*90. Kapitel - Als sich die Kriegerin erhob

320 26 16
                                    

550 Jahre zuvor:

Nachdem die letzten Krieger bereit waren, den Aufbruch zum Palast anzustreben, gab ich meinen Kriegern in den Bäumen das Signal, dass wir aufbrachen. Ein Pfeifen drang in die Baumkronen und von Calen bekam ich die Antwort, dass sie ebenso bereit waren. Als Gruppe von etwas mehr als fünfzig Elben strebten wir folglich den Palast an, wobei wir nicht flott vorankamen. Die Verletzten hatten sich bei ihrer Flucht durch den Düsterwald verausgabt und zwei von ihnen sahen schlimm aus. Lorindel und ein weiterer Krieger, dessen Namen ich nicht kannte, konnten nicht mehr laufen und wurden von zwei Kriegern gestützt. Lorindel hatte eine Wunde am Bein und dem anderen Elben quoll Blut aus dem Oberschenkel hervor. Es grenzte an ein Wunder, dass sie diese Hetzjagd überlebt hatten und nicht schon beim ersten Zusammenstoß mit den Orks gestorben waren.
Jetzt ließen wir die Leichen dieser grässlichen Kreaturen zurück und strebten den Palast an. Die Krieger hatten sich, so weit wie es ihnen möglich gewesen war, nach Osten zum Palast vorgearbeitet, doch immer noch trennte uns eine Meile von der äußeren nördlichen Mauer Thranduils Königreich. Ich wollte die Verwundeten jedoch so schnell wie möglich in Sicherheit bringen und keinen weiteren Angriff von Feinden riskieren, weswegen ich ein scharfes Tempo vorlegte. Immer noch mussten wir uns am Boden fortbewegen und meinen waldelbischen Instinkten gefiel dies sonderlich gut, sarkastisch gut. Es war unnatürlich für uns Waldelben, auf dem Boden zu gehen, und von hier unten wirkten die sonst so Schutz spendenden Bäume bedrohlich und kalt. Ihre graubraunen Stämme waren zum Teil sehr dick und die vielen Äste, Ranken und sonstiges vergönnten es mir, in die Baumkronen zu blicken.
Ich ging neben Legolas und Fëanor an der Front, wobei ich Filavandrel und Erle nach vorne geschickt hatte, dass sie die besten Wege für die Verletzten ausfindig machten. Desto näher wir dem Palast kamen, desto besser wurden die Wege, doch indessen gab es noch den ein oder anderen holprigen Pfad, den die Verwundeten meistern mussten. Dass Legolas die Hilfe von anderen verweigerte, war mir schon von Anfang an klar gewesen, und deswegen ließ ich ihn nicht aus den Augen. Zu seinem Glück war sein Schnitt im Oberschenkel nicht allzu tief, sodass er gehen konnte, dennoch war er in diesem Moment ein stures Prinzchen. Welche Stärke und Ehre er bewahrte, indem er von allein ging, wusste ich nicht und vielleicht nicht einmal er selber.
Während ich ihn weiterhin musterte, umrundeten wir ein paar große Wurzeln und die Luft des Waldes roch modrig. Der Boden war jedoch fest und meine beiden Krieger hatten einen guten Weg ausgesucht. Auch die Elben in den Bäumen machten ihre Arbeit ausgezeichnet, da man ihre Schritte nur mit Elbenohren wahrnahm und auch nur schwach. Trotzdem machte ich mir eine kleine Notiz, dass ich mit ihnen wieder ein Schleichtraining machen müsste, und innerlich erfreute mich dieser Gedanke ziemlich. Ich hatte mir Fëanors Schleichtraining zu eigen gemacht und heute konnte ich sogar selbst den Spaß verstehen, dass man jemanden mit Kieselsteinen bewarf. Dass es bei mir jedoch keine Kieselsteine waren, sollte jedem klar sein und auch, dass mich meine Elben deswegen hassten. Dass mir dies egal war, war gleichermaßen klar, ebenso, dass sie mich nicht wirklich hassten. Sie waren kluge und gute Krieger und wussten, dass alles, was ich tat, einen Nutzen hatte. Durch all das funktionierten sie im Kampf gut und auch wenn ich ihnen in diesem Moment ansah, dass sie noch lange keine Krieger des Palastes waren, waren sie gut, wie sie waren. Im Vergleich zu den Kriegern des Palastes hatten sie noch nicht die Präsenz eines großen Kriegers vorzuweisen, doch das mussten sie auch noch nicht.
Trotz alledem schritten meine zehn Krieger stolz in den Reihen der Palastkrieger und gingen ihrer Aufgabe würdevoll nach. Wie stille, wandelnde Bäume eskortierten sie die Gruppe und schon bald näherten wir uns dem Palast. Wir hatten keine Pause eingelegt und als von den Bäumen meine restlichen Krieger, nach einem Pfiff von mir, auf dem Boden um uns herum landeten, lichtete sich der Wald vor uns. Im Norden in der Nähe des Waldes gab es um die äußeren Mauern keine Bäume, um herannahende Feinde kommen zu sehen.
Mit einer Vor- und Nachhut überwanden wir die letzten Schritte durch die lichtere Gegend des Düsterwaldes und mir entging Fëanors Blick nicht. Seine braungelben Augen musterten meine Elben, die in geordneten Reihen die Umgebung absicherten und fast keine Geräusche erzeugten. Ihre Gewänder passten sich perfekt an die Umgebung an und während ich weiterhin ein Auge auf Legolas hatte, der blass und zu still war, hob ich fragend eine Braue nach oben. Fëanor verstand meinen Blick und erklärte sich: »Ich habe zwar immer gewusst, dass du einmal eine ausgezeichnete Kriegerin wirst, doch eine so gute Führerin nicht«, seine Augen landeten auf mir, »Du warst früher zu hitzköpfig und stur, als dass ich dich als organisierte Kommandantin angesehen hätte. Jetzt scheint es mir, als ob sich neben mir eine richtige Kriegerin erhoben hätte.«
»Nun, die Worte schmeicheln sehr, doch eigentlich bin ich das noch immer«, antwortete ich, »Meine Gruppe und ich missachten gerade einen Befehl von unserem Oberbefehlshaber.«
Fëanors Kopf schnellte zu mir, doch ich zuckte nur mit meinen Schultern.
»Entweder das oder ihr alle wärt tot. Ich denke, dass man mir verzeihen kann, und vielleicht will jemand aus Dankbarkeit mit meinem Oberbefehlshaber sprechen?«, erklärte ich mich und ich sah in dem Gesicht des dunkelhaarigen Elben Einsicht über dieses huschen. Ich wusste natürlich, dass meiner Gruppe und mir nach dieser Rettung keine großen Konsequenzen drohten, mehr eine Ansage von Faelandel, die ich abbekommen würde. Da es aber nicht meine erste wäre, wüsste ich damit umzugehen. Gerade, als ich Legolas wieder einen besorgten Blick zuwarf, traten wir aus dem lichten Wald.
Zur aller Erleichterung trat die äußere Mauer in unsere Sicht und mit scharfen Elbenaugen schienen die Wächter zu erkennen, dass etwas nicht stimmte. Die Jagd war noch lange nicht vorbei und sofort schlugen die Elben auf der Mauer Alarm. Sie schienen erkannt zu haben, dass dies ein Transport von Verletzten war und schnell wurde das Tor geöffnet. Sofort kam mindestens ein Dutzend weitere Krieger aus dem Tor und sie alle schienen erkannt zu haben, dass es sich um die verletzte Einheit von ihrem Prinzen handelte. Ein Schreckensbild für die Elben, da viele verletzt waren und fast jeder hatte sich mit schwarzen Pfeilen geschmückt. Unter den sich nähernden Kriegern erkannte ich nur ein bekanntes Gesicht, und zwar das von Sionon. Im Gegensatz zu seinem Bruder Lorindel hatte er blonde Haare, war aber genauso groß.
Viele runde Augenpaare sah ich und als sie uns erreicht hatten, kamen wir erst nach der Mauer zu einem Halt. Einige der Verletzten ließen sich sofort auf dem Boden nieder und waren froh, dass sie den Marsch ohne Pause hinter sich hatten. Auch Legolas wollte sich setzten, wobei ich ihm half, da es unbeholfen war. Ich half ihm und er schien mit seinen Gedanken abwesend zu sein. Die vielen Fragen, der Hauptleute und Kommandanten der Mauer, beantwortete Fëanor anstelle des Prinzen.
»Es ist geschafft«, flüsterte ich Legolas gut zu und nickte, als ich seine gesunde Schulter drückte. Er hatte Schmerzen und es war bereits Blut durch den Verband gesickert, warum ich am liebsten scharf Luft eingesogen hätte.
»Dank dir, Lithil, haben wir es geschafft, nur dank dir und deiner Truppe«, sprach Legolas schwach und ich nickte leicht. An der Mauer herrschte Hektik und die Ersten organisierten sofort den Transport zum Lazarett. Meine Truppe hingegen hatte sich neben dem Tor versammelt und an Legolas gewandt erhob ich meine Stimme: »Und immer wieder würde ich dies tun, doch nun müsst ihr alle behandelt werden. Nach der Jagd werden sich sowieso alle im Palast sammeln, dann will ich dich in einem Bett und verarztet wiedersehen«, sagte ich und der blonde Elb wrang sich ein Lächeln ab, das durch seinen Schmerzensausdruck eher einer Grimasse gleichkam. Danach stand ich auf und schritt an meine Gruppe heran.
»Dorfír!«, rief ich und ein Elb, mit dunkelblonden Haaren und Pfeil in der Schulter, Nähe Brust trat hervor, »Du wirst hierbleiben und deine Schulter verarzten lassen. Wir anderen schließen uns wieder der Jagd an.«
»Ich kann immer noch kämpfen!«, widersprach der Elb, doch ich hob bloß beide Brauen.
»Möchtest du für mich beide Arme heben und mir deine Worte beweisen?«, fragte ich lieb und ich erkannte, dass ein grimmiger Ausdruck über sein Gesicht huschte. Die Krieger meiner Truppe waren amüsiert, dann setzte ich fort: »Ich sehe es vor, dass ich keinen aus meiner Gruppe durch Dummheit sterben lasse, also bleibst du hier«, ich machte eine ausschweifende Handbewegung, »Die Jagd ist für dich vorbei, doch du musst kein Trübsal blasen, du hast tapfer gekämpft und Lob verdient«, endete ich und der Elb schien Einsicht zu erlangen. Er ging zu den anderen und als ich mit meiner Truppe wieder durchs Tor schreiten wollte, hörte ich eine Stimme: »Wir schließen uns euch an«, sagte Jeshe bestimmt und neben ihm standen die unverletzten Krieger. Ich musterte die stolzen Männer, die alle gewillt waren, weiterzukämpfen, und ein Glitzern war in meinen Augen zu sehen, als mir ein Gedanke in den Sinn kam.
»Unter meinem Befehl?«, fragte ich dreist, obwohl es keine Frage war, mehr eine Bedingung. Die Krieger könnten sich meiner Truppe gerne anschließen, doch dann hätte ich das Sagen. Als Jeshe und den anderen das klar wurde, ging ein leises Raunen durch die Reihen der Elben. Normalerweise hätte man es nicht gewagt, sich als Kommandantin der Grenzen über einen Kommandanten des Palastes zu stellen, doch da ich bekannterweise nicht normal war, hatte ich es getan. Meine Worte sorgten für Anspannung in meiner Truppe, obwohl sie wussten, dass ich manchmal Unerwartetes tat. Auch in Legolas' und Fëanors Augen konnte ich erkennen, dass sie mir diese Frage nicht zugetraut hätten. Jedoch schienen Jeshe und auch die Krieger um ihn herum ernsthaft über meine Worte, Bedingung, nachzudenken und wahrscheinlich ging ihnen in diesem Moment durch den Kopf, wie gut meine Truppe gekämpft hatte, mit welcher Harmonie, die sogar manch großen Kriegern fehlte. Meine Frage schien berechtigt zu sein und als Jeshe seine Antwort sprach, ging erneutes Raunen durch die Anwesenden: »Ja, unter deinem Befehl.«
Dieses Raunen und Erstaunen der anderen war berechtigt, da sich noch kein Krieger eines hohen Postens jemand niedrigeres untergeordnet hatte und auch hatte sich noch kein Krieger des Palastes einer Elbin untergeordnet. Frauen waren im Palast nicht vertreten, zumindest noch nicht und für mich hieß das nur, dass die Krieger nun zum ersten Mal erleben dürften, wie sich das anfühlte.
Demnach tauchte auch ein Grinsen auf meinen Lippen auf, als ich sprach: »Dann lasst uns aufbrechen.«, ich neigte höflich meinen Kopf, wobei mein Grinsen ein Symbol dieses Triumphs war, anschließend deutete ich, dass wir losgingen, und als wir uns in geordneten Reihen wieder dem Wald näherten, spürte ich die Blicke der anderen Krieger auf mir. Mir war bewusst, dass ich Eindruck hinterlassen hatte, und mein Ego erfreute sich. Wie Fëanor angedeutet hatte; eine Kriegerin erhob sich und diese Kriegerin war ich.

Lithil - gwend en lóre | Legolas Ff ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt