Kapitel 47 - Die Lichter

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Auf dem Dach setzen wir uns nebeneinander an die Kante mit Blick auf den Poolbereich. Mittlerweile ist die Anlage komplett überlaufen und statt der spanischen Musik von vorhin dröhnt laute Partymusik aus den Lautsprechern. Ich entspanne mich sofort bei dem Gedanken, wie ruhig und friedlich es doch im Gegensatz hier oben ist. 

In diesem Moment geht die Außenbeleuchtung an und ich atme zufrieden aus. Die Lichterketten nehmen die unterschiedlichsten Farben an und erhellen die Leute unter uns. 

"Gutes Timing", grinse ich Chishiya an und er zuckt nur leicht lachend mit den Schultern.

"Perfektes Timing", behauptet er stolz.

"Ich liebe es, wenn es dämmert und die Lichter angehen", lächele ich entspannt und überlege, wie gemütlich es doch wäre hier einfach eine Holzpalette und eine Mattratze hinzulegen. Wir sind wahrscheinlich sowieso die Einzigen hier oben und könnten die Lichter jeden Abend sehen. 

"Ich weiß", sagt er nur mit seinem typische Blick nach unten auf die Anlage gerichtet. Ich schüttele nur unmerklich den Kopf und verkneife mir ein Grinsen. Ich habe es nie erwähnt und doch wusste ich, dass Chishiya es bemerkt hat. Es ist als würden wir uns in solchen Dingen wortlos verstehen. Vielleicht sind wir deswegen in den Spielen ein so gutes Team. Ich meine ich kann Chishiya immer noch nicht genau einschätzen, aber an seiner Haltung oder seinen Zügen kann ich erkennen, ob er ehrlich ist oder sich wohlfühlt.   

Ihm scheint die Tube neben mir aufzufallen und er wartet noch einen Moment bevor er fragt, damit ich noch kurz die Lichter betrachten kann. Dafür bin ich ihm stumm dankbar und sehe zufrieden nach unten. 

"Was ist das?"

"Eine Salbe, Aguni meint sie hilft bei meinen Rippenschmerzen", antworte ich und reiche sie ihm. Er sieht kurz auf dass Etikett und auf die Rückseite, bevor er nachdenklich nickt. 

"Könnte gegen die Schmerzen helfen, Tigerbalsam hat einen kühlenden Effekt", sagt er konzentriert und ich stelle die Tube wieder neben mich, "Du solltest es aber nicht für deinen Wangenknochen verwenden, auf offenen Wunden brennt es nur unnötig"

Das mit meinem Wangenknochen habe ich schon fast vergessen. Ich taste mit meiner Hand vorsichtig die Stelle ab und senke meinen Blick. Ihm scheint es aufzufallen und seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen weiß er, an was ich denke.  

"Was wollte der Hutmacher von dir?", lenkt er das Thema um und sieht streng zur Poolanlage. Fragt er das, weil er sich Sorgen gemacht hat wie Katsu oder möchte er damit etwas anderes bezwecken? 

"Ich glaube er brauchte einfach jemanden zum reden", zucke ich nur mit meinen Schultern und ich meine zu erkennen, dass eine gewisse Kühle in seinen Augen liegt. 

"Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt", zitiert er, nachdem er scharf die Luft einzieht. Ich weiß das Zitat war abwertend gemeint aber die Tatsache, dass er Shakespeare kennt lässt mich mal wieder erkennen, wie intelligent er doch eigentlich ist. Ich frage mich ob es einen Bereich gibt, von dem er gar keine Ahnung hat. 

"Ich glaube er verliert sich", sage ich leicht besorgt und hoffe, dass es für Chishiya nicht lächerlich klingt. Doch er nickt nur leicht und scheint zu verstehen, was ich damit meine.

"Du solltest vorsichtig sein. Seiner Nummer zwei scheint es nicht zu gefallen, dass ihr öfters miteinander redet. Ich habe ihm beim letzten Mal gesehen, wie er gemessen hat wie lange du mit dem Hutmacher redest"

Die Nummer zwei? Ich habe nie auch nur ein Wort mit diesem Mann gewechselt. Aber ich kann mir vorstellen, dass er als Nachfolger gerne über alles im Hotel bescheid weiß. Vermutlich denkt er, dass ich mit dem Hutmacher über wichtigere Dinge rede als wie wir einen Tiger beschaffen können. 

"Was ist das mit euch beiden", frage ich und achte nicht auf seine Reaktion, sondern rede einfach weiter, "Vor dem Spiel mit Aguni ist mir aufgefallen, dass er auf der Empore immer wieder zu dir gesehen hat."

Chishiya schnauft leicht abfällig, was meine Beobachtung von dem Tag bestätigt. Er hat genau gewusst, dass er von der Nummer zwei gemustert wurde. 

"Er denkt, dass er besser ist als die anderen. Er maßt sich gerne an, der Intelligenteste im Raum zu sein und ihm passt es nicht,  wenn man ihm vom Gegenteil überzeugt"

"Wenn du ihm vom Gegenteil überzeugst", rate ich richtig und er grinst breit. Chishiya ist einfach unglaublich. Seine Eigenart ist wahrscheinlich das, was ich am meisten an ihm mag. Ich beiße mir leicht auf die Unterlippe, um nicht zu breit zu grinsen und sehe von ihm nach unten. Es entsteht eine kurze Stille, die alles andere als unangenehm ist. 

"Du weißt, dass der Typ auf dem Gang auf dich steht? Ich meine man kann es ihm nicht verdenken, aber es ist ziemlich offensichtlich"

Verwundert sehe ich zu ihm und er begegnet meinem Blick nur mit seinem typischen Ausdruck. Ich weiß nicht, was mich mehr aus dem Konzept bringt. Seine hochgezogenen Augenbrauen und das schiefe Grinsen oder was er gerade gesagt hat, vor allem den letzten Teil. Man kann es ihm nicht...

"Tut er nicht, wir haben uns heute zum ersten Mal richtig unterhalten", sage ich bestimmt und versuche das von eben einzuordnen.  

"Das ist mehr, als die meisten Leute hier im Beach brauchen", nickt er nur und sieht bedeutend zu den feiernden Menschen nach unten. 

"Du müsstest mich langsam besser kennen Chishiya", lache ich um die Situation zu überspielen. Als ich merke, dass er nicht mit lacht, sehe ich zu ihm. Er sieht mich nur leicht zufrieden lächelnd an und und nickt unmerkbar mit dem Kopf. Denkt er wirklich, dass Katsu mich mag? Und selbst wenn, dass ich an ihm interessiert wäre?   

"Seit dem ich dich kenne wurde eine Pistole auf dich gerichtet, du wärst fast von einer Leiter zwanzig Stockwerke nach unten gefallen, hattest eine Überdosis, bist fast verblutet an unzähligen Wunden und ertrunken", zählt er auf, "So schnell überrascht mich nichts mehr". Mir ist bewusst, dass ich schon oft fast gestorben wäre, aber ich habe alles immer einzeln betrachtet und nicht im Gesamten. Für wie schwach muss mich Chishiya eigentlich halten?

"Trotzdem habe ich überlebt", sage ich nur auch wenn ich die Vorstellung nicht mag, dass er mich so sieht. Ich hoffe, dass das Thema Katsu damit vom Tisch ist.

"Schön jemanden zu haben bei dem man weiß, dass er in den nächsten Spielen nicht einfach stirbt", sagt er nur und sieht mich lächelnd an. Zuerst sehe ich ihn verwundert an, doch dann erwidere ich sein Lächeln und stoße ihn erleichtert mit meiner Schulter an.

"Finde ich auch"


Alice in BorderlandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt