31. Kapitel - Eine Stunde

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Der nächste Tag kam. Die Sonne ging im Osten auf, wo dichte, dunkle Wolken hingen. Sie erschien wie ein roter Feuerball, der von Rauch umgeben war, doch als die Sonne von Rot zu Weiß wechselte, wurde der Tag weniger furchterregend.
Ich streckte mich ausgiebig, atmete die frische Morgenluft ein. Über uns kreisten Vögel und die gefiederten Tierchen sangen das Lied des Morgens. Ich lag in meinem Schlafplatz, war sogar von ganz allein wach geworden, was leicht gewesen war. Denn nicht atmeten Zwerge nur laut, nein, auch lachten sie laut.
Nachdem ich mich aufgesetzt hatte, ging mein Blick zu Gimli. Der Zwerg stand neben Legolas und die beiden schienen aufgrund etwas, für das es viel zu früh war, erheitert zu sein. Gimli hielt sich seinen Bauch, lachte ausgiebig, wobei er sich mit seiner flachen Hand gegen den Oberschenkel schlug.
Ich auf meiner Seite war überaus dankbar für diesen Wecker, also eine sarkastische Dankbarkeit. Ich fuhr mir über mein Gesicht, um an etwas anderes zu denken, als den Zwerg erwürgen zu wollen.
Im Anschluss darauf löste ich den Zopf, der meine Haare zusammenhielt, und fischte aus meiner Tasche einen Holzkamm heraus. Der Kamm hatte viele Verzierungen, sah demnach viel zu schön aus, um ihn auf eine solche Reise mitzunehmen. Ebendeswegen war er auch das Einzige gewesen, was ich aus meinem Gemach im Düsterwald mitgenommen hatte.
Ich dachte nicht mehr über den Kamm nach, sondern benutze ihn, musterte die anderen Gefährten: Aragorn redete mit Sam und Frodo; Merry und Pippin schienen gerade, so wie ich, wach zu werden; Legolas und Gimli hatten sich wieder beruhigt. Der Einzige, der meine Aufmerksamkeit erregte, war Boromir, denn dieser saß ganz allein neben seinem Schlafplatz. Sein Blick ging Richtung Aragorn und den zwei Hobbits.
Natürlich war dies allein nicht seltsam, wenn sein Blick nicht nur auf Frodo gelegen hätte. Boromirs Augen lagen schon fast lauernd auf dem Hobbit. Etwas Dunkles glitzerte kurz in jenen auf. So kurz, dass es im nächsten Moment so aussah, als ob alles wieder normal wäre. Normal, trotzdem brachte es mich zum Schmunzeln.
Zwar hatte ich dem Menschen nie reichlich Beachtung geschenkt, da er für mich wie alle seiner Art war. Zu stolz und eingebildet, und zwar eine Einbildung, die auf einem viel zu kurzen Leben beruhte. Dermaßen kurz, weshalb Boromir für mich erst ein Kind war, und doch schien sich etwas in ihm verändert zu haben.
Als ich zurückdachte, fiel mir aber nicht viel ein, womit man den Menschen belasten könnte. Ja, er hatte ein paar unangebrachte Dinge gesagt, auch hatte er Frodo immerzu im Auge gehabt, jedoch waren diese Vorfälle nie von Bedeutung gewesen.

Nun, bis zu diesem Blick, den ich gerade gesehen habe...

Ein Blick, der bereits Vergangenheit war, denn im nächsten Moment stand der Mensch auf und gesellte sich zu Aragorn. Sie fingen zu plaudern an, alles war beim Alten. Trotzdem entschied ich, dass ich Boromir im Auge behalten würde, was nach diesem Tag aber sowieso irrelevant sein könnte. Heute würden wir entscheiden, welchen Weg wir gingen, und wenn Frodo direkt nach Süden gehen wollte, dann würde Boromir in seine Heimat zurückkehren.
Ich warf meine Gedanken beiseite und war in diesem Augenblick mit meinen Haaren fertig geworden, die indessen offen und hinter meinen Ohren geflochten waren. Ich erhob mich, dehnte meinen Rücken ordentlich durch. Die Sonne hatte die Wolken vertrieben. Nach diesem Blick in den Himmel schritt ich zu Legolas und Gimli herüber.
»Morgen!«, rief Legolas aus, als ich bei ihm angekommen war, doch mein Gesicht war noch nicht dazu bereit, Regungen zu zeigen, warum ich nur leicht nickte.
»Ein lauter Morgen. Gimli.«, mein Blick schnellte zum Zwerg hinunter, der mich unschuldig ansah. Legolas hingegen grinste und klärte Gimli auf, während ich mich zu Aragorn und den anderen gesellte. Es sah so aus, als ob sie gerade frühstückten. Dies hellte meine Stimmung auf.

Nachdem wir eine kleine Mahlzeit zu uns genommen hatten, rief uns Aragorn zu sich.
»Der Tag ist gekommen«, sagte er, »wo wir die Entscheidung treffen müssen, die wir so lange aufgeschoben haben. Wie soll die Fahrt weitergehen, nachdem wir uns so weit gemeinsam durchgeschlagen haben? Sollen wir mit Boromir nach Westen gehen und in die Kriege um Gondor ziehen? Oder nach Osten, dem Schrecken und Schatten entgegen? Oder sollen wir die Fahrtgemeinschaft auflösen und jeder geht nach eigenem Ermessen hierhin oder dorthin? Was wir auch tun, wir müssen es bald tun. Wir können nicht lange hierbleiben. Der Feind ist auf dem östlichen Ufer, so viel wir wissen. Ich befürchte aber, dass die Orks auch schon auf diesem Ufer sein könnten.«
Der Mensch hatte das Offensichtliche erklärt, doch alle schwiegen. Jeder sah mehr oder weniger Frodo an, denn seine Worte hatten großes Gewicht.
»Nun, Frodo«, redete Aragorn schließlich, »Ich fürchte, die schwerste Last ist dir auferlegt. Du bist der vom Rat ernannte Ringträger. Welchen Weg du selbst nehmen willst, kannst nur du entscheiden. Dazu kann ich dir keinen Rat geben. Ich bin nicht Gandalf und obgleich ich versucht habe, seinen Platz auszufüllen, weiß ich nicht, welche Absicht oder Hoffnung, wenn überhaupt eine, er für diese Stunde hegte. Am wahrscheinlichsten ist, dass die Entscheidung, auch wenn er jetzt hier wäre, dennoch bei dir läge. Dies ist nun 'mal dein Schicksal.«
Der Ringträger schien noch keine Antwort zu haben und wollte eine Stunde für sich allein nachdenken. Eine Stunde, die ihm gewährt wurde, darauf hieß es warten.

Lithil - gwend en lóre | Legolas Ff ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt