage ihm gespielt auf die Schulter und verkneife mir ein auflachen. Mittlerweile spielen wir nicht mehr gegeneinander, wo er nebenbei die meiste Zeit verloren hat. Wir haben ein Zweierteam gebildet und besiegen zusammen die anderen Beachmitglieder, einen nach dem anderen. 

"Bin gerade erst aufgewacht", sage ich und sehe mich ein wenig um. Ich kann weder Kuina, noch Ann oder jemanden aus der Führungsrege erkennen, nur Niragi welcher beim Militärtrupp sitzt. "Wo sind der Hutmacher oder Aguni?"

"Im Konferenzsaal bei einer Besprechung. Ann müsste noch bei Chishiya sein", überlegt Yuudai und ich sehe ihn verwirrt an.

"Wieso ist Ann bei Chishiya?"

"Du hast es noch nicht gehört?", fragt mich Izumi mit großen Augen und ich schüttele verwirrt den Kopf. Was soll ich denn nicht gehört haben?

"Chishiya wurde im Spiel heute verwundet", führt Yuudai fort. Unmöglich. Mein Herz setzt einen Schlag aus und die Leute um mich herum bewegen sich wie in Zeitlupe. Wie schlimm ist es, ist er überhaupt bei Bewusstsein? Wie in Trance stehe ich auf und entschuldige mich bei den beiden. Er kann nicht verletzt sein, wieso hat er mich nicht gesagt dass er heute spielt? Ich nehme drei Treppen auf einmal und laufe zu seinem Zimmer. Als ich gerade um die Ecke biege erkenne ich Kuina vor der offenen Tür stehen und nach drinnen schauen. Sie scheint mich gehört zu haben und sieht zu mir. Mit ihren Augen deutet sie in den Raum und ich verstehe. Ich verstecke mich um der nächsten Ecke, da anscheinend jemand in dem Zimmer ist. Wenn Ann bei ihm ist muss es bedeutet, dass er schwerer verletzt ist und sie seine Wunden versorgt. 

Ich luge zu dem Gang und sehe zu, wie Ann den Raum verlässt und sich blutige Einweghandschuhe auszieht. Ich schlage eine Hand vor meinen Mund und kneife meine Augen ganz fest zu, wie als würde ich einen schlechten Traum haben. Ich kann nicht objektiv und klar denken, vielleicht war das gar nicht so viel Blut. Meine Hände beginnen zu zittern und ich versuche das Bild von Anns Handschuhen aus dem Kopf zu bekommen. Ich höre die beiden Frauen miteinander reden und als ich wieder zu um die Ecke schaue sehe ich, wie die beiden in entgegengesetzte Richtung laufen. Kuina dreht sich noch einmal unauffällig um und nickt mir stumm zu. 

Ich überprüfe, dass auch niemand auf dem Flur ist und klopfe leise an die Zimmertür.

"Was noch Ann?", höre ich eine genervte Stimme und überlege einen Moment, bevor ich in das Zimmer schlüpfe. Das Zimmer ist dunkel und ich sehe nur Licht im Bad brennen, worauf ich langsam zulaufe. Chishiya läuft aus dem Badezimmer und ich erschrecke leicht, als ich ihn sehe. Er hebt seinen schwarzen Pullover in der Hand, aber ein Verband ist um seinen nackten Oberkörper gewickelt. Da er sowohl einen Teil seines Bauches, seine Brust und die rechte Schulter verdeckt kann ich nicht erkennen, was genau ihm fehlt.

"Sayuuri", stellt er überrascht fest und ich sehe ihn mit großen Augen an. Er scheint nicht mit Schmerzmitteln vollgepumpt zu sein oder irgendwie neben der Spur. Er ist voll bei Bewusstsein und seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen hat er keine großen Schmerzen. Er möchte schon irgendetwas sagen, aber ich laufe auf ihn zu und ziehe ihn erleichtert in eine Umarmung. Er zuckt kurz zusammen, doch dann legt er lachend seine Arme um mich und erwidert es.

"Was ist passiert?", frage ich und sehe ihn mit gerunzelten Augenbrauen an als ich ihn wieder aus der Umarmung freigebe. 

"Ich konnte den Kugeln ausweichen aber einer der Jäger hat mich mit seinem Messer gestreift", sagt er locker und zuckt nur mit den Schultern wie als wäre nichts gewesen. Ich schüttele nur den Kopf und halte meine Tränen vor Erleichterung zurück. Ich spüre wieder dieses Kribbeln in meinen Fingerspitzen und folge einfach meinem Instinkt. Ich ziehe ihn zu mir runter und versuche jede Unsicherheit auszuschalten. Ich lege meine Lippen auf seine, doch er scheint überrascht, weshalb ich mich wieder von ihm löse. 

Ich versuche seinem verwirrten Blick nicht auszuweichen und an dem leicht geöffneten Mund und seinen durchdringlichen Augen erkenne ich, dass er über etwas nachdenkt. Ich hoffe ich habe keine Grenze überschritten, denkt er jetzt ich bin verrückt oder viel zu emotional? Aber egal was er denkt, ich habe all meinen Mut zusammengefasst und den Schritt gewagt. Sein ganzer Körper entspannt sich augenblicklich und er zieht mich wieder zu sich. Als ich seine Lippen wieder auf meinen spüre beginnen meine Wangen zu brennen und mit den flatternden Gefühlen bekomme ich kaum Luft. Ich löse mich langsam wieder von ihm und versuche mein dümmliches Grinsen zu verbergen.

"Wie fühlst du dich, geht es dir gut?", frage ich leise da meine Stimme sich heißer anfühlt. 

"Es geht schon", sagt er und grinst mich nur sanft an. Unter diesem Blick schmelze ich fast dahin und möchte ihn wieder küssen, aber ich schlage ihn leicht auf seine unverwundete Schulter.

"Mach sowas nie wieder!"

"Hey hey", beschwert er sich lachend, "Jetzt weißt du wie es mir sonst mit dir geht"

"Du Vollidiot. Ich weiß nicht ob ich dich aus dem Fenster schmeißen oder dich küssen soll", rutscht es mir aus und als er mich grinsend ansieht erstarre ich leicht.

"Kann ich aussuchen?", fragt er mit hochgezogenen Augenbrauen und einem breiten, hochnäsigen Grinsen. 

"Nein", sage ich provokant und er lacht leise. Kopfschüttelnd betrachte ich einfach nur sein Gesicht und würde ihn am liebsten wieder zu mir ziehen, aber ich will ihm nicht schon jetzt auf die Nerven gehen.

"Willst du vielleicht hier schlafen?", fragt er vorsichtig und ich versuche nicht laut aufzulachen.

"Du würdest es eh nicht schaffen, mich heute aus diesem Zimmer zu bekommen", sage ich und statt genervt wirkt er eher zufrieden. Er versucht seinen Pullover anzuziehen und in diesem Moment wird mir erst wirklich bewusst, dass er die ganze Zeit obenrum praktisch nichts anhatte. Ich nehme den rechten Ärmel und helfe ihn den schwarzen Pulli anzuziehen als ich sehe, dass er kurz das Gesicht verzieht. Ich richte den Kragen seines Pullovers als er kritisch an mir vorbei sieht und mir kommen wieder Zweifel. Was wenn ihm erst jetzt bewusst wird was wir gerade getan haben und er es abstoßend findet?

Er läuft einfach an mir vorbei und ich beiße mir auf die Unterlippe, da ich nicht glauben kann wie schnell diese Situation schief laufen konnte. Plötzlich spüre ich etwas um meine Schultern und als ich den weißen Stoff seiner Weste entdecke sehe ich ihn verwundert an.

"Du hast gezittert, ich dachte...", beginnt er, doch ich strecke meine Arme durch die Ärmel und genieße einfach das Gefühl, seine Weste zu tragen. Ich klettere ohne Worte in sein Bett und als ich ihn wartend ansehe, grinst er nur. Er legt sich zu mir und ich mache es mir auf dem Kissen bequem, als ich seinen Blick spüre.

"Was?", frage ich ohne die Augen zu öffnen.

"Nichts", sagt er nur knapp und ich grinse verlegend. Möchte er etwa dass ich näher bei ihm schlafe?

"Ich möchte dir nicht wehtun", sage ich schlicht und er lacht nur leicht.

"Wirst du nicht", sagt er nur und ich lehne mich daraufhin zaghaft an seine Schulter. Sofort legt er einen Arm um mich und ich schmiege mich an ihn. Ist das gerade wirklich passiert? Haben wir und wirklich geküsst, ohne Spiel und ohne Störungen? Und das Beste, im Gegensatz zu unserem letzten Spiel fühlt es sich richtig an. Keine Bedenken und keine Zweifel, nur die Schmetterlinge in meinem Bauch und mein Kopf auf seiner Schulter.


Alice in BorderlandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt