Die massive Tür meines Gemachs fiel hinter mir ins Schloss und erzeugte ein klickendes Geräusch. Kurz verweilte ich im leeren Flur, ließ meinen Gedanken freien Lauf. Heute war der Tag gekommen und in der Dämmerung würden die Gefährten mit nur wenig Kriegsgerät aufbrechen. Wir setzten die Hoffnung auf Heimlichkeit, nicht auf Kampfkraft.
Die Kundschafter, die Elrond ausgesandt hatte, waren zurückgekehrt. Manche waren nach Norden gegangen, bis über die Quellen des Weißquells hinaus in die Ettenöden; andere hatten im Westen, mit Aragorns und der Waldläufer Hilfe, die fernen Lande am Unterlauf der Grauflut durchstreift, bis nach Tharbad. Tharbad war eine Ruinenstadt, bei der die Nordstraße den Fluss überquerte. Viele waren nach Osten und Süden gegangen, manche gar übers Gebirge in den Düsterwald, andere über den Pass an der Quelle des Schwertelflusses und durch seine Wälder, bis zu Radagasts alter Heimstatt in Rhosgobel. Doch Radagast den Braunen hatten sie nicht angetroffen.
Als Letztes waren Elronds Söhne heimgekehrt, Elladan und Elrohir. Die beiden hatten einen weiten Weg zurückgelegt, den Silberlauf hinunter bis in ein fremdes Land, doch was sie dort verrichtet hatten, sagten sie niemandem außer Elrond. In all diesen Gegenden hatten die Kundschafter von den Schwarzen Reitern oder anderen Dienern des Feindes nichts gesehen oder gehört. Selbst die Adler des Nebelgebirges hatten keine Botschaft für sie gehabt. Gar schien es so, als ob die Nazgûl aus dem Norden gänzlich verschwunden wären. Wir konnten nur hoffen, dass sie in ihrer gestaltlosen Nichtigkeit zu ihrem Herrn und Meister in Mordor zurückgekehrt waren. Wenn sie unsere Spur wieder aufnehmen sollten, dann müssten sie zuerst nach Bruchtal zurückkommen, doch leicht zu finden würden wir nicht sein.Ich erwachte aus meinen Gedanken, als eine Dienerin mich fragte, ob ich Hilfe benötigte, doch dankend lehnte ich ab. So straffte ich meine Schultern und schaute an mir hinunter. Ich trug wieder meine Kampfkleidung, die aus einer grünen Tunika mit Lederkorsett samt Gürtel für meine Waffen bestand. Unter meinen Waffen verstand sich natürlich mein Bogen, meine Messer, zwei Dolche und mein Kurzschwert. Ich trug wieder meine Tasche und von Imladris hatten wir Mäntel bekommen.
Folglich ging ich den Flur entlang. Mein Kurzschwert schwang mit meinen Schritten im Gleichklang hin und her. Froh darüber, endlich wieder meine Waffen tragen zu dürfen, schlenderte ich voran. Meine Beine wurden von einer Hose verborgen. Ein Lächeln bildete sich auf meinen Lippen, wenn ich nur daran dachte, denn Hosen waren wunderbar.
Meine in eine Hose gekleideten Beine bewegten sich. Ich schritt durch ein paar Gänge. Mein nun ehemaliges Gemach befand sich auf der zweiten Ebene und im nächsten Moment erreichte ich eine Treppe. Ich ging sie hinab, musste immer noch die Malerei an den Wänden bestaunen. Von Blumenmustern bis hin zu bekannten Geschichten war alles abgebildet und gab die künstlerische Ader des Elbenvolks wieder.
Auf meinen Weg nach unten begegnete ich keinen Elben. Nur ich schien mich im Gebäude zu befinden. Unten angekommen, beschloss ich, an die frische Luft zu gehen und betrat die Gärten Bruchtals. Auf meinem Weg dorthin entdeckte ich die ersten des Elbenvolkes. Ich schlenderte ein paar Pfade entlang und schien Eindruck zu hinterlassen. Für eine Elbin war ich groß, überragte sogar viele Männer meines Volkes.
Mit meinen Waffen bekam ich eine Mischung aus allerlei Blicken von den Elben Imladris'. Ein Großteil von ihnen war erstaunt und ich führte dies auf meine Erscheinung zurück. Viele hatten selten, gar noch nie, eine Elbin in Kampfausrüstung durch die Heimat Elronds schlendern sehen. Viel Beachtung schenkte ich diesen Blicken jedoch nicht.
Ich griff nach meinem langen geflochtenen Zopf, legte ihn mir über die Schulter. Ich hatte ihn von der Kopfhaut ausgehend geflochten und meine Haare reichten mir bis zu meinem Bauchnabel.
Die kühle Winterluft erfrischte mich. Die Sonne stand tief. Blutrot leuchtete der Himmel im Westen und die Schatten wurden immer länger. Bald würde die Reise ins Ungewisse beginnen, welche unser aller Schicksal beeinflussen würde. Mein Blick erfasste die ganze Schönheit, trotzdem erschien sie wie eine Fassade.Kann Schönheit die Finsternis vertreiben, oder doch nur Licht?
Ich blieb eine Weile auf einer Brücke stehen und beobachtete die Fische. Sie schwammen gegen die Strömung an, bewegten sich nicht vom Fleck. Mit schnellen Flossenbewegungen schienen sie im Wasser zu schweben, und ich fragte mich, ob sich die Fische überhaupt im Klaren waren, dass sie nicht vorankamen. Wussten sie, dass sie sich nicht fortbewegten, oder täuschte sie die Strömung? Machten sie sich überhaupt Gedanken über die Zukunft und machten wir höheren Lebewesen uns zu viele? War es unnütz, überhaupt über die Reise nach Osten nachzudenken; hatte das Schicksal bereits ihren Ausgang ins Buch des Lebens geschrieben? Gab es das Schicksal überhaupt?
»Die Natur hat keine Ahnung von den zukünftigen Zeiten, und doch ahnen es ihre Bewohner. In den letzten Monaten sind die Wälder immer ruhiger geworden und viele Vögel trauen sich nicht mehr, hoch in die Lüfte zu fliegen. Selbst die Bäume erscheinen mir weniger gesprächig.«
Ich erschrak, blickte zur Seite und konnte Mithrandir neben mir ausmachen. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass der graue Zauberer neben mich getreten war. Sein Blick war abwesend in die Ferne gerichtet und ich war mir sicher, dass er mehr als ich wahrzunehmen vermochte, obwohl meine Elbenaugen bis fern in die Berge blicken konnten. Seine Worte hatten jedoch meine vorherigen Gedanken zum Teil beantwortet; die Tiere müssten nicht wissen, was Zukunft bedeutete, um Veränderungen wahrzunehmen.
Gandalf lehnte auf seinem Stab. Das letzte Mal hatte ich ihn im Düsterwald gesehen, als er mit Gollum gesprochen hatte. Ich blickte in seine Augen, die wie zwei Kohlestücke glühten – ein Sturm aus Feuer. Die völlige Macht des alten Zauberers konnte ich mir nur vorstellen, denn wer diese zu fühlen bekommen hatte, konnte wohl nicht mehr darüber berichten.
Gandalf räusperte sich und wandte sich nun an mich, waren seine letzten Worte bloß wie ein Gedanke erschienen: »Halbelbin Lithil, das Schicksal ist vorherbestimmt, sich zu wenden. Heute Abend beginnt der Weg und ich bin mir gewiss, dass dieser Kampf gewonnen werden kann. Nichtsdestotrotz sollten wir uns nun in die Halle begeben, denn Worte des Abschiedes müssen gewechselt werden.«
Verblüfft sah ich gen Himmel. Mir wurde nun bewusst, dass Gandalf der Graue gekommen war, um mich zu holen. Hatte ich doch glatt die Zeit vergessen, denn die Sonne würde bald die Abenddämmerung ankündigen.
»Hannon le, Mithrandir. Ohne Euch würde ich hier noch immer verweilen« (Vielen Dank), sprach ich mit einer ehrlichen Dankbarkeit in der Stimme.
»Nichts zu danken gibt es, denn ich selbst war gerade auf dem Weg in die Halle. Ich kenne dies jedoch gut. Oft erwische ich mich, wie ich stundenlang in die Ferne blicke, doch kommt nun.«
Zusammen begaben der Zauberer und ich uns in die Halle.
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Lithil - gwend en lóre | Legolas Ff ✔
Fiksi PenggemarKennt ihr das Gefühl, als ob die Welt plötzlich ins Wanken gerät und das Schicksal mit uns sein tägliches Spiel treibt? Die fein austarierte Balance, die bislang unser Leben im Gleichgewicht hielt, ist erschüttert. Auf einem schmalen Grat balancier...