Kapitel 15 - Ein Drink mit dem Hutmacher

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Es ist fast nichts los. Die einzigen anderen in diesem Raum sind ein Paar auf der Eckbank und drei betrunkenen Typen, die lautstark Lachen. Ich gehe zur Hotelbar und nehme mir instinktiv eine Flasche Bourbon und ein noch sauberes Glas. Ich sehe mich im Raum um, doch der beste Platz scheint immer noch hier an der Bar. Ich lasse mich auf einen der schwarzen Barhocker fallen und schenke mir ein Glas ein. Der Gedanke an meine Eltern hat mich doch ein wenig aus der Bahn geworfen. 

An dem Tag als alle verschwunden sind hatte ich am Morgen Streit mit meinem Vater. In letzter Zeit haben wir öfters gestritten, doch ihm ist zuvor nie die Hand ausgerutscht. 

Es fing mit einem unsinnigen Streit an, ehrlich gesagt weiß ich nicht einmal ,was genau das Thema war. Aber er kann genauso ein Hitzkopf wie ich sein und ziemlich stur. Wir haben uns schnell in den Streit hineingesteigert und aus bissigen Kommentaren wurde Gebrüll. Niemand von uns hörte dem anderen zu, wir redeten einfach darauf los und unterbrachen uns immer wieder. Er fing an wegen allem sauer zu werden und begann alte Geschichten auszugraben.    Das ich ihm angeblich nie im Haushalt helfen würde und nichts zustande bringe. Er meinte ich sollte mir endlich eine Arbeit suchen, nur weil er schon mit sechszehn anfing zu arbeiten. 

Er arbeitete damals von früh bis spät, um sich hochzuarbeiten und aufzusteigen. Ich bewundere ja, dass er es so weit geschafft hat. Er versteht nicht, dass die Universität einen solchen Stellplatz hat und findet, dass mein Abschluss unnötig wäre. Doch immer wenn er in mein Zimmer kam und wollte, dass ich ihm bei etwas helfe, habe ich das Lernen unterbrochen. Dafür blieb ich dann die ganze Nacht wach und lernte eben da. 

Mit hochrotem Kopf und pulsierender Ader kam er auf mich zu. Ich spürte nur noch einen Schmerz auf meiner Wange und wie die Tränen in meine Augen stiegen. Ich rannte hoch in mein Zimmer und knallte die Tür zu. Ich hörte wie meine Eltern die ganze Zeit stritten, doch natürlich hat sie ihm wieder verziehen. Doch er kam nicht zu mir um sich zu entschuldigen, sondern tat so, als wäre nichts geschehen. 

Verdammt, aus solchen Gründen habe ich nicht an meine Eltern oder andere Dinge gedacht. Ich muss diese Gedanken einfach wieder loswerden. Morgen ist mein nächstes Spiel und ich darf nicht aus der Fassung geraten. Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, hat es sich schon seit einigen Tagen aufgestaut. Seit dem Spiel als ich Light gesehen habe. Ab diesem Moment konnte ich meine Vergangenheit einfach nicht mehr ausblenden. 

Eine Nacht habe ich auch von ihm geträumt und bin schweißgebadet aufgewacht. Ich habe versucht mich durch den Plattenspieler zu beruhigen und so den Kopf abzuschalten, aber ich konnte erst wieder einschlafen, als schon die Sonne aufging.  

Jemand reißt mich aus meinen Gedanken, als er sich neben mich auf den Barhocker setzt und entspannt seufzt. Aus dem Augenwinkel erkenne ich einen grünblauen Seidenmantel und die etwas längeren Haare. Ich schaue leicht genervt zur Seite und sehe das Grinsen des Hutmachers. Obwohl es schon dunkel ist trägt er immer noch seine Sonnenbrille, was ein wenig lächerlich aussieht. Er nimmt sich eine Flasche auf dem Tresen und schenkt sich einen Drink ein.

"Harten Tag gehabt?"

Ich versuche ein wenig freundlicher zu schauen, schüttele aber verneinend den Kopf. Er nimmt sein Glas locker in die Hand und dreht sich zu mir. 

"Ist in Ordnung, du musst es mir nicht erzählen"

Ich bemühe mich seine Stimmlage zu analysieren. Er scheint mir keinerlei Avancen machen zu wollen, sondern eher ein freundschaftsartiges Gespräch zu suchen. Ich entspanne mich daraufhin und trinke einen Schluck aus meinem Glas.

"Warum bist du hier, ich dachte in der Präsidentensuite gibt es eine eigene Hotelbar", frage ich ihn und er muss leicht in sich hinein lachen. 

"Es ist fast niemand mehr im Hotel, weil alle bei den Spielen sind. Mehr als der halbe Militärtrupp und Führungsrege, so gut wie alle Bewohner. Und mir ist langweilig alleine in meinem Zimmer"

"Danke noch einmal für den Schallplattenspieler", bedanke ich mich nachträglich. Seit ich hier ankam, habe ich ihn nicht mehr gesprochen. Er lacht nur herzlich und nimmt seine Sonnenbrille ab.

"Nichts  zu danken. Du sollst bis jetzt erfolgreich in den Spielen gewesen sein. Ich habe dich morgen mit Ann zusammen eingeteilt, vielleicht gibt es ja ein neues Schlüsselarmband"

Mir ist es ziemlich gleichgültig, welche Nummer ich besitze und ein Zimmerumzug kommt mir einfach nur anstrengend vor. Der einzige Vorteil wäre der, früher nach Hause zu kommen, was immer noch eine ganze Zeit dauern wird. 

"Wann spielst du wieder?"

"In vier Tagen. Aber ich mache mir da keine Sorgen, ich habe bis jetzt jedes Spiel gelöst", sagt er schwungvoll, doch ich erkenne einen Funken Ironie, "Inzwischen wecken diese Spiele nicht mehr meine Angst, sondern mein Interesse. Eine neue Art der natürlichen Selektion. Die Stärksten überleben und die Schwachen sterben"

"Eine natürliche Selektion in einer unnatürlichen Welt"

"Sag mir Sayuuri, was zieht dich zurück in die Welt die du kennst?"

Ich hätte jetzt alles mögliche aufzählen können: Meine Familie, der Unterricht in der Universität, die Cheerleader, meine Zukunft, das normale Leben. Doch nichts davon kam über meine Lippen.

"Meine Freunde", sage ich nach längerem nachdenken und trinke mein Glas aus. Irgendwo in meinem Kopf lege ich einen Schalter um, damit ich an nichts davon denken muss und ich einen klaren Kopf bewahre. Ich bemerke seinen verwunderten Blick und schenkt mir ohne Aufforderung nach.

"Interessant, Freunde können manchmal das Wichtigste auf der Welt sein"

Er scheint aus Erfahrung zu sprechen und leicht in Gedanken zu versinken. Oder eher in sein Glas, welches er in einem Zug austrinkt. Ich versuche das genaue Gegenteil zu erreichen, trinke jedoch ebenso mein Glas in einem Zug aus. Er steht auf und entschuldigt sich, da er noch weiterziehen möchte. Zum Abschied legt er seine Hand auf meine Schulter und drückt sie freundschaftlich.

Ich bin mir unsicher, was ich von dem Hutmacher halten soll. Die Idee hinter dem Beach ist sowohl positiv als auch negativ in meinen Gedanken. Dieser Ort hat so viel schlechtes an sich, dass ist mir bewusst. Aber wie Izumi sagte, ohne die Zusammenarbeit hätte sie nie solange überlebt, und damit wird sie wohl bei weitestem nicht die Einzige hier sein. Der Hutmacher scheint obsessiv und auch naiv, was über das Fortbestehen dieses Hotels in dieser Form betrifft. Aber er scheint kein schlechter Mensch zu sein wie manche anderen. Jedenfalls wirkt er auf mich nicht wie ein Mann, der ohne den leisesten Grund einfach eine Frau erschießen würde. Über die Art und Weise wie er seine Spiele gewinnt oder mit welche Opfer er dafür bringt, kann ich nichts sagen. Und deswegen urteile ich auch nicht in dieser Hinsicht. 

Ich beurteile nur wie er sich gegenüber mir verhält und mich behandelt, deswegen bemühe ich mich ihm mit Freundlichkeit entgegenzukommen. Und bei ihm habe ich auch keine Angst, dass er mich aus irgendeiner Laune heraus einfach so hinrichten würde. Aber man sollte nie vorsichtig genug im Borderland sein.  

Alice in BorderlandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt