*85. Kapitel - Die Große Jagd

333 26 16
                                    

550 Jahre zuvor:

Ein schwarzer Pfeil schwirrte durch die Luft und landete genau neben meinem Kopf im Stamm des grauen Baumes. Wäre mein Kopf ein wenig weiter nach rechts geneigt gewesen, hätte mich der Ork getroffen. Das schien er sich gerade zu wünschen. Blitzschnell legte ich einen Pfeil auf meine Sehne und noch schneller zog ich sie bis an mein Kinn und ließ los. Darauf schwirrte ein hell gefiederter Pfeil aus den Baumkronen hervor und landete direkt im rechten Auge des Orks. Die Kreatur hatte nur mehr den Mund öffnen können und im nächsten Moment stürzte sie zu Boden. Der Ork gesellte sich zu den anderen Mistkerlen und darauf schwirrten mindestens zehn weitere Pfeile von allerlei Richtungen durch die Luft und zerschnitten sie. Wie abgesprochen, traf jeder Pfeil einen Ork und zusammen flogen sie um. Ihre schwarzen Klingen oder Bögen landeten dumpf klingend am Waldboden. Keiner von ihnen zuckte mehr und folglich gab ich das Signal, dass wir zu Boden gingen. Mit mir landeten zwanzig weitere Elben lautlos am Boden und während ich durch die Reihen der toten Orks schritt, erregte etwas meine Aufmerksamkeit. Ich wollte es mir gerade ansehen, als ich von oben in den Bäumen einen Ausruf hörte: »Ae!« (Ah!), kam es und als ich nach oben blickte, sah ich einen großen Schatten nach unten stürzen. Dieser Schatten hatte acht Beine, welche sich in einem Wirrwarr hin und her bewegten, weswegen die Riesenspinne tot sein müsste. Der Schatten näherte sich mir schnell, warum ich flott auf die Seite sprang und sofort knallte das Tier neben mir auf. Eine Staubwolke stieg nach oben und aus dem Hinterteil der Spinne ragte ein Stück Spinnenseide heraus. Aufgrund des Aufpralls wirbelte der silberne Faden wie ein Peitschenhieb durch die Luft, doch erstaunlicherweise war dies nicht das, was meine Aufmerksamkeit erregte. Viel interessanter war, dass von der Spinne eine Gestalt herunterrollte und durch den Aufprall gegen Filavandrel flog. Leider stand er am nächsten und wurde so das Opfer einer Einlage, die man nur Toruviel zuschreiben konnte. Ihre schulterlangen schwarzen Haare wirbelten durch die Luft. Im Anschluss landete die Elbin auf dem Elben, dem nicht einmal die Zeit geblieben war, um einen Schrei über die Lippen zu bringen. So entstand bloß eine weitere Wolke aus Laub und Erde und meine Augen sahen sich das Bild genau an. Toruviel lag auf dem blonden Elben, rappelte sich auf, wobei ihre Hände neben seinem Kopf abgestützt waren und das Schwert der Elbin steckte immer noch wackelnd im Kopf der Riesenspinne. Toruviel grinste, mit wackelnden Augenbrauen, und gab dem Elben unter ihr einen neckenden Kuss aufs geschockte Gesicht. Diese Tat schien Filavandrel jedoch noch mehr zu schockieren als seine jetzige Lage und auf der Stelle warf er die Elbin von sich, die sowieso gerade aufstand. Der Elb folgte auf seine Beine und wie ein Fisch am Trockenen schnappte er oft nach Luft. Ihm schienen die Worte zu fehlen und während Toruviel ihr Schwert aus dem Kadaver zog, landeten die graugrünen Augen vom Elben auf mir.
Ich jedoch biss mir zuerst auf meine Zunge, um nicht loszulachen, was als Kommandantin die falsche Reaktion gewesen wäre. Leider erinnerte mich Toruviel stark an mich selbst, als ich noch weniger Verantwortung getragen hatte, doch da Filavandrel ein sehr ernster Zeitgenosse war, müsste ich wenigstens etwas sagen. Ebendeswegen atmete ich einmal ruhig ein und aus, wobei mir auffiel, dass die anderen Krieger aus meiner Einheit ebenso versuchten, ruhige Gesichter zu bewahren. Das Bild von vorhin war einfach viel zu unterhaltsam gewesen, dass es niemanden, außer Filavandrel, kaltließ. Er jedoch –, was zum Teil mit der Beziehung zwischen ihm und Toruviel zusammenhing – klopfte sich den Dreck von der Kleidung ab, versuchte es eher, und sah mich an, als ich meine Stimme erhob: »Geht's euch beiden gut?«, fragte ich zuerst und als ich ein beidseitiges Nicken bekam, setzte ich fort: »Von wo kam die Spinne her und sind noch mehr in den Bäumen?«, ich wandte mich der Elbin zu, die gerade einen Riss in ihrem Wams naserümpfend betrachtete.
»Nach dem Gebirge als wir die Spinnen zusammengetrieben haben, habe ich diese hier verfolgt, also, nein, es sind keine weiteren oben.«, ihre schwarzen Augen sahen mich an.
»Also hast du dich der Gruppe entfernt, ohne jemandem etwas zu sagen?«
»Nun, ja«, gestand sie, »wenn ich Bescheid gegeben hätte, hätte ich die Spinne nicht mehr erwischt.«
Ich fuhr mir durch mein Gesicht, versuchte, mich zu beruhigen. Sie war eine sehr anstrengende Elbin und ich glaubte sogar, dass mir Faelandel sie mit voller Absicht in meine Truppe gegeben hatte, um mich zu nerven. Eine anfängliche Vermutung, die sich immer mehr zu bestätigen schien, doch jetzt müsste ich damit leben.
»Dir sind die Regeln bekannt, also weißt du, dass wir nachher darüber sprechen?«, sie nickte, »Gut und bis dahin bleibst du bei mir in der Vorhut«, befahl ich und sie nahm es ziemlich locker.
Ich jedoch ging meinem vorherigen Vorhaben nach und schritt an ein paar Büsche heran. Toruviel beachtete ich nicht, obwohl ich genau bemerkte, wie sie mir nachtrottete. Ebenso kamen ein paar der zwanzig Krieger hinter mir her, wobei die anderen neun, da nun Toruviel unten war, in den Bäumen die Umgebung absicherten. Calen hatte die Verantwortung für die Kundschafter und Späher, und so konnte ich beruhigt meiner Beschäftigung nachgehen. Meine Füße brachten die trockenen Blätter zum Brechen und ebenso knackten viele Äste, desto näher ich den Büschen kam, die meine Aufmerksamkeit erregt hatten. Der obere Teil der Büsche hatte viele zerbrochene Äste aufzuweisen und es schien so, als ob etwas von oben hineingestürzt wäre. Dies könnte ich jedoch nur herausfinden, wenn ich mich ins Dickicht zwängte, und genau das tat ich im nächsten Augenblick. Niemand von meiner Truppe fragte mich, was ich tat, da sie wussten, dass ich nicht unbedingt meine Taten erklärte, solange sie keine Befehle waren. Die Elben wussten, wie sie sich zu verteidigen hatten, also zwängte ich mich in den Busch.
Mit meinem Kurzschwert hieb ich auf die Äste ein und verschaffte mir einen Überblick. Als ich mich zum Einschlagsloch vorgearbeitet hatte, einige Kratzer davongetragen hatte, erblickte ich ein Schreckensbild. Meine Augen entdeckten einen toten Elben, der einen schwarzen Pfeil in seiner Schulter hatte. Der Grund seines Todes war aber der Sturz gewesen, was sein gebrochener Hals preisgab und ebenso seine starren Augen, die nicht blinzelten. In meinem Inneren verspürte ich das brennende Gefühl von Hass gegen die Orks. Dieses Gefühl umklammerte mein Herz, wie eine eiskalte Umarmung. Ich fasste mich aber schnell und rief nach Toruviel, die gleich vorm von mir erschaffenen Eingang stand. Sie war offensichtlich zu neugierig, doch so konnte sie mir helfen, den Krieger nach draußen zu ziehen.
Als sie bei mir war, sah ich ihre schwarzen Augen größer werden, dann zog sie den Krieger mit mir aus dem Gebüsch. Bei den anderen angekommen, ging ein Gemurmel durch die Krieger und alle musterten den Toten.
»Ein Krieger aus dem Palast«, sprach Norsalor das Offensichtliche aus. Vor unseren Füßen lag ein Krieger des Palastes, der sich östlich von uns befand, doch irgendwas war seltsam. Wenn eine Gruppe Krieger des Palastes angegriffen worden wäre, dann hätten hier Orkleichen liegen müssen, was nicht der Fall war. Ich allein hatte mit meiner Gruppe den Boden mit Leichen geschmückt. Ich verstand nicht, warum die Krieger die Feinde am Boden nicht ausgeschaltet hatten. Jedoch, nicht nur ich schien so zu denken, denn alle von meiner Einheit teilten meine Verwirrtheit.
»Sylfír, Kearfaren und Erlen!«, wies ich drei Elben an, deren Blicke auf mir landeten, »Nimmt die Kameraden rechts und links von euch und sucht die Gegend nach Kampf- und normalen Spuren ab.«, sofort nickten sie, dann strömten die Elben aus. Ich hingegen pfiff mit meinen Fingern einen Laut und von oben aus den Bäumen hörte man dumpfe Geräusche. Kurz darauf kamen acht Elben und eine Elbin zu Boden. Als auch sie den toten Krieger erblickten, dem Toruviel gerade die Augen schloss, wurden ihre Augen größer.
»Bericht, Calen«, sprach ich und die Blondhaarige wandte den Blick vom Toten ab.
»Alles ruhig, keine Feinde in unserem Umkreis. Das östliche Hauptheer mit Faelandel ist bereits vor uns, wir könnten sie noch einholen?«, erklärte Calen und ich nickte. Nach dem letzten Zusammenstoß mit den Spinnen und Wargen war ich mit meiner Gruppe etwas zurückgeblieben und dieser Zwischenfall trennte uns immer weiter vom Heer. Bald schon müsste ich befürchten, dass meine Truppe ebenso überrascht würde, wie die Krieger des Palastes.
»Hier sind Spuren, Kommandantin!«, erklang ein Ruf von Sylfír und wir gingen zum Elben. Nachdem wir ein paar Bäume umrundet hatten, sahen wir eine schöne Spur der Verwüstung, die nur von Orks und Warge stammte. Seitdem die Jagd begonnen hatte, herrschte großes Getümmel im Düsterwald und aus dem Gebirge waren mehr Orks gekommen, als wir vermutet hatten. Die Menschenvölker im mittleren Bereich des Düsterwaldes hatten ebenso gute Arbeit geleistet und die Orks aufgescheucht. Sie hatten wieder einmal versucht, Dol Guldur zu belagern und im Schatten des Düsterwaldes Schutz zu finden. Der Süden des Waldes war für diese grässlichen, sonnenscheuen Kreaturen ein Paradies.
Die Spur allein war bereits ein gutes Indiz, dass hier eine kleine Orkarmee durchmarschiert war. Desgleichen schienen die Krieger des Palastes unerwartet mit ihnen Bekanntschaft gemacht zu haben. Wahrscheinlich hatten sich diese Orks nach Osten zum Palast vorgearbeitet und hatten gedacht, dass sie so unserer Konstellation durchbrechen könnten. Es schien ihnen nur zum Teil gelungen zu sein, da sich die Spur immer mehr nach Norden anstatt Osten zog.
»Wir scheinen ihre Kundschafter getötet zu haben«, dachte ich laut nach, »Die Orks, die sie losgeschickt haben, um zu sehen, ob der Süden frei ist.«
»Klingt plausibel«, antwortete Calen auf mein Selbstgespräch, »Dann hat es doch noch einen Vorteil, dass wir etwas hinter dem Heer liegen.«
»Und einen Nachteil«, sprach ich und entdeckte schwarze Pfeile in den Bäumen. Danach zog ich scharf die Luft ein, als ich einen weiteren toten Krieger entdeckte, den man eine Klinge ins Gesicht geschlagen hatte, als er vom Baum geflogen war.
»Yrch!« (Orks), zischte ich und sah mir die ganze Verwüstung an. Ich kam neben Sylfír zum Stehen, der ein kleiner Elb mit schwarzem Haar war. Seine Haare waren in der elbischen Art geflochten und seine braunen Augen musterten rotes Blut am Untergrund. Daneben war der Boden aufgewirbelt und es wirkte so, als ob auch hier ein Elb zu Boden gegangen wäre, die anderen ihm jedoch zur Hilfe geeilt waren. Die Blutspur und fünf Orkleichen verrieten, dass sie den Verwundeten gerettet hatten und weiter nach Norden geflohen waren. Fliehende Krieger konnte nur behaupten, dass die Orks den Elben um mindestens das Dreifache überlegen waren, und die Spuren im Boden verrieten die Anwesenheit von Warge.
Wahrscheinlich haben sich die Krieger die Warge vornehmen wollen und sind den Orks genau in die Arme gelaufen, was die vielen toten Warge erklärt, dachte ich und musterte alles ganz genau. In der Mitte meiner Gruppe stand ich da und spürte die Kühle des Düsterwaldes auf meinem Körper. Kein Wind wehte und meine Ohren vernahmen keine Kampfgeräusche. Jedoch musste ich eine Entscheidung treffen. Würde ich meinem eigentlichen Befehl von Faelandel folgen und zum Hauptheer vordringen, um weiter die östliche Flanke zu decken, oder würde ich diesen Spuren nachgehen? Hoffen, dass wir die Krieger fanden, die eine kleine Armee von Orks im Nacken hatten.
Kurz darauf kam ich zu einer Entscheidung, welche ich den anderen mitteilte. Die Krieger und die zwei Kriegerinnen sahen sich weiter das Schreckensbild an, doch als ich meine Stimme erhob, galt ihre Aufmerksamkeit mir: »Laut Bericht sind die Krieger ebenso in Gruppen von dreißig Elben unterwegs und hier sind«, ich machte eine Pause und zählte, »mindestens fünf tote Elben, was fünfundzwanzig macht, mit vielen Verwundeten, wenn ich alles richtig sehe?«
»Hier sind noch zwei Tote!«, rief Filavandrel, der einen Kreis gegangen war und ich presste meine Lippen aufeinander.
»Gut«, begann ich wieder, »wir wissen, dass die Orks mindestens über hundert sein müssen und sind das Spuren von einem Troll?«, fragte ich Sylfír, der immer noch am Boden hockte und nickte.
»Nan Belain!« (Bei den Valar!), stieß ich aus und atmete versucht ruhig weiter, »Es ist ganz einfach: Hier sind Krieger, die ohne unsere Hilfe sterben werden, und so werden die Orks einfach nach Norden vordringen und fliehen. Ebenso könnten sie dem Hauptheer von hinten auflauern, was fatal enden könnte, da die Orks Bogenschützen haben, viele.«
»Wir greifen also an?«, fragte Toruviel aufgeregt und ihre dunklen Augen funkelten.
»Wir haben aber einen Befehl, das Hauptheer nicht zu verlassen!«, warf Calen – die Stimme der Vernunft – ein.
»Faelandel kann mir ganz höflich den Hintern lecken«, erwiderte ich trocken, doch jeder wusste, wie Faelandel war, sodass niemand etwas sagte, sondern viele dumm grinsten.
»Was er gewiss liebend gern machen würde«, meinte Toruviel fies und sprach das aus, was sich alle dachten.
»Bitte, daran möchte ich nicht denken, doch wieder zum Ernst der Lage«, ich sah alle an, »Wenn wir diese Orks angreifen, könnten wir alle einen Kopf kürzer werden. Der Befehl Faelandels steht über dem meinen, also habt ihr die Wahl. Ich zwinge euch nicht, in den vermeintlichen Tod zu laufen.«
»Und über Faelandel stehen die Krieger des Palastes!«, warf Sylfír ein und schien die Orks verfolgen zu wollen.
»Brüder, welche unsere Hilfe brauchen!«, sprach Erlen und verschränkte die Arme vor seiner breiten Brust.
»Ich mein', es sind nur etwas über hundert Feinde, also bisschen mehr als drei Feinde für jeden?«, spottete Toruviel, doch Filavandrel meinte: »Und die aufgeschreckten Spinnen und vielleicht Warge mit eingerechnet.«
»Wobei, die Spinnen gewiss nicht auf der Seite der Orks sind«, widersprach die Schwarzhaarige und wieder sah man Blitze zwischen ihnen.
»Trotzdem werden sie uns ebenso attackieren!«, verlieh der blonde Elb seinen Worten Nachdruck.
»Also willst du zum Hauptheer?«, höhnte Toruviel.
»Dies habe ich nicht gesagt«, war die Antwort Filavandrels und folglich sah man die Lust zu kämpfen in seinen Augen aufblitzen, warum Toruviel zu grinsen anfing.
»Brav«, behandelte sie ihn wie ein Haustier und bevor sich die beiden umbrachten, erhob ich meine Stimme: »Die Orks anzugreifen, ist Befehlsverweigerung, dass es allen klar ist?«, ich blickte in die Gruppe Elben, aber alle schienen unbekümmert zu sein.
»Ich meine, wir sind schon im Osten. Ob wir jetzt die Flanke neben dem Hauptheer decken oder hier, darüber kann man streiten«, erwiderte Calen und so war die Stimme der Vernunft auf der Seite des Kampfes, sodass amüsiertes Raunen durch die Krieger ging.
»Dann machen wir uns an die Arbeit!«, meinte ich und unsere Verfolgung konnte beginnen.

Lithil - gwend en lóre | Legolas Ff ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt