47. Kapitel - Des Waldes Geheimnis

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Eine Weile ritten wir und nur wenige sprachen ein Wort miteinander. Die Präsenz des Waldes schien den meisten auf ihr Gemüt zu drücken. Auch Gimli.
Seine dunklen Augen zuckten hin und her und er musste Legolas immerzu davon abhalten, einfach stehenzubleiben, um in den Wald zu lauschen. Der Elb war genauso wie ich vom Wald fasziniert und hätte am liebsten seine Geheimnisse erkundet.
Wir Waldelben lebten in den Bäumen und nun umgeben von einem seltsamen Wald zu sein und ihn nicht erkunden zu dürfen, schmerzte im Herzen. Tat weh, denn nur Blicke durften wir den Bäumen schenken.
Wahrscheinlich war es besser so, denn des Waldes Geheimnis könnte uns vielleicht mit Leichtigkeit töten.
»Dies sind die seltsamsten Bäume, die ich je gesehen habe und dabei hab' ich viele, selbst Eichen, vom Samen bis ins morsche Alter hineinwachsen seh'n. Hätt' ich nur die Zeit, unter sie zu gehen! Sie haben Stimmen, und mit der Zeit verstünde ich vielleicht ihre Gedanken«, sprach Legolas.
Gimli riss seine Augen auf. »Bitte nicht!«, rief er aus, »Lassen wir die Bäume lieber Bäume sein, und zwar unter sich, ohne, dass wir zwischen ihnen wandeln. Ich kann ihre Gedanken nicht erraten, doch mir scheint, dass sie alles hassen, was auf zwei Beinen geht und in ihrer Sprache dreht sich alles ums Erwürgen und Zermalmen.«
»Du bist so positiv wie immer, Gimli«, mischte ich mich ins Gespräch der beiden ein.
Der Kopf des Zwerges schnellte zu mir. Er sah mich durch seine buschigen, roten Augenbrauen an. »Pf, tut mir ja leid, dass ich nichts Positives in einem Wald sehen kann, der dem Anschein nach laufen kann und die Orks getötet hat!«, giftete er mit tiefer Stimme und verschränkte trotzig seine kurzen Arme vor seiner Brust.
»Genau, Orks!«, begann ich, »Mir scheint es so, als ob die Bäume einen Hass gegen die Orks hätten und nicht auf alles, das zwei Beine hat.«
Legolas stimmte mir zu: »Dies ist nicht das Zuhause der Bäume. Sie gehören nicht hierher und von Elben und Menschen wissen sie wenig. Fern von hier sind die Täler, in denen sie sprossten. Aus Fangorns Tiefen, Gimli, sind sie vermutlich gekommen.«
Seine Worte ergaben Sinn. Dieser Wald glich dem Fangorn, und zwar seinen Tiefen. Die Bäume hatten die gleichen fingerartigen Äste und die düstere Geschichte. Den Hass auf alles, was ihnen Schaden angetan hatte. Er steckte tief in ihren Wurzeln verborgen, und doch erzählten die Äste im Wind ihre Geschichte.
Es war seltsam, aber wir Elben schienen die Natur zu hören, ihre Vergangenheit fühlen zu können. Einem Außenstehenden das zu erklären, schien mir als unmöglich, und so änderte der Zwerg auch nicht seine Meinung.
»Dann ist das der gefährlichste Wald in ganz Mittelerde«, beharrte Gimli und war vom Gedanken absolut nicht angetan, dass dieser Wald dem Fangorn entsprungen sein könnte. Er schüttelte sich und setzte fort: »Wenn euch beiden dieser Wald so gut gefällt, dann geht hinein, baut ein Haus und lebt zusammen an diesem unheilvollen Ort. Gründet eine Familie und habt Spaß, doch mich bekommt ihr da nicht hinein.«
Ich rollte mit meinen Augen.

Er kann es echt nicht lassen...

Warum der Zwerg so besessen von der Idee war, dass Legolas und ich etwas füreinander empfanden, verstand ich nicht. Es reichte schon, dass ich aufgrund Gimlis Worte zu sehr darüber nachdachte - bis hinein in vergangene Tage. Auch half es mir nicht weiter, dass ich über Legolas nicht normal nachdenken konnte, ohne wieder auf den Moment mitten in der Schlacht zu stoßen.
Ich wusste, dass ich es dieses Mal mit meiner provozierenden Absicht zu weit getrieben hatte; es war mir zum Verhängnis geworden. Hätte ich es einfach unterlassen, müsste ich nicht ständig darüber nachdenken. Vorerst würde ich es jedoch in den hintersten Teil meines Kopfes stecken, da wir auf einer Mission nach Isengard waren.
»Du hast recht Gimli«, meinte Legolas trocken, »Wir gehen in den Wald, und wenn dir die Bäume dann im Schlaf auflauern und dich töten, dann nennen wir unser erstes Kind in Gedenken an dich.«
»Aber natürlich in abgewandelter Form. Gimli klingt ziemlich zwergisch«, fügte ich hinzu.

Legolas und ich hätten bestimmt süße Kinder, dachte ich kurz, sehr kurz.

Des Zwerges folgende Seufzen brachte Legolas und mich zum Lachen. Ich verwarf meine Gedanken daher.
»Sehr witzig...«, grummelte Gimli, »Schon klar, ihr findet die Bäume vielleicht wunderbar, aber ich habe ein größeres Wunder in diesem Land geseh'n, schöner als jeder Hain oder jede Lichtung in allen Wäldern der Welt: Das Herz ist mir noch voll davon. Unbegreiflich sind mir die Menschen! Hier haben sie eines der Wunder der nördlichen Welt, und wie sagen sie dazu? Höhlen, sagen sie! Höhlen! Löcher, in denen man sich in Kriegszeiten verkriecht oder Nahrung speichert! Wisst ihr, wie weit und herrlich die Grotten in Helms Klamm sind? Scharen von Zwergen würden Pilgerfahrten antreten, nur um sie zu sehen, wüsste man, dass es sie gibt. Ja, in purem Gold würden sie dafür bezahlen, nur einen kurzen Blick auf sie werfen zu dürfen!«, schwärmte Gimli nun von den Höhlen, in denen er das Ende der Schlacht ausgesessen hatte. Wie vorhergesagt, hatte er diesen Ausflug wunderbar gefunden, doch Legolas hasste Höhlen. Mir waren sie bis vor kurzem egal gewesen, doch seit Moria würde ich so schnell keine Höhle mehr betreten.
Jedoch war ich froh, dass der Zwerg das Thema gewechselt hatte, auch wenn wir nun über Höhlen sprechen müssten.
»Und ich gäbe Gold dafür, dass man es mir ersparen würde und die doppelte Summe, um wieder herausgelassen zu werden, sollte ich mich je dorthinein verirren«, meinte Legolas.
Ich musste über den Gedanken lachen. Ein Legolas, der in einer Höhle umherirrte, dafür würde ich Gold bezahlen, um dies sehen zu können. Gar war es schon köstlich, den Elben in Moria gesehen zu haben, wie unerfreut er gewesen war.
»Du hast sie ja auch nicht gesehen, darum verzeihe ich dir deinen Spott!«, sagte Gimli, »Du redest jedoch Unsinn. Euer König in den Wäldern sitzt doch auch in Hallen unter einem Berg im Düsterwald und bei deren Bau haben einst Zwerge geholfen. Findest du die denn nicht schön? Es sind zwar nur Löcher im Vergleich zu den Grotten, die ich hier gesehen habe. So schöne Hallen, erfüllt von der Musik des tropfenden Wassers, und wenn Fackeln entzündet werden, dann glitzern Edelsteine, Kristalle und Adern von kostbarem Erz in den glatten Wänden. Paläste könnte man dort bauen, mit allem, was dazu gehört. Marmor, funkelnde Böden und Teiche in den weiten Hallen, mit glitzerndem Wasser. Fast so schön wie Frau Galadriels Haar, und so zieht sich die Schönheit von einem Raum zum andern, von Halle zu Halle, Palast zu Palast, Treppe zu Treppe, und immer weiter auf gewundenen Wegen bis ins Herz des Gebirges. Höhlen! Die Grotten in Helms Klamm! Ein glücklicher Zufall hat mich dorthin geführt! Ich könnte weinen, dass ich sie verlassen muss.«
»Dann wünsch' ich dir dies Glück, Freund Gimli, dass du den Krieg wohlbehalten überstehst und später wiederkehren kannst, um die Höhlen von Neuem zu sehen. Aber erzähle nicht deiner ganzen Sippe davon! Denn wie du von diesen Höhlen sprichst, scheint es, man könnte dort viele Schätze holen. Vielleicht ist es klug von den Menschen in diesem Land, sie nicht jedem zu zeigen.«
»Nein, du verstehst nicht«, widersprach Gimli Legolas, »Keinen Zwerg könnte solche Schönheit ungerührt lassen. Niemand von Durins Volk würde in diesen Grotten nach Steinen oder Erzen schürfen, und auch wenn dort Gold und Diamanten wären. Solch Schönheit würde mein Volk nicht zerstören. Wir würden Lichter schmieden, Lampen, wie sie einst in Khazad-dûm leuchteten.«
»Du setzt mir zu. So habe ich dich noch nie reden gehört. Fast bedaure ich nun, diese Grotten nicht gesehen zu haben, aber nur fast, ein klitzekleines Bisschen«, sagte Legolas, denn so wie der Zwerg gesprochen hatte, mussten diese Grotten förmlich funkeln.
»Ich werde einmal mit dir in diese Höhlen gehen, wenn du den Fangorn betrittst«, sprach Legolas. Gimli verlor etwas von seiner Freude.
»Dafür würde ich Gold bezahlen!«, lachte ich, »Legolas in einer Höhle und Gimli neben ihm voller Freude, und dann das gleiche Schauspiel im Fangorn umgekehrt!«
»Dann ist es geklärt«, meinte Gimli nur, »Wenn wir diesen Krieg überleben, dann wird unser Heimweg zwar länger, doch um diese Höhlen noch einmal zu sehen, ertrage ich den Fangorn und auch Lithil.«
»Immer bin ich die, die nervig ist!«, regte ich mich auf, »So schlimm bin ich nicht.«
Die folgenden Blicke erzählten Bände. Die beiden sahen mich so an, als ob ich Unsinn redete, anschließend lachten sie.
»Du bist umgänglich, wenn ich kein Zwerg bin«, spottete Gimli, dann klopfte er Legolas von hinten auf seine Schulter, »Doch der werte Legolas hier hat sicher früh genug gewusst, wie die liebe Lithil ist, und aufgrund dessen darf er sich nicht beschweren!«
Da hatte er recht. Der Elbenprinz hatte seit Anfang an gewusst, auf welche Sturheit und welches Ego er sich einließ, dennoch verbrachten wir bis heute Zeit miteinander.
»Die Wahrheit bringst du zur Geltung, Gimli, und ich würde auch nichts daran ändern wollen. Lithil ist der zweite Teil meiner Seele.«

Lithil - gwend en lóre | Legolas Ff ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt