Sie hatten bereits viele Kilometer hinter sich. Eren wusste nicht, wie lange sie schon unterwegs waren, doch schien Levi genau zu wissen, wohin er wollte. Sein Kopf war geradeaus gerichtet und die mit Handschuhen bedeckten Hände fest um die Griffe geklammert. Er schenkte den Bäumen keinerlei Aufmerksamkeit, wenn sie an diesen vorbei brausten. Umso mehr fielen sie Eren auf, da er nicht besonders etwas zu tun hatte, als sich die Gegend anzusehen. Es wirke alles auf ihn so unendlich und weit, hatte gar kein Raumgefühl mehr. Es war gigantisch, ging es Eren durch den Kopf. Immerhin war er seit einem Jahr das erste Mal wieder an der Oberfläche, und er konnte nicht im Ansatz beschreiben, wie schön es war, den Wind zu spüren und frische Luft einatmen zu dürfen.
Ob es Levi auch so ging? Jedenfalls war der Schwarzhaarige schon eine ganze Weile nicht mehr oben gewesen. Sicher schon zwei Monate. In dieser Zeit war der Schwarzhaarige in der Scouting Legion und kümmerte sich um weit aus wichtigere Dinge, als irgendwelche Aufträge anzunehmen, das behauptete er zumindest. Aber Eren befand es nicht für nötig, dem weiter auf die Spur zu gehen.Noch immer fuhren sie auf dem Feldweg, fuhren in dieselbe Richtung wie von Anfang an. So langsam kam es Eren komisch vor. Die anderen waren sicher in verschiedene Richtungen gefahren, haben sich aufgeteilt. Und Levi und Eren sind die ganze Zeit einem Feldweg gefolgt. Da konnte doch etwas nicht stimmen. Der Braunhaarige presste die Lippen aufeinander und verstärkte den Druck in seinen Armen, wodurch er sich mehr an Levi klammerte. Der Schwarzhaarige hatte nicht gelogen, er fuhr verdammt schnell. Würde Eren sich nicht festhalten, wäre er schon vor einer ganze Zeit vom Motorrad gefallen. Und darauf konnte er verzichten. Um ehrlich zu sein... gefiel es ihm sogar ein Stück, Levi so nah zu sein. Er wusste nicht wieso, aber es entsprach der Wahrheit. Selten waren sie sich so nah.
Nach ein paar weiteren Minuten traute sich Eren schlussendlich zu fragen: „Wohin fahren wir eigentlich? Wir fahren schon Ewigkeiten in dieselbe Richtung." Er konnte durch das Mikrofon hören, wie der Schwarzhaarige seufzte. „Leonhardt ist bei uns schon seit vielen Jahren. Sie gehörte zu unseren Besten, und das bewies sie jedes Mal, wenn sie einen Auftrag erledigt hatte. Du kannst also nicht damit rechnen, dass sie solche Fehler macht wie Anfänger. Sie weiß, wohin sie will und was sie machen muss, um das zu erreichen, wo sie sich ein Ziel gesetzt hat." Verstehend nickte der Braunhaarige. Auch wenn das immer noch nicht seine Frage klärte, die er gerade gestellt hatte. „Aber ich... weiß es besser", hörte er es plötzlich ein Augenblick später von vorne. Eren schluckte schwer. Er wollte gar nicht wissen, was ihn alles in der nächsten Zeit erwartete.
Egal wie lange er darüber nachdachte, konnte er einfach nicht verstehen, warum Annie das getan hatte. Warum platzierte sie an jenem Tag diese Bombe unter den Wagen des Bosses? Hegte sie einen Groll gegen ihn oder hatte er etwas Schlimmes getan, wofür sie sich rechen wollte? Levi hatte ihm zu Anfang ihrer Fahrt erzählt, dass Annie nie den Eindruck machte, als wäre etwas nicht wie sie es wollte. Sie war still und hatte wenige Kontakte mit den anderen Mitgliedern. Sowas wie ein einsamer Wolf. Aber trotzdem lieferte sie nur sehr gute Ergebnisse ab, wenn sie von einem Auftrag zurückkam. Sie arbeitete ordentlich und verhielt sich vorbildlich. Also warum sollte solch eine Person wie Annie sowas Schreckliches tun? Für Eren war es unerklärlich. Aber... die Blondine hatte gewählt und sich gegen die Scouting Legion entschieden. Sie war nun ein Feind. Und Feinde mussten aus dem Weg geräumt werden. Und dabei zählte Erens Meinung nicht.
Als bereits die ersten Sonnenstrahlen hinter den Baumkronen hervorblitzten, sah Eren mit weit geöffneten Augen auf. Und wieder einmal machte ihn dieser Anblick sprachlos. Nie hätte er gedacht, dass er diese Szenerie so vermissen würde. Das ganze Jahr über lernte er, ohne sie zu leben. Und nun, wo er sie wiedersah, wollte er nie wieder von hier weg.
Noch eine Weile später stand inzwischen die Sonne am Morgenhimmel und ließ alles in ein warmes Licht tauchen. Etwas weiter hinten erkannte der Braunhaarige die Umrisse einer Stadt. Und nicht irgendeiner Stadt – Shiganshina, seine Heimat. Wie lange war er schon nicht mehr dort. Seitdem er zur Akademie gegangen war, hatte er sie nicht mehr gesehen. Und je näher sie fuhren, umso mehr wurden die Erinnerungen, die in Erens Kopf hervorgerufen wurden. Schade allerdings, dass sie wahrscheinlich nicht lange hierbleiben würden.
„Verfalle ja nicht in Nostalgie. Wir haben was Wichtigeres zu tun", kam es strengen Tones von Levi, womit Eren seinen Blick von der Stadt mürrisch abwandte. Der Schwarzhaarige schnaubte.
Sie hielten bei einer etwas abgelegeneren Straße. Eren sah sich um, doch erkannte er diesen Abteil von Shiganshina nicht wieder. Er war hier noch nie gewesen.Levi neben ihn machte gerade den Motor aus und zog sich den Helm mit einem tiefen Ausatmen aus. Er schüttelte den Kopf, wodurch seine Haare locker auf diesen landeten. Sie sahen gerade sehr weich aus, fiel Eren auf. Aber da er nicht starren wollte, es ohnehin unangebracht war, schaute er weg und zog ebenfalls seinen Helm aus.
„Also", begann Levi und nahm sein Handy heraus, „die anderen haben sie noch nicht gefunden. Hätte mich aber auch gewundert." Während er dies sagte, schlich sich ein verräterisches Grinsen auf seine Lippen. Seine Augen blitzten gefährlich auf, was Eren einen Moment lang mundtot machte. Er konnte es nicht leugnen, dass ihn dieser Anblick ein Stück weit Angst machte. In ihm brodelte ein aufgewecktes Feuer, was nicht mehr kleiner zu werden schien. Beinahe wie ein Jäger. Ein Jäger auf der Jagd. Wenn man so darüber nachdachte, war dieser Vergleich gar nicht so abwegig. Eren jedoch... wusste nicht, was er fühlen sollte. Angst? Reue? Aufgeregtheit? Freude? In seinem Kopf liefen die verschiedensten Gedanken auf und ab, ließen den zu vorigen in Frage stellen.
„Eren." Der Braunhaarige drehte augenblicklich seinen Kopf zu Levi, der von seinem Handy aufsah. „Hegst du etwa immer noch Zweifel?", sprach er mit tiefer Stimme. Einen Moment brauchte Eren, bis die Frage zu ihm durchdrang, ehe er mit einem Kopfschütteln verneinte. Der Schwarzhaarige hob misstrauisch eine Augenbraue hoch, jedoch sagte er nichts weiter dazu. Er würde die Situation einfach beobachten und eingreifen, falls etwas passieren würde, was nicht seinen Vorstellungen entsprach. So, wie er es immer gemacht hatte. Alles nach seinen Wünschen drehen und wenden.
„Unsere Wege werden sich ab hier trennen", hörte er dann plötzlich. Verwundert sah Eren Levi an, der sich zu der Tasche gedreht hatte, die am Motorrad hing. „Wie meinst du das?", fragte der Braunhaarige. „Ich kenne mich hier nicht besonders gut aus, aber da das deine Heimatstadt ist, sollte das bei dir anders sein. Es sind bereits sieben Stunden seit der Explosion vergangen und Annie könnte überall sein." – „Wenn sie doch überall sein könnte, warum dann ausgerechnet hier?" Eren verstand nicht, worauf Levi hinauswollte. Sein Gegenüber seufzte und fuhr sich durch die Haare. „Weil das auch ihre Heimatstadt ist." Eren entging ein verdutzter Ton. Dass Annie hier wohnte, wusste er nicht. Er hatte sie auch noch nie hier gesehen, weshalb es ihm nur schwer fiel, Levi das zu glauben.
„Aber das wissen nur Kenny und ich, weil die Daten der einzelnen Mitglieder und deren Vergangenheit nichts unter den anderen zu suchen hat." Eren benickte diese Aussage. Stimmt, das macht Sinn, dachte Eren. „Ich werde dir für diesen Zeitraum ein Handy geben, womit du mich bitte unverzüglich benachrichtigst, wenn du sie gefunden hast. Dann setzt du sie fest und wartest auf mich, das Gleiche gilt für mich." Eren nickte verstehend. „Was habe ich nochmal zu deinen Antworten gesagt, Eren?", kam es darauf bissig von Levi. Der Braunhaarige atmete überrascht ein. „Stimmt, entschuldige. Das habe ich vergessen." Der Schwarzhaarige schnaubte, ehe er Eren das Telefon in die Hand gab.
Wie lange er sowas schon nicht mehr in der Hand hatte.
„Ich bin der Meinung, dass du selbst wissen müssest, wie unglaublich hirnrissig es wäre, etwas anderes zu versuchen als das, was ich dir auftrage." Zuletzt holte er noch einen Halfter mit zugehöriger Waffe hervor, die er ohne lange zu zögern um Erens Hüfte befestigte. „Das ist ab jetzt deine eigene. Also pass auf sie auf." – „Verstanden, Levi." Er fühlte sich so doch etwas unwohl, eine tötende Waffe an seinem Körper zu haben. Auf der anderen Seite fühlte er sich aber mehr geehrt, da er das Gefühl bekam, dass Levi ihm mehr zu vertrauen schien. Oder jedenfalls etwas in der Art. Es machte Eren ein Stück weit stolz auf sich selbst.
„Also dann, wir sehen uns später", sprach der Schwarzhaarige noch, ehe er auch schon verschwand.
Und nun stand Eren da. Wusste nicht, wohin er jetzt gehen sollte.„Ich werde dich finden, Annie", flüsterte er entschlossen zu sich selbst und machte eine Faust.
Und ja, das würde er.
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Personalities [Ereri/Riren]
Fanfiction•[Part 1 - 3]•[German]•[kann ohne Vorwissen gelesen werden]• Gerade erstmal ein Jahr im Dienst wird Eren Jäger nach Stohess versetzt. Dort bekommt er seinen ersten richtigen Fall zugewiesen, und mit ihm einen neuen Partner. Doch ist er nicht so, wie...