twentythree

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Als er den bekannten Bus langsam auf sich zukommen sah, packte er augenblicklich das Handy in seine Tasche. Sobald das Auto mit großem Kofferraum an der Haltestelle zum Stehen kam, stieg er ein und zeigte dem Busfahrer sein Jahresticket. Es war für den Studenten um einiges leichter und günstiger, als jeden Monat eine neue Karte zu kaufen, wenn er mit einem Jahresabo gleich einiges sparen konnte. Armin versuchte zwar auch durch seinen Kellnerjob sein Studium etwas zu unterstützen, jedoch reichte das nicht ganz aus. Er war leider immer noch auf das Geld seines Vaters angewiesen, der von dem Studium des Blonden nicht viel hielt. Er hätte es lieber gehabt, wenn der eigene Sohn im Familienbetrieb arbeiten wollte.
Aber auf den Job als Steuerberater hatte der 25-jährige wenig Lust.

Er legte seine Tasche auf seine Knie, ehe er den vorbeiziehenden Autos seine Aufmerksamkeit schenkte. In den Fenstern spiegelte sich seine nachdenkliche Miene. Er war mit den Gedanken ständig bei Eren. Es war manchmal sogar so schlimm, dass er sich auf nichts anderes mehr konzentrieren konnte, leider wirkte das sich nicht besonders positiv bei den Vorlesungen aus. Aber er kämpfte sich durch. Auch wenn dabei die Schule nicht das Hauptthema in seinem Kopf war.

Eren galt nun etwas mehr als vier Wochen als vermisst. Manch andere halten ihn bereits für tot, oder glauben nicht daran, dass er eines Tages wieder auftauchen würde. Selbst als der Sohn des berühmten Arztes Grisha Jäger wurde er bereits von den Medien abgeschrieben. Es war immer wieder erstaunend, wie schnell die Gesellschaft solche Dinge nach nur wenigen Wochen ablegen konnte. Immerhin ging es hier um ein Menschenleben, was mindestens genauso viel wert war, wie jedes andere auch. Für manche war dieses eine Menschenleben jedoch weitaus mehr wertvoll als das von anderen Menschen. Klar, Armin war Erens bester Freund gewesen, er war sowas wie seine Familie. Da machte er sich natürlich mehr Sorgen als andere.
Aber, dass selbst der Vater seinen Sohn aufgegeben hatte, passte dem Blonden ganz und gar nicht. Er konnte nicht verstehen, warum selbst er nicht daran glaubte, dass Eren nicht mehr am Leben war. Armin war sich sicher, er war der einzige, der noch an Eren glaubte. Der Blonde war sich sicher, dass er nicht so schnell den Löffel abgeben würde. Immerhin konnte er den Braunhaarigen sehr gut einschätzen. Sie waren dieses Jahr schon seit 20 Jahren beste Freunde. Eine lange Zeit, wenn man so darüber nachdachte.
Eine Zeit, die Armin nur noch klarer machte, dass er nicht wusste, wie er ohne den Braunhaarigen weitermachen sollte.

Im Gegensatz zu anderen war er nicht schweigend auf seinem Platz geblieben. Er hatte Nächte durchgemacht und recherchiert. Durch sein Informatikstudium war es ihm sogar möglich, an Dateien zu kommen, die für normale Bürger nicht zugänglich waren – aber davon musste keiner etwas erfahren. Armin war sich bewusst, dass er sich damit strafbar machte, doch das war ihm gleich. Seiner Meinung nach hatte er allen Grundes dafür.

Als er eine bestimme Person auf dem Campus erblickte, das Fahrzeug anhielt, weitete er einen Augenblick die Augen, ehe er den Bus verließ. Er schulterte seine Tasche und lief über den Campus. Er wünschte dem Busfahrer – wie jedem Morgen – einen schönen Tag und machte sich auf den Weg zu seinem Kurs. Im Augenwinkel behielt er den Blick bei besagter Person.
Er setzte sich im Saal eine Reihe hinter ihr, beobachtete, wie sie ihr Tablet hervorholte und ihre Notizapp öffnete. Armin tat es ihr gleich. So ein Tablet war schon eine gute Sache, besonders beim Studieren oder in der Schule. Man hatte alles was man brauchte direkt parat und musste nicht in seiner Tasche nach einem bestimmten Blatt kramen, weil man seine Ordnung durcheinandergebracht hatte. Als nächstes kam der Dozent in den Raum, der auch sogleich mit der Vorlesung anfing.

Auch wenn es äußerlich so wirkte, als würde der Blonde aufmerksam zuhören, sah es in seinem Kopf anders aus. Er hing diese Stunde an zwei Personen fest. Es sollte bekannt sein, wer diese Personen waren. Eren und die Blonde, die gerade vor Armin saß. Er war sich sicher, dass diese ihn noch nicht gesehen hat. Denn sie hatte nicht einmal in seine Richtung geschaut oder ihm zugewunken. Es machte ihm aber nichts aus. Er hatte bereits am Anfang seines Studiums gemerkt, dass er ein gewisses Interesse an dieser Frau hatte. Sie wirkte auf andere bestimmt auf den ersten Blick wie ein Einzelgänger, nicht sehr gesellig, doch Armin sah das anders. Sie war im Inneren sicher gefühlvoller, als man von ihr dachte - das stand für Armin fest. Ihr Name war Annie, stellte sie sich vor. Unter anderem war sie in den meisten seiner Kurse, weshalb er sie auch regelmäßig sah.
Er entschied sich, sie anzusprechen, damit er beim nächsten Treffen Eren davon erzählen konnte. Er war von der Reaktion des Braunhaarigen nicht überrascht gewesen. Immerhin war es etwas Besonderes, wenn Armin mit diesem Thema ankam. Der Blonde war bei sowas eher zurückhaltend. Aber es war mal wieder etwas Schönes, mit Eren über sowas reden zu können. Weil Armin studierte, Eren auf die Akademie ging, sahen die beiden sich eine Zeit nicht besonders oft. Und dieses Mal... wird es wohl wieder so sein.

Armin kannte Eren. Wahrscheinlich besser als der Braunhaarige selbst. Er wusste, dass er nicht so leicht aufgeben würde – egal bei was. Es würde schon so einiges mehr brauchen, um Erens Willen zu brechen. Er war wohl der sturste und dickköpfigste Mensch, den der Blonde kannte. Es blieb ihm nichts anderes übrich, als zu hoffen. Zu hoffen, dass Eren noch lebte.
Selbst als man ihm die vermeintliche Leiche von Eren vorgelegt hatte, stimmte er dagegen. Das war nicht Eren. Das konnte er auch gar nicht sein. Denn das würde bedeuten, dass er den Braunhaarigen nie wiedersehen würde – und das war eine Sache der Unmöglichkeit. Trotzdem würde er wohl auf die Beerdigung gehen müssen, sonst würde es nur Aufruhen geben. Pah. Auf eine Beerdigung gehen, die jemand anderem vorbestimmt war. Armin wusste nicht, was Erens Vater tun musste, um diesen toten Menschen zu bekommen... Der Blonde war sich sicher, dass Grisha da seine Finger mit im Spiel hatte. Sicher tat er das, um noch weiterem Gedränge und der Presse aus dem Weg zu gehen. Das traute er ihm zu. Es war wohl das Schlimmste, was ein Elternteil machen konnte; nicht mehr an seinem Kind zu glauben.

...

Als die drei Stunden lange Vorlesung sich dem Ende neigte, der Dozent den Start der Doktorarbeit bekannt gab, verließen alle nach dem anderen den Sall. Nur noch wenige – einschließlich Annie und Armin – befanden sich noch im Raum. Er atmete nochmals tief ein, ehe er seine Tasche schulterte und zu der Blonden rüberging. Diese packte in aller Ruhe die Sachen in ihre Tasche ein.
„Hey Annie", begann er, worauf Annie ihm einen Blick über die Schulter zuwarf. Sie richtete sich auf. „Hallo Armin. Ich habe dich heute noch gar nicht gesehen", meinte sie, strich sich eine Strähne hinters Ohr. „Ja, das kann daran liegen, dass mein Bus etwas Verspätung hatte..." – „Achso." Danach war es einen Augenblick still, in dem Armin sich am Hinterkopf rieb und mit vorsichtiger Stimme sagte: „Hör mal... Ich wollte dich fragen, ob du... ob du vielleicht Lust hast, mit mir nachher einen Kaffee zu trinken?" Die Blonde legte etwas den Kopf schief, musterte den anderen abschätzend.
„Bist du denn in der Verfassung dazu?" – „Wie?", Armin verstand diese Frage nicht. „Dein bester Freund... Eren. Er ist doch immer noch vermisst, oder? Wie geht es mir damit?", fragte sie, musterte den Blonden abschätzend. Armin schluckte schwer. Mit dieser Wendung hatte er nun nicht gerechnet. „Na ja... Natürlich ist das nicht gerade leicht für mich. Wir kennen und wirklich lange und ich glaube nicht daran, dass Eren tot ist. Ich bin mir sicher, er schlängelt sich dadurch... Wenn er mich so sehen würde, wie ich nur Trübsal blase und nicht weiterlebe... würde er bestimmt nicht sonderlich begeistert davon sein. Deswegen... versuche ich es ihm recht zu machen", kam es von ihm, sah immer mal wieder durch den Raum. Annie hob eine Augenbraue. „Na dann... Du wirkst nur manchmal recht abwesend – aber wer kann es dir auch verübeln? Deine Augenringe fallen heute wieder etwas mehr auf. Du solltest wirklich mal schlafen gehen, Armin. Das ist nicht gesund. Ich bin mir sicher, dass Eren das nicht wollen würde", sprach sie, hatte dabei einen sanften Gesichtsausdruck aufgesetzt. Es war selten, dass sie so aussah. Sonst hatte sie immer einen recht gelangweilten Ausdruck, doch diesmal nicht. Was Armin nicht wusste, war, dass dieses Lächeln auf Annies Lippen nicht gespielt war. Es war echt. Und das war nicht gut, nicht für Annie.

„Hast recht... Ich werde mich heute einfach früher hinhauen, dann funktioniert's bestimmt!" – „Das freut mich." Danach lief sie an dem Blonden vorbei, worauf er etwas enttäuscht den Kopf senkte. Er hatte es vermasselt. Er hatte es wieder nicht geschafft, ein Mädchen – Annie – zu einem Treffen zu überreden.
Doch als hätte die Blonde seine Gedanken gerade eben gelesen, drehte sie sich nochmals um.
„Ich warte in der Cafeteria auf dich. Kaffee willst du doch noch, oder?" Armin weitete die Augen und nickte schnell. Das war dann wohl das Highlight des Tages.
„Gut, ich werde da sein", sagte die Blonde mit einem leichten Lächeln – fast unbemerkbar – und lief somit aus dem Raum. In Gedanken klopfte sich Armin gerade auf die Schulter.

Personalities [Ereri/Riren]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt