THIRTYSIX

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Schon seit vielen Minuten betrachtete sie ihren Entwurf, und überlegte. Sie wusste nicht was es war, aber irgendetwas daran stimmte nicht und brachte alles durcheinander. Sie kratzte sich am Hinterkopf und rückte ihre Brille zurecht, seufzte. „Ich habe keine Ahnung...", sagte sie ergeben und ließ sich schlapp in den Stuhl zurückfallen. Die Braunhaarige hinter ihr lächelte traurig und trat näher.
„Du sitzt seit Stunden an diesem Entwurf. Inspiration kommt nicht, wenn man nach ihr verlangt. Mach einfach an etwas anderem weiter und schaue später nochmal drüber, vielleicht fällt dir dann ja was ein", entgegnete Sasha und ließ ihren Blick über das völlig vollgekritzelte Papier wandern. Ihr war es nach wie vor ein Rätsel, wie Hanji etwas von ihrer eigenen Schrift lesen konnte. Aber bekanntlich bedeutete eine unordentliche Schrift große Kreativität, das konnte sie bei der Brillenträgerin zweifelsohne bestätigen. Immerhin war sie es, die die ganze Ausrüstung der Scouting Legion wartete und aufrüstete. Was würden sie nur ohne Hanji machen?

„Einfach schade... Da fällt mir mal was gutes ein und dann komme ich nicht weiter, weil mir daran etwas nicht passt!" In ihrem Gesicht zeichnete sich Enttäuschung, die Sasha durchaus verstehen konnte. Die letzten Monate wusste sie immer mehr, wie Hanji tickte.
Sie legte eine Hand auf die Schulter der Laborantin und sagte mit einem sanften Lächeln: „Ich werde uns Tee machen, ja?" – „Womit habe ich dich Goldstück eigentlich verdient, hm?", kam es von der Braunhaarigen, einer ihrer Mundwinkel hob sich. „Ich weiß nicht... Vielleicht war es einfach Schicksal?", zwinkerte das Mädchen und lief aus dem Raum.
Tief einatmend nahm sie die Brille ab und rieb sich über die Augen. Ihr Rücken tat vom stundenlangen Sitzen weh, so dass sie aufstand und sich dehnte. Hanji stützte sich auf der Tischkante ab und schnappte sich nochmal das Blatt, wo sie alle ihre Einfälle notiert hatte.
Im Hintergrund hörte sie Schritte, genauso wie das Schließen der Tür. Sie drehte sich um und erblicke den Schwarzhaarigen, wie dieser mit verschränkten Armen am Eingang des Zimmers stand.

„Levi, was gibt's?", fragte sie und schob das Papier beiseite. Angesprochener trat hervor und rückte einen Stuhl beiseite und setzte sich. Anhand seines Gesichtsausdruck wusste sie sofort, dass etwas war. Denn der Schwarzhaarige sah noch geschaffter aus als sonst, und das hieß schon was. So nahm sie neben ihn platz und legte einen besorgten Blick auf und studierte ihr Gegenüber.

„Ich habe es getan", sagte er. Aber die Braunhaarige hob eine Augenbraue verwirrt. Was meinte er damit? „Was hast du getan?", ging sie weiter darauf ein. Er seufzte und fuhr sich übers Gesicht, schaute nach oben und legte den Kopf in den Nacken. „Mit Eren geschlafen", erläuterte er schließlich. Hanjis Augen weiteten sich so sehr, dass sie hätten rauskullern können. „Du hast... Du hast mit Eren geschlafen?", wiederholte sie, weil sie klar stellten wollte, ob sie sich doch nicht verhört hatte – aber er nickte bestätigend. Und Obwohl Hanji eine Antwort hatte, wusste sie bei besten Willen nicht, warum Levi sich jetzt so verhielt. Sie hatte mit ihm bereits über das Thema gesprochen und ihm ihre Meinung gesagt, dass sie nicht so davon überzeugt wäre, doch erschien ihr Levis Körpersprache nicht als schlüssig. „Was ist damit? Du warst doch so sehr davon überzeugt. Hat es dir nicht gefallen, oder was ist passiert?" Der Schwarzhaarige sah wieder zur Brillenträgerin, doch schaute im nächsten Moment zur Seite; er konnte ihr einfach gerade nicht in die Augen sehen, es war ihm unangenehm.

„Das ist es nicht. Es war... besser als erwartet", gab er schlussendlich preis. Auf die Lippen Hanjis schlich sich ein leichtes Grinsen. „Und wo liegt dann das Problem?" – „Das ist es ja, es gibt keins! Es geht eher darum, was er danach gesagt hat, am Morgen darauf." Jetzt verstand sie gar nichts mehr, sie zeigte ein fragendes Gesicht. Levi seufzte und sagte: „... Ich habe ihm etwas über meine Kindheit erzählt, auch das mit Kennys Erziehungsmethoden, weil er meine Narben gesehen hat. Und dann hat er gesagt, dass er ihm dankbar ist... weil er mich zu dem gemacht hat, der ich heute bin, und Kenny mich zu ihm gebracht hätte..." In den Augen der Braunhaarigen blitzte ein kurzes Funkeln auf, ihr Mund stand für einen Moment offen, weil sie erstmal alles nochmal durchgehen musste.

Nach einem Moment entfloh ihr ein Lachen, was Levi mit einem irritierten Blick kommentierte. „Was lachst du jetzt so, Brillenschlange?!", zischte er angesäuert. Die Braunhaarige winkte mit ihrer Hand ab und wischte sich die Träne weg, die dadurch entstanden war. „Nichts, nichts. Es ist nur... Du warst am Anfang, als wir darüber gesprochen haben, so überzeugt davon gewesen und wolltest es tun. Und jetzt kommst du zu mir, nachdem du das in die Tat umgesetzt hast, und sagst mir, dass du nicht weißt, wie du damit umgehen sollst? Also Levi, ich-" – „Ich bin nicht unsicher", unterbrach er sie sofort, doch Hanji zog ihre Augenbrauen wissend nach oben. „Du kannst mir alles erzählen, aber da kannst du dich nicht mehr rausreden. Schon allein, dass du mir davon erzählst heißt doch, dass du nicht weiter weißt. Merkst du das nicht? Wer ist denn der von uns beiden, der seine Gefühle so gut verstecken kann? Ist das nicht ein wenig Ironie, mein Freund?" Er presste die Lippen aufeinander und sah zur Seite.

„Was soll ich denn schon merken?", murmelte er leise. Sie konnte es nicht leugnen, es amüsierte sie in diesem Moment zu sehr, wie Levi vor ihr saß und schon etwas verlegen aussah. „Das, was ich dir schon seit einer ganzen Ewigkeit versuche in den Kopf zu klopfen, Mann! Seitdem ich dich kenne, hast du nie – wirklich nie – gezögert, das was du wolltest, dir zu nehmen. Du hast so gehandelt, wie du es für richtig hieltest und deine Pflichten, ohne zu zögern, erfüllt. Doch dann kam Eren dazu. Da haben wir den Auslöser. Er hat dieses Kartenhaus umgeworfen, und nun versuchst du es wieder aufzubauen – doch du nimmst immer wieder nicht passende Karten, wodurch es immer wieder umfällt. Du hast dich, wie ich bereits einmal sagte, an seine Anwesenheit gewöhnt, traust ihm mehr zu und lässt ihm mehr Freiheiten, du lobst ihn und tust so einiges, damit er immer bei dir bleibt. Also, sag mir, Levi... Was meinst du, bedeutet das?"

Stille. Es war einfach nur still. Seine Augen waren geweitet und er schaute auf den Boden, fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. Doch als nach wenigen Minuten immer noch keine Antwort von dem Schwarzhaarigen kam, übernahm sie wieder das Wort.

„Weißt du, was ich denke, Levi?", er sah auf und blickte in Hanjis Gesicht. Sie überschlug die Beine und verschränkte die Arme ineinander, lehnte sich in den Stuhl. „Du fühlst dich schuldig. Nicht deswegen, weil du mit ihm geschlafen hast. Ich meine, weil du ihn hierher gebracht hast – zur Scouting Legion. Du konntest ihn nicht töten, weil du es nicht wolltest. Du konntest ihn nicht freilassen, weil du es nicht wolltest. Und da frage ich mich warum. Warum kann der einst so kalte Levi Ackermann, der schon so viele Leben auf dem Gewissen hat, einen weiteren Menschen nicht das Licht ausschalten? Hier kommt meine Antwort: Du weißt nicht mehr, was richtig und was falsch ist. Du hattest immer eine eiserne Vorstellung von allem, doch jetzt nicht mehr... Du bist unsicher über deine Taten und wirst verlegen, wenn wir über genau solche Themen sprechen... Aber keine Sorge. Das ist normal, wenn man-" – „Sag es nicht, ich warne dich!", presste er mit zusammengebissenen Zähnen hervor. Und wieder spielte sich ein leichtfertiges Grinsen auf ihre Lippen.

„Ist gut, ich sage es nicht. Aber ich hoffe, dir ist klar, was ich meine", sagte sie und hob einen Arm entschuldigend in die Luft.

Doch dann hörten sie auf einmal ein lautes Geräusch, wie etwas zersprang. Ein lautes Klirren und das hohe Tönen, wenn Metall auf den Boden fiel. Die beiden sahen augenblicklich zur Tür, wo die Braunhaarige mit weit offenem Mund zu Hanji und Levi sah. Und direkt vor ihr lag das zersprungene Porzellangeschirr.

„Das kann doch nicht war sein...!", sagte der Schwarzhaarige und seufzte.

Genauso schnell, wie Sasha aufgetaucht war, lief sie nun auch wieder davon. Sie warf Hanji noch einen letzten Blick zu und verließ den Raum, ließ die anderen nichtssagend zurück.

Aus ihrem Augenwinkel heraus sah sie, wie Levi die Mundwinkel nach unten verzogen hatte und Fäuste ballte. „Beruhige dich, Cowboy. Umbringen kannst du sie später, du wirst sie nicht mehr erreichen. Sie ist Erens beste Freundin, sie wird es ihm sowieso erzählen."

„Ich hasse es, wenn du genau weißt, was mit mir los ist, Brillenschlange!" – „Ich weiß!", grinste sie.

Personalities [Ereri/Riren]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt