Die Bogensehne schnalzte und der Pfeil traf die Zielscheibe. Er erzeugte ein dumpfes Geräusch und ich hörte sogar das Knacken des Holzes. Der Pfeil hatte präzise die Mitte getroffen.
Mein Blick fiel auf den Schützen. Legolas griff nach dem nächsten Pfeil in seinem Köcher und geschmeidig legte er den ihn auf die Sehne. Bis zum Kinn zog er, dann ließen seine Finger abermals los. Wieder schnalzte die Sehne und der zweite Pfeil spaltete den ersten.
»Angeber«, spottete ich und der Elb sah mich an. Ich erkannte eine erhobene Braue über seinem rechten Auge. Ein selbstsicheres Lächeln zierte seine Lippen.
»Damit kann ich leben.«, er zuckte mit seinen Schultern und wusste, dass man mich mit Akzeptanz am meisten bestrafen konnte. Ich mochte es nicht, wenn man meine Sticheleien ignorierte und folglich verschränkte ich trotzig meine Arme vor der Brust, die in eine warme Tunika gehüllt war.
»Wenn du als Angeber leben willst, nur zu«, setzte ich nach und auch der dritte Pfeil spaltete seinen Vorgänger, »und auch ruinierst du gerade deine Pfeile.«
»Neidisch?«, kam es zurück. Ich pustete Luft aus meiner Nase aus.
»Warum neidisch? Das, was du kannst, kann ich auch!«, sprach ich ziemlich überzeugt und den Elben von der Seite aus musternd, erkannte ich das auftauchende Grinsen auf seinen Lippen. Es war von der neckenden Art und Weise und leider liebte ich dieses Lächeln an ihm. Warum mein Kopf gerade dieses so anziehend finden musste, verstand ich nicht.
»Dann nur zu.«
Wieder wandte sich der Elb mir zu und ich stieß mich vom Baumstamm ab, ging auf ihn zu. Wir befanden uns heute auf unserem versteckten Übungsplatz und genossen unseren freien Tag. Es war bereits tiefer Herbst und bald würden die letzten Blätter von den Bäumen fallen. Nur ein paar Baumarten behielten ihre Blätter, trotzdem konnte man bereits in den Himmel hinaufsehen. Die dichten Baumkronen wirkten nun wie ein zerrissener Stück Stoff und offenbarten mir den Blick in einen bewölkten Himmel. Grau schwebten die Decke über unseren Köpfen hinweg und ein kühler Nordwind pfiff durch den Wald.
Ich nahm den Blick von meiner Umgebung, sah Legolas an. Dieser hielt mir seinen Bogen provokant entgegen und machte sogar eine kleine Verbeugung. Ich verengte meine Augen, nahm ihm diesen aus der Hand. Unsere Finger berührten sich und die aufkommende Wärme versuchte ich zu ignorieren. In diesem Moment musste ich mein Ego beweisen und nicht an Legolas denken. An seine sanften Berührungen und weiche Haut und-
Ich stoppte, zwang mich, fokussiert zu bleiben. Zum Glück half mir mein großes Ego dabei und im nächsten Augenblick lehnte ich mich nach vorne. Legolas missinterpretierte diese Geste wie beabsichtigt und als ich ihm näherkam, hätte ich meine Lippen auf seine legen können, tat ich nicht.
Eine Fingerbreite vor seinem Gesicht stoppte ich und blickte in seine Augen, dann griff meine rechte Hand nach einem Pfeil aus seinem Köcher am Rücken. Mit dem Pfeil in der Hand brachte ich wieder Abstand zwischen und zwinkerte neckend in seine Richtung. Ich sah noch, wie sich seine Augen verengten, doch dann drehte ich mich bereits um und legte mit der linken Hand den Pfeil auf die Sehne. Legolas' Bogen aus Lórien war so hergestellt worden, dass man ihn mit der linken sowie mit der rechten Hand halten könnte. Da meine Schwerthand die linke war, hielt ich den Bogen in der rechten, um in einem Kampf schnell mein Schwert ziehen zu können.
All dies war in dieser Situation jedoch nicht von Belang. Wichtig war die Zielscheibe und mit der Sehne an meinem Kinn visierte ich das Ende des Schaftes vom noch steckenden Pfeil an.
Folglich ließ ich die Sehne los und wie vorhergesagt, spaltete der Pfeil Legolas' dritten. Ohne Worte reichte mir Legolas von der Seite einen weiteren Pfeil und schritt von hinten an mich heran. Er stand rechts hinter mir und während ich den Pfeil auflegte, gedachte der Herr Elb nicht, sich wieder von mir zu entfernen.
»Nur zu«, meinte er und beugte sich nach unten zu mir, um mit meinen Augen auf gleicher Höhe zu sein. Ich versuchte, seine Nähe zu ignorieren, und spannte den Bogen. Ich spürte die Spannung in meinen Fingerspitzen und als ich den Pfeil in der Zielscheibe anvisierte, gerade die Sehne loslassen wollte, sog ich scharf Luft ein. Legolas drückte mir seine Lippen auf meinen Hals unter mein Ohr und der Pfeil bohrte sich eine Haaresbreite neben dem anderen Pfeil in die Scheibe. Ich spürte das Kribbeln auf meinem Hals und als es sich zu meiner Brust ausbreitete, schlug mein Herz schneller.
In dieser Situation schlug mein Herz auch aufgrund Wut schneller, da Legolas mich abgelenkt hatte, und als er realisierte, dass ich nicht getroffen hatte, entfernte er sich, sehr zu seinem Vorteil. Ich schlug nämlich mit meinen Ellenbogen nach hinten, wo noch vor kurzem sein Magen gewesen war, und traf ins Leere. Blitzschnell drehte ich mich darauf um und musste das widerlichste Grinsen bestaunen, das es in Mittelerde zu finden gab. Legolas grinste über beide Ohren hinweg. Dass er in Schwierigkeiten war, war ihm bewusst.
Ich warf den Bogen auf den mit Laub überzogenen Boden und als ich ihn einen Schubser geben wollte, fing er meine Hand auf. Nächster Fehler. Er hielt mein rechtes Handgelenk fest. Wir blickten uns entgegen.
»Das war unfair! Ich hätte getroffen!«, regte ich mich auf und in meinen Augen lauerte ein böses Funkeln.
»Hast du aber nicht und nichts im Leben ist fair«, kam es ruhig zurück, obwohl sein Grinsen alle Ernsthaftigkeit zunichte machte. Für meinen Teil machte mich dieses Grinsen noch rasender. Als er dies bemerkte, hörte er jedoch nicht auf. Er kannte mich zu gut und wusste, dass ich in den nächsten Sekunden mein Handgelenk befreien wollte.
Bevor ich mich seines Griffes entledigen konnte, wurde ich deswegen an ihn gezogen. Mein Kopf knallte gegen seine Brust und ich kam aus dem Gleichgewicht. Ich spürte, wie ich um meine Achse gedreht wurde, doch bevor ich seinen Fuß in meine Kniekehle bekam und vornüber auf den Boden flog, bekam er einen Tritt gegen seinen Oberschenkel. Weil er auf einem Bein stand, verlor nun er sein Gleichgewicht. Er machte einen Schritt nach hinten und da er mich immer noch festhielt, machte auch ich einen Satz nach hinten, donnerte abermals gegen ihn und zusammen flogen wir rücklings auf den Boden. Ich landete weicher als ein gewisser Herr Elb und hörte, wie ihm die Luft aus seiner Lunge entwich.
Schnell handelte ich. Ich nahm den Blick vom grauen Himmel in den Baumkronen und drehte mich um. Flott rappelte ich mich auf, saß auf Legolas. Noch bevor er realisieren konnte, was geschehen war, bekam er eine ordentliche Kitzelattacke zu spüren. Meine Finger kniffen in seine Seite und er wandte sich hin und her. Er fing zu lachen an und als ich seine Achselhöhlen erreichte, wurde ihm leider bewusst, dass er um einiges stärker als ich war. Er packte mich um meine Taille, drückte ebenso zu, sodass ich aufquietschte und ein Zischen meine Kehle verließ.
Blitzschnell richtete sich Legolas auf und ich spürte in meinem Rücken den Waldboden. Ich versuchte noch, mich zu wehren, doch den Schlag mit meinem Knie in seinen Bauch ignorierte er. Anschließend war mein Urteil besiegelt.
Seine Kitzelattacke war um einiges schlimmer als die meine zuvor und ich wandte mich hin und her. Ich lachte mir die Seele aus dem Leib und als ich wieder nach ihm treten wollte, setzte er sich auf meine Füße und meine Hände landeten über meinem Kopf. Ich spürte die Feuchtigkeit des Waldbodens in meine Kleidung sickern, doch in diesem Moment hatte ich andere Sorgen. Mein Lachen klang irgendwann nicht mehr gesund und langsam verzweifelte ich. Um Gnade flehte ich nicht, dafür war ich zu stolz.
Ich nahm zum letzten Mal all meine Kraft zusammen und befreite meine Hände. In einem echten Kampf hätte ich keine Scheu gehabt, Legolas in sein Gesicht zu schlagen. Mich ohne Gewalt aus meiner Lage zu befreien, schien mir unmöglich, doch ich schaffte es zumindest, ihn seitlich von mir zu schubsen. Und wenn ich intelligent gewesen wäre, hätte ich so wieder Abstand zwischen uns bringen können. Da ich aber immer nach meinem Ego ging, warf ich mich auf Legolas, aber ohne ihn zu kitzeln. Ich sah ihm in seine blauen Augen, sprach etwas außer Atem: »Wenn ich jetzt einen Dolch gehabt hätte, wärst du nun tot.«
»Und wenn ich einen gehabt hätte, wärst du schon vorher gestorben.«
»Ja, genau, weil du das jetzt alles wissen kannst, nicht? So ein glorreicher Elbenkrieger«, spottete ich und beugte mich zu ihm nach unten. Unsere Gesichter waren minimal voneinander entfernt, aber anstatt ihn zu küssen, fuhr ich mit meiner Zunge über seine Wange.
»Waah, Lithil!«, kam es wie zu erwarten und ich wurde von ihm geworfen. Ich landete neben ihm am Boden und musste lachen. Gewiss gab es Besseres, als meine Zunge auf seiner Wange zu spüren.
Während ich lachte und Legolas sich über seine Wange fuhr, starrten wir beide schnell atmend nach oben. Es wurde ruhig und ich spürte wieder den leichten Wind. Nach dem Kalender ging es auf November zu und ich erinnerte mich an unser heutiges Vorhaben.
»Wenn wir noch anständig aussehen wollen und nicht mit Dreck übersät, sollten wir vielleicht zurück in den Palast gehen, oder?«, ließ ich meine Stimme klingen, brach das Schweigen zwischen uns.
»Wahre Worte, wenigstens einmal«, sagte Legolas und ich sah, wie er sich aufsetzte. Auf seinem Hinterkopf entdeckte ich ein paar Blätter und seine Kleidung präsentierte schönen Matsch. Auch ich setzte mich auf und auf meinen Knien ging ich zum Elben und umarmte ihn von hinten. Ich legte meinen Kopf auf seinen und er fragte belustigt: »Na, hast du deine Wut vergessen?«
»Ach, sei still«, gab ich zurück und er lachte.
Abermals wurde es still. Eine Zeit verweilten wir so. Ich spürte die angenehme Wärme von seinem Rücken ausgehend und musste daran denken, dass in wenigen Stunden alle Leiter der Jäger- und Grenzposten in den Palast einberufen waren. In letzter Zeit hatte König Thranduil den Kontakt zu Lórien aufgenommen und über vieles gesprochen. Der nördliche Düsterwald würde an uns Waldelben übergehen und die Mitte an die Menschen. Den Süden würde sich Lothlórien nehmen und aus diesem Anlass hatten wir auch erfahren, dass zur Jahreswende die Herrin des Goldenen Waldes mit den anderen Ringträgern Mittelerdes gen Westen segeln würde. König Thranduil hatte Legolas davon erzählt, und so wusste nun auch ich davon. Anderen zu sagen, dass die größten Elben Mittelerdes bald in die Westlande segelten, taten wir nicht. Es fühlte sich unwirklich an.
In diesem Moment saßen wir hier im Düsterwald und das Waldreich würde in der nächsten Woche eine letzte Reinigung des Waldes durchführen. Wir benutzten dafür den Herbst, um im Winter und folglich im Frühjahr die ersten Veränderungen im Düsterwald, bald wieder Grünwald, vorzunehmen. Aus diesem Grund kamen die Leiter der Jäger- und Grenzposten, um über ihre letzten Sichtungen von Schattenkreaturen zu sprechen. Nächste Woche würden die Krieger ausschreiten und eine Säuberung des Waldes durchführen. Ob diese mit dem Umfang der Großen Jagd zu vergleichen sein würde, konnte nur die Zukunft sagen.
»Es ist eigenartig«, begann ich, legte mein Kinn auf Legolas' Schulter, »Hier sind wir im Waldlandreich und schon bald werden viele des Elbenvolks gen Westen segeln.«
»Zwar mag die Ära der großen Elben langsam enden, doch das Vierte Zeitalter wird gleichzeitig der Beginn einer neuen Ära der jungen Elben«, antwortete Legolas und streichelte meinen Handrücken auf seiner Brust.
»Wenn alles gut läuft, gibt es in Zukunft ein weiteres Elbenreich in Ithilien und auch unsere Heimat wird eine Zeit des Lichts erleben«, sprach er weiter, »Alles nimmt seinen Lauf und wir machen das Beste daraus. Jetzt sollten wir jedoch gehen.«
»Warum? Magst du nicht länger am feuchten Waldboden sitzen?«, witzelte ich, stand aber auf. Auch Legolas kam auf seine Beine. Zusammen machten wir uns auf den Weg zurück in den Palast, wo ich mich erstmal umzog und mich auf die Besprechung mit den Leitern am Nachmittag vorbereitete.
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Lithil - gwend en lóre | Legolas Ff ✔
FanfictionKennt ihr das Gefühl, als ob die Welt plötzlich ins Wanken gerät und das Schicksal mit uns sein tägliches Spiel treibt? Die fein austarierte Balance, die bislang unser Leben im Gleichgewicht hielt, ist erschüttert. Auf einem schmalen Grat balancier...