24. Kapitel - Nimrodel

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Wir waren mehrere Stunden gewandert. Jetzt war es tiefe Nacht. Zwar standen viele Sterne am klaren Himmel, aber die dünne Sichel des abnehmenden Mondes würde erst später aufgehen.
Seit mehr als einer Stunde war ich ruhig geworden. Ich schlenderte neben den Hobbits her. Zu Anfangs hatte ich noch ein bisschen mit ihnen und Legolas gesprochen, doch als meine Wunde bei jedem meiner Schritte mehr angefangen hatte, zu brennen, hatte sie mir meine Stimme geraubt. Immer wieder strömten Wellen des Schmerzes durch meinen Körper, verdrängten all meine Gedanken. Gedanken an den heutigen Tag, da so viel passiert war. In der Früh waren wir noch in Moria gewesen, und nun waren wir draußen. Draußen nach einem Kampf gegen Orks und den Verlust von Gandalf. Draußen, erst seit einem halben Tag, trotzdem kam es mir wie eine Ewigkeit vor. Eine Ewigkeit, in der ich Schritt für Schritt weiter ging und allmählich spürte, wie meine Kräfte schwanden.
Ich kämpfte dagegen an, denn ich wollte keine Schwäche zeigen. Nie mehr wollte ich Schwäche zeigen; dies hatte ich mir vor einer langen Zeit geschworen.
Heute schien ich diesen Kampf zu verlieren.
»Lothlórien!«, rief Legolas von weiter vorne, da ich ihn weggeschickt hatte, weil er mich sonst zur Weißglut gebracht hätte, »Wir sind am Saum des Goldenen Waldes. Ach, dass es noch Winter ist!«
Ich sah hinauf zu den Bäumen. In der Tat würde es im Sommer, gar im Herbst wunderschön aussehen, doch so sahen die Bäume im Sternenschein grau aus.
Wie gebannt starrte ich auf jene, blendete die anderen komplett aus. Alles wurde ruhig und mein Herzschlag pochte in meinen Ohren. Schlag für Schlag. Meine Augen wurden immer schwerer.

Wenn ich sie doch nur einen Moment schließen könnte, ging es mir durch den Kopf, doch bemerkte leichten Schwindel, der mich meine Augen wieder aufreißen ließ. Vor Schreck, da ich nicht riskieren wollte, zu fallen.

Zu meiner Überraschung stand plötzlich Legolas vor mir, der von Aragorn und Boromir, die über irgendwas diskutierten, zu mir gekommen war. Er musterte mich intensiv. Zu meinem Pech schien er mir unter die Haut zu sehen, denn er kannte mich zu gut.
»Gib es endlich zu.«
Legolas legte seine rechte Hand sanft auf meine Schulter. Er befürchtete wahrscheinlich, dass ich vor Erschöpfung vor seinen Füßen landen würde.
»Was zugeben?«
»Nan Aear a Geil, Lithil!« (Bei dem Meer und bei den Sternen!), hisste er leise, doch niemand schenkte uns Beachtung, da sie dem Gespräch von Aragorn und Boromir zuhörten, wo ich nicht wusste, worum es ging.
»Okay, ich habe Schmerzen, zufrieden?«, ich sah Legolas an, der mir nahe und nicht zufrieden mit meiner Antwort war, »Ich bin müde und jeder Schritt gleicht einer Hürde.«
Ich hasste Legolas dafür, dass er mich dazu gebracht hatte, die Wahrheit zu sprechen. Was sollte ich an meiner Situation ändern können?
Ich war verletzt worden und konnte nicht rasten, da uns die Orks im Nacken saßen. Was würde es mir bringen, Legolas zu sagen, dass ich erschöpft war?
Nichts.
»War das jetzt so schwer, Lithil?«, mein Freund hob eine Braue besorgt und musterte mich. Seine zweite Hand legte er auf meine Wange.
Sie war angenehm warm und Legolas zwang mich, ihn anzusehen. Widerwillig blickte ich ihm in seine Augen, die etwas über meinen schwebten und eine Antwort erwarteten.
Aus irgendeinem Grund war ich in seinem Blick gefangen. Ich fühlte Wärme von tief in mir ausgehen, aber ignorierte sie. Schließlich hatte Legolas mich dazu gebracht, mir meine Schmerzen einzugestehen.
»Nein, es war nicht schwer. Nur etwas«, sagte ich unter Widerwillen, blickte weg.
»Geht doch.«
Anschließend meldete sich Aragorn zu Wort, der ansprach, dass wir einen Rastplatz und späteren Schlafplatz aufsuchen sollten. Ebendeswegen marschierten wir weiter, wobei ich Legolas' Gesellschaft dieses Mal schätzte und sein wachsames Auge akzeptierte.

Wir waren erst weniger als eine Meile in den Wald hineingegangen, als wir zu einem Bach kamen, der rasch von den Hängen herabfloss, die nach Westen zum Gebirge hin anstiegen.
»Dies ist die Nimrodel!«, sprach Legolas neben mir an die anderen gewandt, da ich den Fluss ebenfalls sofort erkannt hatte, »Viele Lieder dichteten die Waldelben einst über diesen Bach und wir im Norden singen sie noch immer, des Regenbogens über den Wasserfällen gedenkend und der goldenen Blüten, die auf dem Schaum schwammen. Dunkel ist nun alles und die Brücke über die Nimrodel abgebrochen. Ich schlage vor, die Füße in ihr zu baden, denn es heißt, ihr Wasser heile von der Müdigkeit.«
Der Elb stieg den kleinen Hang hinab und deutete mir, dass ich ihm folgen sollte. Das Wasser reichte ihm bis über die Knöchel. Ich sah ihn nur skeptisch an, die anderen unserer Fahrtgemeinschaft ebenso.
»Das Wasser ist nicht tief. Lasst uns hindurchwaten! Am anderen Ufer können wir rasten. Des Wasserfalls Rauschen wird uns Schlaf bringen und all Schmerz vergessen machen«, erklangen Legolas' überzeugenden Worte. Die Aussicht auf Rast ließ mich zu ihm ins Wasser steigen.
In der Tat genoss ich die Kälte und das Tosen in meinen Ohren, als ich im Wasser stand. Ich spürte die Kraft des Baches, hörte seine Geschichte, die lang war.
Auch die anderen gingen durch das Wasser, wobei den Hobbits das Nass bis unter die Knie reichte, und als alle am anderen Ufer angekommen waren, setzten wir uns hin, ruhten aus und aßen ein wenig. Legolas, der übrigens ein kleiner Fanatiker von Lórien war, erzählte den Gefährten darüber, so wie es wir Elben aus dem Düsterwald noch immer ins Herz geschlossen hatten. Ich jedoch hatte mich nach einer Mahlzeit hingelegt und benutzte Legolas' linken Oberschenkel als Kissen, da er den anderen Fuß an seinen Oberkörper angezogen hatte. Er erzählte vom Sonnen- und Sternenschein auf den Wiesen am Großen Strom, zur Zeit, als die Welt noch nicht grau war. Legolas' Stimme wurde immer ferner, bis er schwieg und die Musik des Wasserfalls seinen Redefluss stoppte.

Lithil - gwend en lóre | Legolas Ff ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt