THIRTYFIVE

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Als er seine Augen mit einem müden Wimpernschlag wieder öffnete, konnte er zuerst nicht glauben, was er sah. Das Bett war keinesfalls leer, wie es sonst war, wenn er aufwachte. Levi lag immer noch neben ihn, mit dem Gesicht zu ihn gewandt, schlief friedlich. Eine Wärme umhüllte Eren, was zum einen an der Decke lag, zum anderen aber auch daran, dass er nicht in seinem Bett lag. Levi hatte ihn also nicht in sein eigenes getragen. Ein schöner Gedanke, so konnte Eren neben ihm aufwachen. Auch wenn er sich dachte, Levi würde es nicht so sehr schätzen wie er selbst.

Doch, wenn er in das Gesicht blickte, verflog jeder Zweifel. Die Erinnerungen von vergangenem Nachmittag und Nacht kamen nach und nach wieder hoch. Es war sein erstes Mal, mit einem Mann. Zuvor hatte er nie so richtig darüber nachgedacht, ob er an jemand anderes als Frauen interessiert sein könnte. Aber... da kannte er Levi auch noch nicht, er hatte es geändert. Und nun lag er in dessen Bett, sah ihm beim Schlafen zu und konnte sich kein sanftes Lächeln verkneifen. Man könnte meinen, ein ganz anderer Mensch läge neben ihm. Er sah so unbesorgt aus, schaute entspannt. Eren könnte stundenlang ihm beim Schlafen zu sehen, denn so konnte er noch länger Levis andere Seite betrachten. Von außen hielt er eine kontinuierliche Mauer aufrecht und war ernst, streng, diszipliniert, doch jetzt glaubte Eren... diese Nacht etwas anderes gesehen zu haben. Ob der Schwarzhaarige vielleicht auch die Gefühle hegte, die Eren für ihn empfand?

Nach weiteren Minuten hörte er ein tiefes Einatmen, ein leises Rascheln. Aus seiner Gedankenwelt gerissen blinzelte er, sah, wie Levi sich aufrichtete und auf den Braunhaarigen runter sah. Ganz im Gegensatz zu dem, was Eren erwartet hatte, schaute der Schwarzhaarige sanft.
„Morgen", sprach er im normalen Tonfall aus. Über diese Aussage zuckten Erens Mundwinkel kurz nach oben - er hatte ihm noch nie „Morgen" gesagt. „Guten Morgen", antwortete er mit einer immer noch etwas zerkratzten Stimme. Danach griff Levi nach seinem Handy, schaute dem Anschein nach auf die Uhr, runzelte die Stirn. „Was ist denn?", fragte der Braunhaarige. Levi sah wieder zu Eren und dann wieder auf den Bildschirm. „Wir haben nach 8 Uhr." Anhand der Betonung erkannte Eren, dass das wohl nicht so gut war. So setzte er sich auf, somit die Decke ein Stück runterrutschte und kurz über seiner Hüfte liegen blieb. „Ist das so schlimm? Du hast einmal etwas länger geschlafen. Zudem du eine Nacht durchgefahren bist. Ich bin mir sicher, die Welt wird deswegen nicht untergehen", sagte der Jüngere darauf. Er erhaschte ein tiefes Seufzen von Levi, sah dies als sein kleiner Gewinn an.
„Gut, dann machen wir das eben so." Ein Grinsen schlich sich auf Erens Lippen.

„Wie geht es dir?", kam es nach wenigen Momenten wieder von dem Schwarzhaarigen. „Ganz gut eigentlich." – „Du sollst mich doch nicht anlügen", meinte Levi mit einem strengen Blick. Eren rieb sich den Nacken, bemerkte dann zum ersten Mal an diesem Morgen, wie rot seine Handgelenke waren, generell wie sein Körper aussah. „Oh...", begann er leise, „trotzdem, nur halb so schlimm." Der Schwarzhaarige schaute skeptisch und verengte die Augen. „Glaube ich nicht, steh mal auf." Eren verdrehte die Augen, da er dahinter keinen Sinn sah, aber er tat es einfach. So rutschte er zum Bettrand und stellte sich auf seine Füße, doch da war nichts. Dementsprechend zeigte er es auch Levi. „Geh ein paar Schritte", kam es dann von ihm erneut. Eren schnalzte mit der Zunge und setzte einen Fuß vor den anderen – jedenfalls versuchte er es. Direkt beim ersten Schritt war Schluss, denn das war autsch.

„Dachte ich mir." Der Schwarzhaarige stand auf und lief zum Schrank. Eren stockte der Atem als er Levis Rücken sah, verstummte. „Was sind das für Narben?", fragte er leise, seine Augen waren geweitet vor Schock. Er hatte sie noch nie bemerkt; sein Rücken war überseht von langen, strichförmigen Narben, manche dick, manche dünn und fein. Der Schwarzhaarige atmete tief ein und drehte sich um, seine Augenbrauen leicht zusammengezogen. Daran konnte Eren feststellen, dass sie wohl eine eher tiefere Bedeutung hatten.
Levi lief auf Eren zu und stellte sich vor ihn hin.

„Wie du weißt, bin ich hier aufgewachsen. Schon seitdem ich geboren wurde, bin ich hier. Mein Vater war kein Vater und hat sich nach meiner Geburt verpisst, also blieben nur noch meine Mutter und mein Onkel übrig. Und natürlich muss dann der eigene Neffe, als Erbe, das Familiengeschäft aufnehmen und schon in jungen Jahren lernen, wie die Welt wirklich aussieht." Es verblüffte ihn, dass Levi auf einmal ihm so viel erzählte. Er sagte ihm „Morgen", fragte nach seinem Ergehen, und nun erzählte er über seine Kindheit. Levi ging auf jede von Erens Fragen ein und antwortete dann darauf. Er fühlte sich geehrt, denn endlich schien der Schwarzhaarige sich in dieser Hinsicht geändert zu haben. Eren schien ihm etwas zu bedeuten.
„Was heißt das?", sein Blick ging über all die Narben, ein paar von ihnen waren sogar auf dem Oberkörper auf der Brust zu sehen, auch einige kreisrunde Narben. Eren wollte sich gar nicht vorstellen, wie schmerzvoll es gewesen sein musste. „Das heißt, dass ich schon von klein auf dazu gebracht wurde, der Ideologie meines Onkels Folge zu leisten. Im Grunde habe ich alles genauso gemacht, wie die anderen auch. Ich habe normal die Ausbildung gemacht, mich hochgearbeitet. Nur dabei wurde mir immer streng über die Schulter geschaut, ich musste immer mein Bestes geben. Und wenn ich mal nicht so tat, wie ich es sollte... wie man es als Teenager so macht... habe ich die entsprechende Strafe bekommen." Eren wusste nicht, dass es Levi gerade so schwer fiel, all das über seine Lippen zu bringen. Immer wieder gab es eine Stimme in seinem Kopf, die ihm sagte, wie er die Dinge machen sollte. Mit dem Gedanken „Das muss perfekt ausgeführt werden, sonst folgt eine Lektion", so wie es sein Onkel ihm eintrichterte.

Doch er hasste Kenny nicht dafür. Nein, er liebte ihn deswegen sogar. Denn dadurch konnte er der Mensch sein, der er schon immer sein wollte. Wie er sein sollte. Sein Leben war zwar nicht so verlaufen, wie er es sich vorgestellt hatte, aber er war zufrieden. Schwer zu begreifen, wenn man bedachte, in was für Umstände Levi aufgewachsen war.

„Deshalb bist du so...", brachte der Braunhaarige leise über seine Lippen und schlang seine Arme um Levis Hüfte, dieser darauf eine Hand auf Erens Kopf legte. Er schien abwesend zu sein als er sagte: „Deshalb bin ich so..."

„Aber weißt du was?", Der Schwarzhaarige schaute nach unten zu Eren, der nach oben sah. „Ich glaube..., dass es gut war, wie es passiert ist. Klar, was dein Onkel getan hat, war nicht gerade sehr kinderfreundlich. Aber... du hasst ihn dafür nicht, weil er dich zu dem gemacht hat, der du heute bist. Und das heißt für mich, dass auch ich Kenny dankbar sein muss", sagte er mit einem Lächeln. Fragend ob Levi eine Augenbraue, er wusste nicht genau, warum Eren seinem Onkel danken müsste. Er war es doch, der Eren tot sehen wollte. „Wofür dankbar sein?", sagte er nun mit fragendem Ton.

Und über die folgenden Worte Erens, machte sein Herz für einen Moment einen Hüpfer.

„Weil ich dadurch dich kennenlernen durfte... Deswegen bin ich Kenny dankbar. Er brachte dich zu mir."

Nein, dich zu mir...

Personalities [Ereri/Riren]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt