9. Kapitel - Der Rat

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Langsam blätterte ich eine weitere Buchseite um. Meine Fingerkuppen spürten die raue Oberfläche des Papiers und genüsslich seufzte ich auf. Nicht wissend, wann ich das nächste Mal Zeit fürs Lesen finden würde, verschlang ich Wort für Wort. Man müsste immer auf alles vorbereitet sein, sichergehen, dass die Unwissenheit einem nicht im Dunklen auflauerte und ein geschärftes Messer in den Rücken rammte.
So genoss ich die Ruhe und benutzte sie zum Lesen. Ich saß auf einer steinernen Bank und konnte die Kühle des Gesteins durch den dünnen Stoff meiner pastellgrünen Robe spüren. Die Gärten Bruchtals waren bezaubernd, obwohl ich gegen mehr Bäume nichts einzuwenden gehabt hätte, da ich an den dichten Wald von meinem Zuhause gewöhnt war. Eine sanfte Brise wehte durch mein Haar und etwas genervt klappte ich mein Buch zu, was nur ein dumpfes Geräusch verursachte. Auf das Lesen konnte ich mich nicht mehr konzentrieren, weil meine Augen immer durch die Landschaft strichen. Ich beschloss, mich langsam auf den Weg zu machen, um zu verhindern, dass ich zu spät zur Ratssitzung eintreffen würde.
Ich setzte einen Fuß vor den anderen. Mein Buch befand sich in meiner rechten Hand, die beim Gehen vor und zurück schwankte. Die blasse Sonne stieg über die fernen Berge empor. Ihre Strahlen fielen schräg durch den dünnen, silbrigen Nebel herein. Der Tau saß noch auf den Blättern der Bäume sowie den kleinen Grashalmen. Die Strahlen spiegelten sich in den einzelnen Tautropfen wider, und es wirkte gar so, als ob es hunderte von kleinen Sonnen wären, welche nur für sich allein schienen. Aus dem schäumenden Flussbett stieg das Geräusch des brodelnden Wassers herauf. Die zahlreichen Vögel zwitscherten ihre Lieder des Morgens. Alles wirkte zu friedlich, in Anbetracht der Lage, in der wir uns befanden.
Ich folgte dem kleinen Pfad in die Richtung, wo der Rat stattfinden sollte. Meine Stimmung verbesserte sich, als ich einen gewissen blonden Elben vor mir ausmachen konnte. Legolas stand mit dem Rücken zu mir, sein Blick war abwesend gen Himmel gerichtet und wie ich trug er eine helle Robe. Stillschweigend gesellte ich mich an seine linke Seite.
Mein Freund begann, leise zu sprechen: »Es ist sonderbar, wie die Welt sich heutzutage dreht, oder? So, als ob das Schicksal sein Spiel spielt, doch sind wir nur seine Spielfiguren, können nur vage hoffen, dass es weiß, was es tut.«
Ich drehte meinen Kopf nach rechts und blickte in zwei eisblaue Augen, aus denen eine deutliche Verwirrung herauszulesen war. Meine Mundwinkel zogen sich nach oben, ich schenkte Legolas ein aufmunterndes Lächeln.
»Eigenartig ist es wahrhaftig, mein Freund, doch sollten wir dem Schicksal weiter trotzen und zu einem Gegenangriff ansteuern«, erklang meine Stimme. Ich nickte. Legolas nickte ebenso und sein Gesicht verlor etwas von seiner vorherigen Strenge.
»Danke, Lithil, dass du immer Worte findest, die mich besser fühlen lassen.«, der Elb lächelte leicht. Ich erwiderte sein Lächeln, dann sah ich in den Himmel wie Legolas zuvor. Ich konnte ein paar Vögel sehen, die sich im Wind gleiten ließen, ohne jegliche Anstrengung in der Luft schwebten.
Wir standen noch eine kurze Zeit nebeneinander und waren in Gedanken versunken, als im nächsten Augenblick ein heller Glockenton erklang.
»Dies ist die Glocke, die zur Versammlung ruft, narwa fín«, sprach Legolas. Zusammen machten wir uns auf den Weg. Ein Weg, der zum Beginn unserer Reise führen würde.

Wir schritten durch Imladris zu den großen Bauten. Nach einem kurzen Fußweg gelangten wir in eine Halle und gesellten uns zu den anderen Gesandten der verschiedenen Völker Mittelerdes. Stühlen standen in einem Kreis. Wir befanden uns mehr im Freien. Es war eine Art Hinterhof, eine Terrasse, umrundet von Gebäuden, mit mächtigen Säulen.
Es waren schon fast alle anwesend. Legolas und ich schritten an die Versammelten heran. Ich erkannte viele vertraute Gesichter, denn mit vielen der Anwesenden hatte ich oder Legolas bereits gesprochen. Viele Ratgeber Elronds waren zu sehen. Unter ihnen fand ich Glorfindel, Erestor, der ranghöchste Ratgeber, und weitere, die ich nicht beim Namen nennen konnte. Auch erkannte ich zwei Zwerge, mit denen ich bereits Bekanntschaft gemacht hatte; Glóin und sein Sohn waren anwesend.
Als ich Legolas von meiner Begegnung mit ihnen erzählt hatte, hatte ich gleich erfahren, dass der andere Zwerg Gimli hieß. Legolas schien nun noch voreingenommener gegenüber ihnen zu sein. Ohne, dass er überhaupt ein Wort mit ihnen gesprochen hatte, schenkte er ihnen einen giftigen Blick. Wahrnehmen taten sie diesen nicht, da ihr Blick auf mir lag, doch ich wandte mich von ihnen ab.
Ich ließ meinen Blick weiter durch die Anwesenden gleiten und erkannte Galdor. Ein Elb von den grauen Anfurten. Auch Aragorn war anwesend. Er saß mit verschränkten Armen auf einem Stuhl. Ich erkannte noch einen anderen Menschen, von dem ich ehrlich sagen musste, dass ich nicht wusste, wer er war. Er musterte mich jedoch für meinen Geschmack etwas zu intensiv, sodass ich innerlich aufseufzte. Ja, auch von den anderen spürte ich seltsame und abschätzige Blicke, zweitere Art von den Zwergen, auf mir ruhen und mir wurde bewusst, dass das weibliche Geschlecht als das schwache angesehen wurde, zumindest bei den anderen Völkern, doch zum Teil pflegten ein paar Elben ebenso dieses Weltbild.
Ich hätte mich nun beschweren können, doch mir war es gleichgültig. Wenn es zum Kampf kommen würde, stand ich den Männern in nichts nach. Viele von ihnen würde ich sogar mit Leichtigkeit besiegen, hatte ich schon oft im Heer des Düsterwaldes bewiesen. Dass ich jedoch mit diesen von anderen kommenden Gedanken umgehen konnte, änderte nichts daran, dass mich der Blick des Menschen aufregte.
»Kann ich dem Menschen irgendwie behilflich sein? Dieser Blick kommt ja fast einem Hilferuf gleich«, ließ ich meine Stimme klingen.
Er schien nicht erwartet zu haben, dass man ihn direkt ansprechen würde. Ein verwirrter Ausdruck huschte über sein Gesicht hinweg und ich blieb stehen. Auch Legolas kam zu einem Halt. Sein Kopf schnellte zum Menschen.
»Ich benötige keine Hilfe, aber sollte man dies nicht eher Euch fragen? Was macht eine Frau in diesem Rat?«
Den letzten Teil fragte er an alle gewandt und es wurde komplett ruhig. Stimmengewirr setzte aus, jeder einzelne Blick fiel auf mich und den Menschen. Aragorn richtete sich sogar in seinem Stuhl auf. Die Zwerge wurden ebenfalls ruhig. Die drei wussten durch gestern, wie ich auf solche Worte reagierte. Legolas wusste das ebenso. Er wollte mir seine rechte Hand auf die Schulter legen, aber ich schüttelte diese schnell ab.
Ich ging einen langsamen Schritt auf den Menschen zu. Meine Stimme klang ruhig, gefährlich: »Ich könnte mich nun ebenfalls fragen, was Ihr als Ungebildeter hier zu suchen habt«, seine Miene wurde eisern, »doch seid Ihr mir so unwichtig, dass ich glatt Euren Namen vergaß. Aus Gondor kommt Ihr und bei Eurem Auftreten wundert mich nicht, dass Ihr von dem meinen Geschlecht so denkt. An Eurem Schwertgürtel ist gar kein freier Platz mehr. Müsst Ihr euch so sehr bewaffnen, fürchtet Ihr Euch hier? Nicht sehr männlich.«
Ich spielte ebenso auf seine Rolle als Mann an. Jetzt konnte man die Anspannung beinahe in der Luft greifen. Die Anwesenden sahen zum Menschen, der ein Schwert, ein paar Messer und zwei Dolche, wie ein Horn trug. Zu viel für eine normale Unterhaltung.
Ich kam dem Mann noch näher und mein Verhalten schien ihn zu verwirren. Vor ihm blieb ich stehen, wir waren fast gleich groß. Langsam umrundete ich ihn. Mein Blick und Grinsen wirkten gefährlich.

Lithil - gwend en lóre | Legolas Ff ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt