Kapitel 42 (Da war er weg)

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Wieder zu Hause begann der Alltag. Die kurzzeitige Verbesserung von Andreas Zustand verflog leider ziemlich schnell. Seine schlechte Laune und der Frust waren wieder da. Ich bekam zum Glück nicht viel davon ab. Ich nahm mir ein paar Tage frei, um zu meinem Haus zu fahren und nach dem Rechten zu schauen, evtl Freunde zu treffen.
Bei meiner Abfahrt in Bünde schien alles in Ordnung zu sein.
Zu Hause angekommen, stellte ich fest, dass alles prima gepflegt wurde. Auch im Haus war alles so wie es sein sollte.
Abends sahen wir uns über Skype, bevor die Jungs Feierabend machten. Ich erschrak mich. Andreas sah nicht gut aus. Er baute immer mehr ab. Sein Stress Level war viel zu hoch.
"Wir vermissen dich jetzt schon" meinte Chris mit einem Lächeln. Andreas schwieg, jedoch seine Augen sprachen von großen Schmerzen und Sehnsucht.
"Ich bin bald wieder bei euch" lächelte ich zurück.
Zu sehen, dass es Andreas nicht gut ging, tat mir weh. Etwas fehlte ihm. Etwas zerfraß ihn innerlich und ich konnte ihm nicht helfen.

Am nächsten Tag in Bünde
Chris war in der Halle und ging zwischendurch zum Büro. Andreas war ebenfalls im Büro. Er sah furchtbar aus. Er hatte Ringe unter den Augen, wie ein Panda, da er nachts kaum noch schlafen konnte.
Aus seinem Handy kam Musik von Nino de Angelo "Flieger"

"Oh oh" dachte sich Chris, denn er ahnte in was für einer Stimmung Andreas war, wenn er das Lied hörte.
"Hey Bruder" meinte er freundlich.
"Was ist?" knurrte Andreas.
"Nichts wieso?"
"Dann lass mich in Ruhe".
Chris schluckte.
"Andy beruhig dich mal. Charlie kommt doch bald wieder."
Andreas fuhr herum
"ICH WILL MICH ABER NICHT BERUHIGEN. KAPIER DAS ENDLICH !! MAN ICH GEH KAPUTT VOR SEHNSUCHT "
Chris zuckte zurück und schluckte. Dass Andreas so ausrastete, weil ich nicht da war war endlich das offen ausgesprochene Wort seinem Bruder gegenüber, wie gerne er mich hatte.
Dann ging alles ziemlich schnell. Andreas sah auf seine Uhr, raunzte "Ach egal", schnappte sich seine Jacke und lief nach draußen. Im Rausgehen knallte er noch einen Ordner auf einen Tisch und knallte die Tür zu. Er stieg in sein Auto und raste vom Hof.
Chris ahnte wo sein Bruder hinwollte. Er schrieb mir eine Nachricht, dass ich ihm doch bitte eine SMS schicken soll wenn ich Besuch bekommen sollte.
Ich lächelte, als ich die Nachricht las, denn ich glaubte nicht, dass Andreas den weiten Weg wegen mir machen würde.
Draußen verdunkelte sich der Himmel. Ein stürmischer Wind blies vorüber und erste Regentropfen fielen auf den Boden. In der Ferne war ein Grummeln zu hören.
"Andreas mach keinen Blödsinn. Ich vermisse dich auch aber bei dem Wetter ist es zu gefährlich " flüsterte ich, während ich ein Foto von Andreas ansah wo er in die Kamera lachte und dann wieder zum Himmel, der immer dunkler wurde.
Zur gleichen Zeit war Andreas bereits auf der Autobahn Richtung Bremer Kreuz unterwegs. Er war aufgewühlt. Sein Herz raste. Was war los mit ihm? Um sich abzulenken, machte er das Radio an. Da sang gerade Celine Dion "My heart will go on".

Innerhalb von Sekunden füllten sich seine Augen mit Tränen, die ihm dann ohne Pause über die Wange liefen. Um keinen Unfall zu bauen, fuhr er auf einen Parkplatz. Als der Wagen stand, ließ er alles raus. Zumindest dachte er das. In ihm steckte sehr sehr viel. Die Sehnsucht riss ihm den Boden unter den Füßen weg. Nach einer Weile schaffte er es sich wieder ein wenig zu beruhigen und weiter zu fahren. Allerdings bremste nun das schlechte Wetter. Es goss wie aus Eimern, die Gefahr von Aquaplaning wurde immer größer und starke Seitenwinde drohten den Wagen jeden Moment von der Straße zu schieben.
"Was hast du bloß mit mir gemacht?" murmelte er mit verheulten Augen.
Zu Hause saß ich auf der Couch bei einer schönen Tasse Tee und ahnte nicht, welche Rolle ich gerade spielte. Bisher war niemand bei mir gewesen. Ich schrieb Chris an, ob Andreas wieder zu Hause wäre.
Charlie: Hey Chris. Ist Andreas mittlerweile wieder zu Hause angekommen?
Chris : Nee leider nicht und auch keine Nachricht von ihm. Bianca ist mal wieder nicht da. Ich mach mir langsam echt Sorgen. Bei dem Dreckswetter bleibt man mit dem Arsch zu Hause und fährt nicht einfach weg. Idiot
Charlie : Bitte beruhig dich. Leicht gesagt, ich weiß. Aber damit hilfst du Andreas nicht. Ich melde mich auf jeden Fall sobald er da ist. Fühl dich lieb gedrückt.
Chris : Danke du auch
Ich sah hinter mich. An der Wand hingen 3 große auf Leinwand gezogene Bilder, die noch nicht den Weg nach Bünde gefunden hatten. Jeweils eines wo ich mit Andreas und Chris alleine drauf war und in der Mitte eines wo ich in der Mitte stand und Andreas und Chris jeweils an meiner Seite. Die Art wie sie bei mir standen, zeigte wie gut wir uns verstanden und welches Vertrauen wir zueinander hatte.
"Oh man Andreas. Komm bitte gesund hier an. Ich mache mir Sorgen um dich" flüsterte ich.
Dann klingelte es an der Tür.
"Was zum..."
Ich stand auf und ging zur Tür.
Als ich öffnete, stand mir Andreas gegenüber, der mich durchnässt und verheult mit geröteten Augen ansah.
"Dich einen Tag länger nur über Kamera zu sehen, halte ich echt nicht aus" sagte er mit zitternder Stimme.
"Andreas" lächelte ich, ging auf ihn zu und nahm ihn in den Arm, worauf er seine Tasche fallen ließ und mich sehnsüchtig in seine Arme schloss.
" Oh man Andreas. Bin ich froh, dass dir nichts passiert ist" seufzte ich.
"Stimmt nicht ganz. Mir ist was passiert" nuschelte er.
Sofort sah ich ihn von oben bis unten an und bekam einen leicht panischen Gesichtsausdruck.
Er fasste mich an den Schultern, bevor er mir lächelnd eine Hand an die Wange legte.
"Du bist mir passiert".
Ich guckte erst erstaunt, bevor ich auch ein Lächeln über die Lippen bekam.
"Komm schnell rein. Drinnen ist es warm". Nachdem ich die Haustür geschlossen hatte, nahm Andreas mich sofort wieder in seine Arme.
"Ich habe dich so unglaublich vermisst" flüsterte er und vergrub sein Gesicht an meiner Halsbeuge.
Wir setzten uns auf die Couch und ich nahm mein Handy.
"Was hast Du vor?" fragte Andreas leise.
"Chris Bescheid sagen, dass du heile bei mir angekommen bist. Er hatte mich vorgewarnt, dass du Hals über Kopf nach einem Streit abgehauen bist und er hielt es für das Wahrscheinlichste, dass du hierher kommen würdest. Er hat sich Sorgen gemacht".
Ich merkte, dass es Andreas gar nicht passte.
"Hey Ich bin erwachsen, falls euch das entgangen ist" maulte Andreas.
Mir platzte nun endgültig der Geduldsfaden und ich polterte los.
"Verdammt noch mal Andreas Reinelt! Ist dir vielleicht EINMAL in den Sinn gekommen, dass es Sachen gibt, auf die dein sogenanntes Erwachsensein KEINEN Einfluss hat? Dem Sturm da draußen ist es schnurzegal ob du 40, 20 oder 60 Jahre alt bist. Der reißt dich mit und..." weiter kam ich nicht, da ich bei der Vorstellung, was Andreas hätte passieren können, in Tränen ausbrach. Mein ganzer Körper schüttelte sich, während ich mein Gesicht hinter meinen Händen versteckte. Andreas saß wie vom Blitz getroffen neben mir. So hatte ich noch nie mit ihm gesprochen. Seinen vollen Namen benutzte ich zudem nur, wenn ich richtig sauer war.
Er sah mich schweigend an, während es in seinem Kopf arbeitete. Sah wie die Vorstellung, dass ihm etwas hätte passieren können, mich quälte und völlig aus der Bahn warf.
"Oh man. Da hab ich ja was angestellt. Ich wollte doch nur zu ihr. Und nun habe ich Charlie und auch meinen Bruder in Angst und Panik versetzt" dachte er.
Ich nahm derweil mein Handy und öffnete den Chat mit Chris.
Charlie : So Entwarnung dein Bruderherz ist hier heile angekommen und zickt jetzt auf der Couch rum
Chris : Gut zu wissen aber wieso zickt er rum?
Charlie : weil ich dir eine Info geben wollte, dass er hier ist. Er wäre ja erwachsen und bla bla bla. Du kennst ihn ja
Chris : Oha na da freut man sich doch gleich wenn er da ist.
Charlie : Er hat von mir erst einmal ne Ansage bekommen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich ihm so etwas ins Gesicht sagen könnte. Hoffentlich hat das keine Konsequenzen für mich.
Chris : Quatsch mein Bruder will immer wissen woran er ist. Du hast ihm nur klar gemacht, dass er dir nicht egal ist. Und ansonsten bin ich ja auch noch da. Dann kümmere dich mal gut um ihn und wenn was ist melde dich.
Ich legte das Handy weg und blickte Andreas an.
Er saß neben mir wie ein Häufchen Elend.
"Ich bin froh, dass Du heile hier angekommen bist" sagte ich und nahm vorsichtig seine Hand.
"Na komm zieh dir deine nassen Sachen aus. Ich hole dir was trockenes und dann mach ich uns Tee".
Andreas sagte nichts, nickte nur stumm.
Als ich mit den trockenen Sachen ins Wohnzimmer kam, sah ich , dass ihm erneut stumme Tränen über die Wange liefen. Ich legte die Sachen zur Seite, setzte mich zu ihm und legte meine Arme um ihn.
"Andreas. Es tut mir leid. Ich wollte nicht so laut werden aber du bist mir so unglaublich wichtig. Ich bin so erleichtert, dass du gesund hier angekommen bist. Ich könnte es nicht ertragen wenn dir was passiert, verstehst du? "
" Ich.. bin dir wichtig? " fragte er zögerlich.
" Du glaubst gar nicht wie sehr " antwortete ich , während mein Kopf an seinem lag und ich ihn im Arm hielt. Eine Geste, die mir eigentlich gar nicht zustand.
In der nächsten Sekunde fühlte ich, wie er seine Arme um mich legte, mich an sich zog und sich an meinem Shirt festkrallte.
"Es tut so gut, von Dir zu hören, dass ich dir wichtig bin" seufzte er leise während er wieder sein Gesicht an meiner Halsbeuge versteckte und erneut sich Tränen ihren Weg bahnten.
Ich war völlig durcheinander. Dass Andreas so emotional war, hatte ich nie gedacht. Aber es war nicht schlimm. Das war mir lieber als jemand der so gar keine Gefühle zeigen konnte. Ich hatte das Gefühl, dass er meine Hilfe brauchte. Ich streichelte ihm liebevoll über den Rücken. Andreas behielt mich weiter im Arm. Draußen stürmte es immer stärker. Ich bemerkte wie nervös Andreas wurde. Sein Herz raste.
"Alles gut. Wir sind sicher hier. Dir passiert nichts.
"Hast du ein Glas für mich?" fragte er plötzlich. Sein Blick fiel auf die Weinflasche auf dem Tisch.
Ich nickte und wollte aufstehen.
" Warte noch kurz" meinte er.
Andreas griff nach seiner kleinen Tasche.
" Ich habe dir etwas mitgebracht" grinste er.
Ich guckte erstaunt.
"Ach ja?"
Andreas griff in die Tasche und holte seinen schwarzen Kapuzenpullover heraus und reichte ihn mir.
"Aber das ist doch.."
"Mein Kapuzenpullover, den du so magst. Ich dachte, dann hast du mich immer bei dir, auch wenn ich mal nicht da sein sollte".
Ich nahm den Pullover entgegen. Total gerührt, umarmte ich Andreas und gab ihm ein Küsschen auf die Wange. Ein glückliches Lächeln umspielte seine Lippen.
"Freut mich, dass ich dir damit eine kleine Freude machen konnte" grinste er und sah mich mit seinen wunderschönen dunklen Augen an.
"Das wäre aber doch nicht nötig gewesen" flüsterte ich während meine Hand über den Pullover strich.
"Ist schon ok. Er ist ja nicht weg" grinste er.
"Hoffentlich muss ich nicht so oft auf ihn zurückgreifen, sondern bin viel bei dir" grinste ich.
"Das hoffe ich auch" sagte er leise.
Mit einem leisen Pling stießen kurz darauf die beiden Weingläser zusammen.
Nach einer Weile sah ich, wie Andreas langsam müde wurde und sich bei mir anlehnte.
"Leg dich hin. Ich bin bei dir".
Dankbar nahm Andreas das Angebot an. Wie in der Nacht im Bus legte er seinen Kopf auf meine Oberschenkel und die Füße hoch. Ich nahm eine Decke von der Lehne und deckte ihn zu.
Draußen wütete der Sturm unerbittlich weiter und pfiff laut stöhnend und heulend ums Haus.
Andreas sah wieder unruhig nach draußen.
"Was ist los Andreas? Was hast Du?"
Ich war besorgt, denn ich fühlte, wie sein Herz raste und er anfing vor Angst zu schwitzen.
"Was ist dir passiert?" fragte ich leise und strich ihm über die Wange.
"Ich ich, hatte vor Jahren ein furchtbares Erlebnis inmitten eines solchen Sturms, bei dem ich fast nicht.."
".. Ist schon gut. Ich weiß was du sagen willst. Das wird hier nicht passieren. Ich bin bei Dir und wir sind hier sicher. Vertrau mir".
"Du weißt, dass ich niemandem mehr vertraue als Dir" lächelte er müde.
Ich streichelte ihn sanft weiter.
Ein paar Minuten später war er eingeschlafen. Ich sah ihn lächelnd an während mir tausend Gedanken durch den Kopf gingen.
Was war das zwischen uns? Warum konnte ich mit ihm so vertraut umgehen? Er war immerhin mein Chef und auch ein Freund.
Meine Hand glitt sanft über seine Wange.
Er war verheiratet und trotzdem verhielt er sich so liebevoll mir gegenüber. Meine Finger strichen sanft durch seine verwuschelten Haare. Andreas war total entspannt. Er sah schon ganz süß aus wie er so bei mir lag. Er vertraute mir blind. Und für sein Vertrauen war ich unglaublich dankbar.

Träume sind da, um gelebt zu werdenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt