999 Jahre später:
Lange ritten wir über die Ebene, kamen dem Großen Strom näher. Desto näher wir der Küste kamen, desto salziger roch die Luft. In den Lüften sangen nun nicht mehr die Vögel des Festlandes ihre Lieder, sondern die Möwen. Verlockend klangen ihre Schreie und meine Augen beobachteten die hell gefiederten Tiere in der Luft. Sie schienen nach mir zu rufen, mir meinen vorherbestimmten Weg zeigen zu wollen, der im Westen sein Ende finden würde. Die elbische Seite in mir wurde lauter und ich spürte Valinor nach mir rufen. Die göttlichen Lande waren das wahre Zuhause von uns Elben und in diesem kurzen Moment schienen mir alle Kriege auf Mittelerde unwichtig. Unwichtig, da Valinor nach mir rief.
Ich warf meine Gedanken an die Westlande jedoch beiseite, blickte weiterhin in den Himmel, wo sich die Möwen im Wind gleiten ließen. Immer noch wirkte der Himmel düster, doch die kleinen Tiere schienen dem Unheil zu trotzen und keine Furcht zu haben. Im Dämmerlicht sah das Wasser in der Weite unendlich und komplett ruhig aus. Nur ganz leicht konnte ich erkennen, dass das Meer von Wellen durchzogen war, aber etwas ganz anderes erregte meine Aufmerksamkeit; am Großen Strom in Pelargir lag eine große Kriegsflotte. Es schien die Hauptflotte von Umbar zu sein. Sie umfasste mindestens fünfzig große und noch etliche kleinere schwarze Schiffe.
Mir wurde in diesem Moment bewusst, was Aragorn im Palantír gesehen hatte, und warum höchste Eile geboten war. Die Feinde, die wir vor uns hergetrieben hatten, machten die ersten Schiffe bereit, um mit ihnen aus dem Hafen auszulaufen. Manche Schiffe versuchten, vor uns zu entkommen, und viele der kleineren, ans andere Ufer zu gelangen.
Als uns die Haradrim, das Kriegsvolk, erblickte, stellten sie sich zum Kampf. Sie hatten das Ufer im Rücken, und als sie unsere Gruppe von über dreißig Reitern sahen, ging Lachen durch ihre Reihen. Sie waren zahlreich und als wir unsere Pferde parierten, zu einem Stillstand kamen, sahen sie siegesgewiss aus. Von der Armee der Toten war keine Spur, da sie seit dem letzten Lager hinter uns geblieben war.
Aragorn hielt sein Pferd und rief mit lauter Stimme: »Kommet nun! Beim schwarzen Stein ruf' ich euch auf!«, und auf einmal stürmten die Toten herbei. Wie ein graues Meer, dessen Wellen gegen einen Fels brandeten. Hinter uns schien eine große Welle heranzustürmen. Die Flut der Toten schwemmte alles vor sich hinweg und unsere Feinde wurde ihre Lage bewusst. Sie schrien in der Ferne und es wurde in die Hörner geblasen. Die Hornstöße klangen verbittert. Das Schattenheer gab es nur ein Mal und es zerstörte die Verbündeten Mordors. Auch in ihren Reihen wurde in die Hörner geblasen, doch ihre Hornstöße wirkten weit entfernt und wie aus einem bösen Traum.
Ich sah die Toten an mir vorbeiströmen. Sie wirkten wie bloße Geister. Auf Pferden und zu Fuß rannten sie dem Feind entgegen und ihre Augen funkelten bedrohlich. Sie zogen ihrer Waffen, doch ob ihre Klingen noch beißen konnten, wusste ich nicht. Brauchen taten sie sie jedoch nicht, da die Toten eine ganz andere Waffe führten, und zwar die Furcht. Niemand konnte ihnen standhalten.
Sie liefen zu jedem Schiff, das am Kai lag, und auch übers Wasser konnte die Armee der Toten gehen. Zu jedem Schiff kamen sie und die Seeleute sprangen voller Entsetzen von Bord. Viele schienen nicht schwimmen zu können und ertranken auf der Stelle. Die dumpfen Schreie waren markerschütternd, denn der Fluch der Toten und die Gespenster der Lebenden waren eine Waffe, die stärker als Stahl war.
Mit angsterfüllten Gesichtern ergriffen die Kriegsvölker die Flucht und wurden von den Toten wie tausende Schafe hergetrieben, während wir uns dem Ufer näherten. Die Feinde flohen zu Fuß nach Süden, hofften, ihr Heimatland zu erreichen. Die Arme der Toten verfolgte sie tatkräftig weiter und im Wasser sah man Ertrinkende. Auf den Schiffen waren ängstliche Sklaven zu sehen, die an den Ruderbänken angekettet waren. In ihren großen Augen war eine entsetzliche Furcht zu finden, jedoch konnten sie nicht fliehen.
Als wir am Ufer ankamen, waren die meisten Feinde geflohen und nur bei den Schiffen auf dem Wasser hörte man Geschreie. Hustend kamen die Feinde am Ufer an und rannten um ihr Leben, wobei die Armee der Toten sie nach Süden jagte. Auch Aragorn schien die Sklaven zu bemerken und wandte sich an seine Waldläufer. Er schickte sie auf die übrigen großen Schiffe, um die Sklaven zu beruhigen. Sie sollten ihnen die Angst nehmen und die Freiheit schenken. Wir andere blieben bei Aragorn, denn die ängstlichen Sklaven hatten gewiss mehr Angst vorm Zwergen- und Elbenvolk als von den Dúnedain. Schon in Edoras war mir aufgefallen, dass die Menschen anderen Völkern mit Misstrauen begegneten, und am besten schien es, wenn sich die, mit den Menschen verwandten, Waldläufer um die Ängste der Menschen kümmerten. Neben Aragorn blieben Halbarad, wir Gefährten, die Elbenbrüder und wenige Dúnedain zurück.
»Es scheint mir seltsam und wunderlich, dass Mordors Pläne durch solche Schreckensgespenster umgestürzt werden können. Der Feind wurde mit seinen eigenen Waffen der Furcht geschlagen«, sprach Legolas, der von Arod absaß und sich in der Gegend umsah. Die Feinde waren alle abgezogen und mit starrem Gesicht musterte der Elb seine Umgebung. So wie alle Elben hatte er ein zeitloses Gesicht und seine Augen waren stets achtsam. Man konnte nicht verleugnen, dass der Elb schön war, aber bevor ich anfing, ihn weiter zu mustern, ging mein Blick zu Aragorn. Der Mensch saß immer noch im Sattel und mit dem Wissen, dass er mit diesem Zug Minas Tirith kostbare Zeit verschafft hatte, sah er sich um. Er wirkte wahrlich wie ein König und der Gedanke, dass er mit der Armee der Toten eine ganze Streitmacht Mordors in wenigen Minuten niedergestreckt hatte, machte es umso deutlicher, warum Sauron ihn fürchtete. Mit der Willensstärke Aragorns hätte der Waldläufer ein furchtbarer Herrscher werden können, wenn er den Ring an sich genommen hätte. Ein Ring, der nach dem Geburtsrecht der seine war, und nicht umsonst trug Aragorn eine wichtige Rolle im Krieg gegen den Dunklen Herrscher. Jedoch, Aragorns edler Sinn war das, was die beiden voneinander unterschied. In diesem Moment wurde mir abermals bewusst, was für ein großer Mann Aragorn war.
Im Folgenden stieg er von seinem Pferd, das ihm seine Sippe aus dem Norden mitgebracht hatte, ab und erhob an Halbarad gewandt seine Stimme: »Vetter, es ist Zeit, das Schattenheer zurückzurufen. Lass uns ein Schiff mit lauten Trompeten finden!«, meinte er überzeugt und zusammen verschwanden die beiden zum Ufer hin. Ihre Pferde wurden von zwei ihrer Sippe zu den anderen Pferden gebracht.
Nachdem ich Aragorn und Halbarad nachgesehen hatte, wie sie auf dem größten Schiff verschwanden, stieg ich von Maiden ab. Die Stute hatte sich nun eine Pause verdient und als Gimli von Legolas vom Pferd gehoben worden war, gingen wir zu den anderen Pferden. Schnell sattelten wir die Tiere ab, banden sie an einen Pflock und die ersten Vierbeiner dösten bereits vor sich hin.
»Die Totenarmee ist erschreckender, als ich erwartet hatte. Sogar mir ist anders zumute geworden, als sie Mordors Verbündete vertrieben haben«, gab ich meine Meinung kund, als wir zum Ufer schritten. Ein paar der Dúnedain hatten die Sklaven von den weit entfernten Schiffen ans Ufer geholt und man kümmerte sich bereits darum, dass die Kriegsflotte ans Ufer kam.
»Also siehst du jetzt doch die Schaurigkeit dieser Dinger ein?«, fragte der Zwerg neben Legolas neugierig und ich zuckte mit meinen Schultern.
»Nun, ich bin eher beeindruckt, dass solch eine Macht durch einen Mann gesteuert worden ist. Aragorn ist wahrhaftig jemand, den Mordor fürchtet«, machte ich meine Worte deutlicher und auch Legolas nickte.
»Unser Gefährte geht einen vom Schicksal auserkorenen Weg und immer, wenn das Schicksal seine Finger im Spiel hat, passieren wahrlich erstaunliche Ereignisse.«, während Legolas gesprochen hatte, kamen wir zu den Schiffen nahe am Ufer. Aragorn hatte sich das größte Schiff ausgesucht. Er stand am Deck, neben ihm ein paar Waldläufer aus seiner Sippe.
»Erstaunlich war es gewiss!«, grummelte Gimli, »Genauso wie furchterregend. Ich freue mich schon, wenn diese Toten fort sind. Lieber kämpfe ich gegen ein ganzes Orkheer mit der Axt in der Hand, anstatt dass ich die Toten noch einen weiteren Tag um mich habe. Immer noch höre ich ihr Flüstern und spüre das Grauen, was von ihnen ausgeht, bis in meine Knochen.«, der Zwerg schüttelte sich und war wirklich kein Unterstützer vom Übernatürlichen. Auch schon an Fangorns Grenzen hatte er bereits seine Abneigung gegen alles Böswilliges, von Magie ausgehend, klargemacht. Saruman war bei ihm auf der Abschussliste und nur Frau Galadriel, Hüterin des Goldenen Waldes, hatte einen Platz in seinem Herzen, obwohl sie von vielen Völkern als Hexe bezeichnet wurde. Jedoch, da ich immer noch nicht von mir behaupten könnte, dass ich die Zwerge verstand, beließ ich es dabei. Durch diese Reise hatte ich dieses Volk zwar besser kennengelernt, aber sie waren für mich immer noch seltsam. Ja, ich war Gimli gewiss in vielen Dingen ähnlich, doch solche Ähnlichkeiten würde man unter allen Völkern finden. Überall gab es eine Person, die anderen Personen ähnelte, wie auch die Elben untereinander unterschiedliche Persönlichkeiten innehielten.
»Wenn man bedenkt, dass uns bald die letzten großen Kämpfe bevorstehen, würde ich meinen, dass die Toten gar nicht so eine schlechte Gesellschaft waren«, erwiderte ich auf Gimlis Worte und musste an die bevorstehende Schlacht denken. Man konnte diese Erwartung bereits in der Luft spüren. Das Ziel dieser Reise über die Pfade der Toten war es gewesen, Minas Tirith zur Hilfe zu eilen. Nun kamen wir unserem Ziel immer näher und schon bald würden wir ins Feld ziehen.
»Angst, dass du dieses Mal verlieren wirst, in Anbetracht getöteter Gegner?«, stichelte der Zwerg und seine dunklen Augen glitzerten unter seinem Helm hervor.
»Dieses Mal sehe ich meine Chancen sogar noch höher, um ehrlich zu sein«, meinte ich bescheiden wie immer, sodass Legolas neben mir seine Augen verdrehte, »Mein Schwert wird die Feinde in der Luft zerschneiden, doch auch deine Feindeszahl wird steigen, Gimli. Helms Klamm war nicht deine Art des Kämpfens.«, Gimli teilte meine Meinung, denn zu Fuß kämpften Gimli und ich besser und der liebe Legolas würde sich schwerer tun.
»Dann muss der Herr Elb zeigen, was er mit seinen zwei Dolchen alles kann!«, rief Gimli aus, doch er wusste nicht, dass Legolas fabelhaft mit seinen Klingen umgehen konnte. Ebendeswegen hob Legolas nur eine Braue und schüttelte seinen Kopf, als er seine Stimme erhob: »Nur zu, richte deinen Fokus auf Lithil und unterschätze mich, drehe mir deinen Rücken zu. Die Gefahr lauert aber stets hinter einem.«, seine Augen funkelten und ich musste zugeben, dass in diesem Moment alles wie immer war. Wir drei unterhielten uns über den bevorstehenden Kampf und jeder war etwas zu sehr von sich selbst überzeugt.
Bevor wir uns jedoch noch weiter in den Himmel heben könnten, erschallten Trompeten. Sie erklangen vom großen Schiff der schwarzen Flotte, auf welchem Aragorn stand. Halbarad und ein paar andere bliesen in die erbeuteten Trompeten. Jeder unterbrach seine vorherige Beschäftigung und ich entdeckte das Schattenheer, das sich dem Ufer näherte. Sie waren kaum sichtbar und nur der rote Glutschein in ihren Augen verriet ihre Anwesenheit. In ihren Augen spiegelte sich der Brand der kleineren Schiffe wider, die bereits vom Menschenvolk von Angbor entflammt worden waren. Einige kümmerten sich schon darum, dass die Flammen nicht auf die anderen Schiffe übergriffen, doch der Rauch in der Luft ließ das Schattenheer furchterregender aussehen.
Stumm standen sie da und beobachteten Aragorn, mit angespannter Neugierde, als er seine Stimme erhob: »Höret nun, was Isildurs Erbe euch zu sagen hat! Euer Eid ist erfüllt! Kehret um und sucht nie wieder die Täler heim! Scheidet hin und ruhet in Frieden!«, als die laute, gebieterische Stimme des Waldläufers verklungen war, trat der Totenkönig von der Gruppe hervor. Ruhig und mit stolzen Haupt stand er da, als er seinen Speer entzweibrach und ihn vor sich auf den Boden warf. Sofort löste sich der Speer in Luft auf, anschließend verbeugte sich der Totenkönig tief, mit glühenden Augen, und wendete sich wieder seinem Heer zu. Rasch zog das ganze Heer der Toten ab und verschwand in einem Nebel, der wiederum vom Wind davongetragen wurde. Zurück blieben die Lebenden, denen die letzten Tage wie ein Traum erschien.
Waren wir mit einem Totenheer von den Bergen gekommen, oder war all dies in unseren Köpfen geschehen? Hatten wir die schwarze Flotte bloß gefunden, oder hatten die Toten die Feinde vertrieben?
Natürlich war dies nun unwichtig, da wir ein größeres Ziel hatten: Minas Tirith.
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Lithil - gwend en lóre | Legolas Ff ✔
FanfictionKennt ihr das Gefühl, als ob die Welt plötzlich ins Wanken gerät und das Schicksal mit uns sein tägliches Spiel treibt? Die fein austarierte Balance, die bislang unser Leben im Gleichgewicht hielt, ist erschüttert. Auf einem schmalen Grat balancier...