Love Life (Out of the shadows)

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Triggerwarning – Depressionen, Suizidgedanken

Es waren viele Leute auf der Einkaufsstraße unterwegs. Was sie wohl hierher führte, dazu brachte genau zu diesem Zeitpunkt an diesem Ort zu sein? Ein Frühstück im Café, etwas fehlendes einkaufen oder reine Langeweile. Ich wusste nicht einmal wieso ich dort war, wahrscheinlich aber aus letztem Grund. Mir viel Zuhause die Decke auf den Kopf. Obwohl ich unheimlich viele Auftritte hatte, war ich kaum glücklich. Vielleicht hatte ich gehofft, die morgendlichen Sonnenstrahlen würden mich etwas aufheitern.

Mein Blick streifte einen Mann, der auf einer Decke am Boden saß. Er hatte eine Gitarre auf dem Schoß und spielte gedankenverloren. Seine blonden Haare hingen ihm wirr in die Stirn, auf seinen Lippen lag ein glückliches Lächeln. Grund vier: um Geld zu verdienen, fügte eine Stimme in meinen Gedanken zu den Gründen hinzu. Nachdenklich musterte ich den Mann von der anderen Straßenseite aus. Er spielte gut, sein Lächeln steckte irgendwie an. Er schien die Hauptattraktion der Straße zu sein, obwohl er nur da saß und ein bisschen auf seinem Instrument klimperte. Seine Hose war abgewetzt und leicht schmutzig, obenrum trug er mehrere Pullover übereinander. Ein Stechen bohrte sich in mein Herz. Er schien nichts als sich, seine Gitarre und die Musik zu haben, und konnte dennoch lächeln. Wieso konnte ich das nicht? Ich machte ein paar Schritte über die Straße und blieb etwa einen Meter vor ihm stehen. Zu bemerken schien er mich erst, als ich ihm den zerknitterten Fünfeuroschein aus meiner Hosentasche in den Gitarrenkoffer warf. Erschrocken sah er auf. Seine Finger dämpften die Saiten, während er den Kopf schüttelte, nach dem Schein griff und ihn mir wieder hinhielt. Verwirrt sah ich ihn an. Ich dachte, er saß genau deswegen hier. „Behalt es, ich glaube, du brauchst es eher als ich", murmelte ich. Der Mann seufzte und ließ es zurück in den Koffer fallen. Eine Weile musterten mich seine blauen Augen. „Danke", sagte er mit rauer Stimme, ehe er wieder zu spielen begann. Kurz lächelte ich ihn nochmal an, dann ging ich seufzend weiter.

Die Woche verging. Ich glaubte, alle Bars und Clubs Helsinkis langsam in und auswendig zu kennen. Ich verdiente gut. Aber mein Lächeln kam nicht zurück. Mir viel es schwer morgens aufzustehen, etwas zu essen und mich zu beschäftigen. An diesem Abend rollten mir Tränen die Wangen hinunter, einfach so, aus dem nichts. Ich starrte auf mein Handy, das zwischen den Sofakissen lag. Es gab niemanden, der mich jetzt trösten konnte. Es gab generell niemanden – ein paar Freunde, die in der Musikgeschichte herumgeisterten und durch die Welt tourten, während ich hier fest saß. Mein Eltern ... ich wusste nicht, ob ich sie oder sie mich im Stich gelassen hatten. Je älter ich wurde, desto weniger kamen wir klar. Ich wollte meinen eigenen Weg gehen, vielleicht hätte ich doch besser auf sie hören sollen, dann säße ich jetzt nicht hier, alleine, nach dem ich am Abend von mindestens fünfzig Menschen bejubelt wurde. Ich stand auf, holte mir ein Glas Wasser aus der Küche, doch zum trinken kam ich gar nicht. Ich stolperte. Das Glas schlug auf den Boden und zersprang in meiner Hand. Wasser mischte sich mit meinem Blut. Ich gab keinen Laut von mir, sah der Flüssigkeit nur zu, wie sie sich verteilte. Salzige Tränen tropften dazu, ohne dass ich sie spürte. Irgendwie rappelte ich mich auf, schaltete den Fernseher an und ließ mich aufs Sofa sinken. Nachrichtensprecher waren nicht die wärmsten Gefährten, aber sie konnten super die unangenehme Stille brechen. Meine Augen fielen immer mehr zu. Das letzte, was ich mitbekam, war das morgen im Norden der Stadt ein Haus gesprengt werden sollte. Dann schlief ich ein.

Hektisch kramte ich in einer Schublade bis ich die Geldkassette und den dazugehörigen Schlüssel gefunden hatte. Ich stopfte beides in einen Rucksack und quetschte ein paar warme Sachen dazu. Mit schnellen Schritten verließ ich das Haus, machte mich auf den Weg zur Einkaufsstraße. Die Menschen eilten trotz der frühen Stunde durch die Fußgängerzone, als gäbe es kein morgen mehr. Ich passte mich ihrem Tempo an, doch meine Hektik kam aus anderen Gründen. Der blondhaarige Mann und seine Gitarre waren da. Eine Katze schmiegte sich an seinen Rücken. Das Lächeln hatte sich die Woche über gehalten. Jeden Morgen hatte er die abgehetzten Menschen mit warmen Klängen und einem Lächeln begrüßt. Ich wusste nicht, ob die Katze ihm gehörte, doch sie schien ihn zu mögen, so oft wie sie bei ihm war. Ich stoppte vor ihm, er war in seiner Musik vertieft, hatte die Augen geschlossen. Ich ließ den Rucksack in seinen Gitarrenkoffer sinken. Das Geräusch ließ ihn aufsehen, doch ich rannte einfach davon, er sollte mir bloß nichts dazu sagen. Ich sprang in die nächste Metro. Die Schienen führten nach Norden ...

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