Kapitel 41 (Hilfe für Andreas)

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Der Tourblock ging in die Endphase. Bald war wieder Pause angesagt.
Ich merkte, dass es Andreas nicht gut ging. Er sah müde aus und schien wohl auch psychisch am Boden zu sein. Ganz anders als sonst war er sehr gereizt und wurde sogar laut. Ich wusste, wenn ich ihn darauf anspreche, würde er es abstreiten und dann hätte ich ihn gegen mich. Ich fühlte mich hilflos. Es tat mir weh, ihn so zu sehen. Er tat immer so, als wenn alles prima wäre aber er konnte mir nichts vormachen. Sein Verhalten sagte alles.
Ein paar Tage später wurde ich nachts wach. Es war ruhig im Bus. Chris schnarchte ganz leise vor sich hin, eingekuschelt in sein Bettzeug. Aber Andreas war nicht da. Er war auch nicht auf der Toilette. Ich stand auf und schlich mich leise nach unten. Aber auch da war niemand.
"Wo bist du Andy?" formte Ich tonlos nur mit meinen Lippen. Dann sah ich draußen sich etwas bewegen.
Da saß Andreas nur mit Jeans und T-Shirt. Es wurde nachts teilweise bereits empfindlich kühl. Ich nahm seine Kapuzenjacke und ging zu ihm nach draußen. Jetzt erst konnte ich erkennen, dass er weinte. Sein ganzer Körper schüttelte sich und zitterte. Mein Herz zog sich heftig in meiner Brust zusammen.
"Andreas, hey Was ist los, was hast du?" fragte ich ihn leise, damit er sich nicht erschreckte.
"Nix, kann nur nicht schlafen" meinte er gereizt und wischte sich über das Gesicht, wo aber sofort neue Tränen auftauchten. Seine gereizte Tonart hatte nichts mit mir zu tun, daher nahm ich es nicht persönlich.
Ich trat an ihn heran und legte sanft meine Hand auf seinen Rücken. Es war ein heikler Moment. Wenn ich Pech hatte, blockte er und blaffte mich an oder er ließ mich an sich heran und öffnete sich. Ich konnte nicht anders und startete einen Versuch zu ihm durch zu dringen.
"Komm, es ist zu kalt, um nur im T-Shirt draußen zu sitzen. Ich habe hier deine Jacke, damit du dich nicht erkältest".
Er sah mich kurz an, sein Blick veränderte sich von einer Sekunde auf die andere und wurde wieder ganz sanft fast schon zerbrechlich, bevor er ohne Gegenwehr und Aggressivität aufstand, sich die Jacke anzog, den Reißverschluss zumachte, bevor er mich ohne ein weiteres Wort an sich zog und in eine feste Umarmung schloss. Er versteckte sein Gesicht in meiner Halsbeuge und ließ seine Tränen laufen. Ich legte meine Arme um ihn, sagte aber nichts. Ich war einfach nur für ihn da und spendete ihm Trost und Schutz. Den großen Mann, der es sonst immer schaffte, mir ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern, so verstört zu sehen, tat mir in der Seele weh.
"Was hat dich aus der Bahn geworfen?" hakte Ich vorsichtig nach, während ich sanft über seinen Hinterkopf streichelte.
"Ich...ich kann nicht mehr. Mir ist das gerade alles zu viel. Jeder hat so gewaltige Ansprüche, es muss immer noch mehr und noch größer sein. Niemanden interessiert es, was ich bzw wir möchten. Ich habe keine Kraft mehr zu kämpfen, verstehst du Charlie?".
Ich hatte keine Ahnung, was die anderen für Forderungen und Ansprüche an ihn hatten.
Komm, lass uns rein gehen. Drinnen ist es angenehmer".
Andreas nickte, löste sich kurz ein kleines Stück und sah mir direkt in die Augen, während sein Gesicht dicht an meinem war.
"Bleibst du bei mir? Ich will nicht schlafen. Dann fang ich an zu grübeln" fragte er leise und seine dunklen Augen sahen mich fragend an.
"Alles was du möchtest. Schon vergessen? Wir sind sehr gute Freunde und die sind füreinander da" sagte ich lächelnd und strich mit meinen Fingerspitzen über sein Ohr und durch seine kurzen lockigen Haare, während ich aufmunternd in seine dunklen Augen sah, die mich musterten.
Andreas seufzte und lehnte sich wieder in meine Arme.
"Danke, dass du bei mir bist".
Wir gingen zurück in den Bus und setzten uns auf die Couch.
"Soll ich uns einen Tee machen" fragte ich und sah ihn mit einem Lächeln an.
"Das klingt gut. Gerne"
Kurz darauf standen zwei dampfende Tassen mit Tee vor uns. Ich überlegte wie ich Andreas beruhigen konnte, denn er hatte noch immer nicht zur Ruhe gefunden und war total niedergeschlagen.
"Hey großer Bruder. Bitte schau mich an," flüsterte ich und legte vorsichtig einen Finger unter sein Kinn, damit er mich ansah.
Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen.
"Ich habe dich sehr lieb. Ich werde dir helfen und für dich da sein, so wie ich es dir versprochen habe. Du bist nie alleine".
"Danke" meinte er leise und strich mir über die Wange.
Ich betrachtete Andreas, während er neben mir saß. Er war einfach ein toller Mann. Er war gutaussehend, dazu sein Charakter, sein Charme. Jemand wie er hatte es einfach nicht verdient unglücklich zu sein. Seine dunklen Augen durften nicht aus Schmerz weinen. Vor Lachen und Freude ja aber nicht aus Schmerz. Ich wollte alles mögliche machen, damit es ihm gut ging und er glücklich war.
Eigentlich wäre das die Aufgabe seiner Familie, von Bianca, seiner Frau, ihn aufzubauen und ihm den Rücken zu stärken . Aber irgendwie schien da etwas zu sein, von dem ich bisher nichts wusste. Aber eines wusste ich ganz genau. Meine Gefühle für Andreas waren stärker geworden und ich musste aufpassen, mich nicht zu verlieren.
Er wurde etwas schläfrig aber kämpfte dagegen an.
"Komm leg deinen Kopf hier auf meine Beine und die Füße hoch. Ich bin bei dir. Dir passiert nichts. Ich verspreche es dir" sagte ich liebevoll zu ihm. Andreas musterte mich müde und nickte. Als er lag, deckte ich ihn vorsichtig zu.
"Ruh dich aus. Ich bin da" sprach ich leise weiter. Andreas griff nach meiner Hand und hielt sie fest.
"Verlass mich bitte niemals" waren seine letzten Worte, bevor er einschlief. Ich blieb ruhig bei ihm sitzen und streichelte seine Wange. Er brauchte Nähe und Liebe. Beides wollte ich ihm geben, soweit es mir möglich war.

Träume sind da, um gelebt zu werdenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt