*75. Kapitel - Ein tolles Vorbild

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990 Jahre zuvor:

Beglückt und ausgeglichen kamen die Jäger von der Jagd zurück und am frühen Abend erreichten wir den Westen. Die Sonne wurde bereits schwächer und ihre Strahlen kämpften sich durch das dichte Blätterdach, doch, auch wenn die funkelnden Blätter wunderschön aussahen, konnte ich diese Freude nicht in mir spüren. Auf meiner ganzen Kleidung klebte etwas vom Spinnennest und um ehrlich zu sein, wollte ich nicht wissen, was es war. Lieber genoss ich die Ungewissheit. Deswegen konnte ich bloß meine Nase rümpfen, als ich auf den Ärmel meiner Tunika blickte.
»Sieht erfrischend aus«, stichelte Círdan neben mir, als wir das Haupttalan erreicht hatten und die ganzen Felle verstauten, die noch getrocknet werden müssten. Natürlich bekam der Elb zuerst einen vernichtenden Blick von mir, der ihn nach den ganzen Jahren mit mir nicht mehr erschrecken konnte.
»Hüte deine Wasserflasche, wie deinen größten Schatz, in den nächsten Tagen«, gab ich beiläufig von mir und meine grünen Augen sahen in seine braunen, die sofort verstanden, dass ich ihm drohte. Wie bekannt, hasste er den Speichel von anderen und auch nahm er meine Drohung ernst. Ich hatte ihm schon einmal gedroht, dass ich ihm schlafend seine Wange ablecken würde, wenn er mich noch einmal mit einem Eimer Wasser wecken würde, und jedem sollte nun klar sein, dass ich es getan hatte.
»Wenn du dies tust, dann verstehst du den Sinn hinter einem Gefallen nicht«, hielt Círdan dagegen, doch ich pustete uninteressiert Luft aus meiner Nase aus.
»Wer sagt, dass ich nicht den Sinn verstehen und gleichzeitig deine Flasche ablecken kann?«, fragte ich und klimperte mit meinen Wimpern.
»Dein Gewissen«, sprach er, doch bevor ich eine Antwort sprechen konnte, kam mir jemand anderes zuvor.
»Welches Gewissen?«, fragte Legolas und war in der Zwischenzeit zu uns herangetreten. Seine Augen lagen funkelnd auf mir und er hatte seine Augenbrauen so weit erhoben, dass sie bald in seinem Haaransatz verschwinden müssten.
»Pf, meinem Gewissen geht es gut«, verteidigte ich mich.
»Und wo war es, als du Dagal von einem Talan gestoßen hast?«, fragte Círdan ruhig und Legolas sah den Elben an, dann mich.
»Du hast was?!«, fragte er mich gleich darauf und Círdan unterdrückte ein Lachen.
»Zu meiner Verteidigung war es eines nahe am Boden!«, zickte ich und zeigte mit meinem Zeigefinger auf den Braunhaarigen, »Und du hast es provoziert.«
»Wie habe ich es provoziert?«, wollte Círdan unschuldig wissen, folgend setzte ich fort: »Du hast uns beide gezwungen, dir bei der Arbeit zu helfen, obwohl du ganz genau gewusst hast, dass du dir zwei linke Handpaare damit eingebracht hast, mein Lieber«, erklärte ich und erinnerte mich daran, dass ich seit diesem Tag wusste, dass ich absolut nicht handwerklich begabt war.
»Also ist deine und Dagals Unfähigkeit der Grund, dass du ihn von der Plattform geworfen hast?«, bohrte Círdan weiter herum und ich erwiderte: »Ja, er hat genervt, was auch du gerade tust, also wenn du mich entschuldigst, ich muss mich umziehen und das 'was-auch-immer' von meinem Körper bekommen!«, darauf ging ich an den beiden vorbei, die mir amüsiert nachblickten, doch ich hörte noch Legolas' Stimme: »Sollten wir ihr sagen, was das ist?«
»Lieber nicht«, war Círdans Antwort, anschließend begannen die zwei zu lachen.

Nachdem ich mir frische Kleidung angezogen hatte, den Gedanken beiseite geworfen hatte, Círdan etwas von diesem komischen Spinnenschleim in sein Gesicht zu schmieren, ging ich meinen Weg über die vielen Talans. Ein paar Jäger hatten gerade Wache und standen selbst wie Bäume auf den Plattformen und spähten in den Wald, der immer dunkler wurde. Bald würde die Sonne im Westen untergehen und uns die Schatten der Nacht schenken. Die verzweigten großen Äste wuchsen kreuz und quer und mitten in diesem Wirrwarr lebten wir Waldelben. Auf dem Haupttalan und den Plattformen, welche für normale Wege benutzt wurden, hingen gelegentlich Lampen, doch meist blieben sie aus. Wir Elben konnten gut in der Dunkelheit sehen. Aus diesem Grund würden uns Lampen nur blind gegen Feinde machen und wir würden hingegen noch mehr strahlen.
Ich ging meinen Weg in Dunkelheit, doch entdeckte auf einem etwas größerem Talan in der Nähe des Haupttalans eine Gruppe von Elben, die eine Laterne bei sich hatten. Selbstverständlich entdeckte ich im Lampenschein einen gewissen blonden Elben, der sich mit den Jägern aus dem Westen unterhielt. Dieses Bild brachte mich zum Lächeln, da Legolas nur selten im Westen länger verweilte. Seinen Stopp für die Nacht machte er meistens im Süden, doch heute könnte ich den Prinzen länger sehen.
Ich näherte mich der kleinen Ansammlung, doch bevor ich mit Legolas sprach, visierte ich Dagal an, der neben sich Calen hatte. Die blonde Elbin sah etwas fehl am Platz aus und müsste sich erst eingewöhnen. Dagal neben ihr war wie immer er selbst und erzählte ihr, mit wirren Handgesten, irgendeine Geschichte. Der Elb mit den rotblonden Haaren hatte sich in meiner Zeit bei dem westlichen Jägerposten kaum verändert und meine anfängliche Theorie hatte sich bestätigt. Dagal schien nicht darauf erpicht zu sein, den Jägerposten schnell zu verlassen und somit zu den Grenzen oder Kriegern zu gehen. In der Tat hatte ich in meinen weniger als zehn Jahren schon mehr Verantwortung als Dagal, der ein paar Jahre vor mir in den Westen gekommen war. Aldon wusste eben, wer von seinen Jägern und nun auch Jägerinnen hoch hinauswollte und wer sich mit dem Leben in der Natur bereits zufriedengab. Dagal schien von der Persönlichkeit zum Teil Círdan, aber auch Themaer zu gleichen. Zwar waren alle unterschiedliche Personen, doch sie alle schienen nicht zu den Kriegern zu wollen, wie bereits Jeshe vor ihnen, der jetzt an den Grenzen diente. Die drei waren ruhigere Persönlichkeiten und ich war schon gespannt, wie Calens Kopf tickte. Bei unserer kurzen Begegnung heute war sie mir schüchtern erschienen, doch vielleicht tobte in ihr ein kleines Feuer, welches seine Zeit bräuchte, um zu entflammen. Ich wusste es nicht, denn dafür müsste ich mich mit ihr unterhalten, was ich im nächsten Moment vorhatte.
»Du kannst ihm ruhig sagen, wenn er dich zuplaudert, unser Wasserfall Dagal«, sprach ich an die Elbin gewandt und sie lächelte leicht gequält. Dagal hingegen hörte mit dem Sprechen auf und seine Augen sahen mich an.
»Ha, ha«, machte er, rollte mit seinen Augen.
»Nun, ich mache mir halt um meinen Schützling sorgen und möchte nicht, dass du ihr zu viel Unsinn erzählst.«, meine Augenbrauen zuckten kurz nach oben und der Elb stieß Luft aus seiner Nase aus, als ich mich zu den beiden setzte. Soweit ich wusste, hatte Themaer gerade Wache und deswegen konnte unser Poet nicht unter uns weilen.
»So viel rede ich doch gar nicht und sowieso frage ich mich immer noch, warum sie dein Schützling geworden ist, wenn du bereits andere von Bäumen schubst«, gab Dagal von sich und nun war ich diejenige, welche die Augen verdrehte. Sie rollten von der einen zu anderen Seite meiner Augenhöhlen, dann erhob ich meine Stimme: »Erstens, bist du auf beiden Beinen gelandet und zweitens, Círdan hat die Geschichte wirklich wieder aufleben lassen?«
»Aufleben lassen?«, fragte der Elb unglaubwürdig und hielt sich theatralisch sein Herz, »Ich kann dieses Ereignis nicht vergessen, es verfolgt mich immer noch jeden Tag, wenn ich ruhen will«, dramatisierte er weiter und ich setzte mich zu ihnen. Ich zog meine Füße an mich und saß im Schneidersitz auf der hölzernen Plattform. Mein Blick ging zu Dagal, der weiterhin in seiner Rolle in die Ferne starrte. Calen schien sich zu fragen, wo sie bloß gelandet war. Das Problem war aber, dass sie Dagal nicht so schnell losbekommen würde, da er wie eine Zecke war. Er warf sich förmlich an jeden Neuankömmling und generell sprach er mit allen Jägern aus dem Westen. Niemand war von seinen Geschichten sicher, obwohl er am liebsten seine Zeit mit Círdan, Themaer und mir verbrachte, was für Calen hieß, dass sie viel mit ihm zu tun haben würde.
»Einfach ignorieren«, meinte ich an die Blondine gewandt, »aber ich muss sagen, dass ich heute eine schlechte Ansprechperson gewesen bin. Erzähl' von dir, ich habe gehört, dass du aus dem Norden kommst? Und wie verlief das erste Training mit Aldon?«, fragte ich sie und sie wandte den Blick von Dagal ab, der sich darauf wieder wie ein normaler Elb benahm und interessiert zuhörte. Er zog sein eines Knie an sich, legte seinen Ellenbogen darauf, anschließend beobachteten seine Augen Calen, die zu sprechen anfing: »Nun, er hat mich irgendwelche Zielscheiben abschießen lassen«, meinte sie und klang wenig begeistert. Ich erinnerte mich an Aldons beliebtes Scheibenspiel, wo die erste Scheibe ganz hinten war. Auch Dagal schien daran denken zu müssen, da wir beide gleichzeitig zu grinsen begannen.
»Wie lang hat es gebraucht, die erste Scheibe zu finden?«, fragte der Elb und Calen sah ihn wenig begeistert an. Ich bemerkte, wie sich ihr Kiefer leicht, aufgrund der Erinnerung, anspannte und sie schmollte: »Möchte ich nicht sagen«, sie verschränkte ihre Arme vor ihrer Brust, »aber die Frage war ja auch, an meine Herkunft gerichtet, also, ja, ich komme aus dem Norden. Ich bin dort in einem kleinen Dorf aufgewachsen und in meiner Familie sind alle im Heer des Königreichs, also wollte ich diese Tradition ehren«, erzählte sie von sich selbst und ich nickte. Ich wusste, dass es um den Palast, der sich bereits im Norden befand, herum viele kleine Dörfer gab. Zumeist lebten dort Bauern, die den Palast mit ihren Gütern versorgten, da im Norden weniger Schattengestalten herumirrten.
»Ich war einstweilen erst einmal im Norden bei den Posten, doch ich fand es sehr schön dort«, meinte ich und lächelte sie an. Dagal hingegen kam ebenso aus dem Norden. Ich wusste, dass er ein paar Schwestern hatte und aus einer Familie von Gelehrten kam. Etwas, was seine vielen Gesprächsthemen erklärte, doch auch war es für mich nur umso interessanter, dass Dagal ein Jäger geworden war. Er hatte jedoch erzählt, dass er seine Kampfausbildung erst angefangen hatte, als seine Eltern gen Westen gesegelt waren und er nicht mehr mit ihrer Strenge konfrontiert worden wäre. Auch ich fragte mich, was wohl aus meinem Vater geworden war, da er das Königreich verlassen hatte. Ob er nun fernab vom Düsterwald in einem anderen Elbenreich lebte, oder sogar in die Westlande gesegelt war, wusste ich nicht. Auch war es mir mittlerweile egal und dies auch, wenn er irgendwo tot herumliegen sollte. Er war kein guter Mann gewesen und ich wusste nicht einmal, ob ich ihm im Laufe meines ewigen Lebens jemals vergeben könnte, wenn sich unsere Wege in sehr ferner Zukunft kreuzen sollten.
Gerade unterhielten sich Calen und Dagal über den Norden und als ich mich an dem Gespräch beteiligen wollte, spürte ich eine Hand auf meiner Schulter ruhen. Ganz sanft lag sie auf mir, dann hörte ich jemanden in die Knie gehen.
»Ich soll dir von Círdan ausrichten, dass er und ein paar andere Murmeln spielen und ob ihr mitspielen wollt?«, erklang Legolas' Stimme an meinem rechten Ohr und als ich zur Seite blickte, stellte ich fest, dass er hinter mir hockte. Seine blauen Augen trafen kurz auf meine, dann sah er Dagal und Calen wartend an.
»So wie ich diesen Elben kenne, spielt er nicht ohne Einsatz?«, Dagal klang misstrauisch. Legolas nickte und schien diese Frage erwartet zu haben.
»Sie spielen darum, wer die Nachtwachen des Siegers für einen Monat übernehmen muss«, erklärte er und Dagal verzog sein Gesicht.
»Dann passe ich. Ich habe gerade wieder Frühdienst«, lachte der Elb und auch die blonde Elbin schien zu passen.
»Ich kenne dieses Spiel nicht, aber ich würde gerne zusehen«, redete sie, im Anschluss darauf fiel Legolas' Blick zurück zu mir, wobei seine Hand immer noch auf meiner Schulter verweilte.
»Gut, ich spiele mit, doch was ist mit dir?«, fragte ich und erhob mich.
»Nun, Círdan besteht auf einen Krug Elbenwein vor dem Spiel, um die Gewinnbreite für alle zu erhöhen und da ich morgen früh weiterreise, passe ich«, erklärte der Prinz und ich stöhnte entnervt auf, da Círdan wieder seine Gegner betrunken machen wollte.
»Dieser Elb hat so eine hohe Alkoholtoleranz, dass er sich damit nur selbst dem Sieg näherbringt, aber was soll ich sagen, ich habe bereits zugestimmt«, seufzte ich und Legolas lachte mich dumm von der Seite an.
»Gewiss hast du dies, jetzt musst du da durch«, meinte er und ich hätte schwören können, dass ich so etwas wie Schadenfreude aus dem Elben herausgehört hatte. Ich nahm es einfach hin und zusammen traten wir an die Gruppe Jäger heran, wobei Círdans Augen amüsiert funkelten, als Legolas ihm zu verstehen gab, dass ich mitspielen würde.
»Immer wieder eine Freude, mit dir zu spielen, Lithil!«, begrüßte mich der Braunhaarige, reichte mir einen Krug Elbenwein, ein überaus großer Krug, »Hier dein Einsatz!«, lachte er heiter.
Meine Antwort war einfach, denn ich kippte den Krug hinunter und spürte die bekannte Wärme in meinen Wangen. Genauso gut wie ich wusste Círdan, dass ich Elbenwein nicht vertrug, und allen anderen schien klar zu sein, dass ich das Opfer werden würde, welches die Nachtwachen übernehmen müsste. Als der Krug leer war und auch alle anderen bereit waren, konnte mein Versagen beginnen.

Lithil - gwend en lóre | Legolas Ff ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt