Kapitel 72

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Harry POV

Ich gab ihm die Zeit, ließ ihn wieder zur Ruhe kommen. Beobachtete ganz genau, wie die Anspannung weniger wurde, seine Atmung sich beruhigt hatte.

"Kannst du weitererzählen?", fragte ich sanft, als ich sicher war, dass er wieder vollkommen Herr seiner Sinne war und die Kontrolle über sich zurück hatte. Auf keinen Fall wollte ich, dass er sich erneut in einer Situation wiederfand, in dem er erneut einen Kontrollverlust erlebte.

"Ja.", er nickte, sah zu dem Glas und ich füllte es erneut, reichte es ihm und er trank es in einem Schwung aus.

"Ich, ich lag da. An den Armen gefesselt. Mit Seilen, die bereits bei der kleinsten Bewegung einschnitten.", er sah zum Fenster, schien bemüht, sich zu fokussieren.

"Ich habe ihn gefragt, was der Blödsinn soll, erst noch recht selbstbewusst, weil ich vielleicht an einen Scherz glaubte, doch als er dann nur bösartig lachte und sagte....", er schlug sich die Hände vors Gesicht, verstummte ein weiteres Mal.

"Ist schon gut. Schon gut.", der Wunsch ihn zu halten wurde fast übermächtig und ich erschrak, als er plötzlich hochsah und genau das von mir forderte. "Kannst du, kannst du mich festhalten?"

"Natürlich!", mir schossen in dem Moment die Tränen in die Augen, als ich meine Arme um ihn schloss, seinen Kopf an meinen Hals drückte. Es war komisch, eben weil er körperlich größer und stärker war als ich, aber ich war unendlich dankbar, dass er sein Bedürfnis, was er verspürte jetzt auch zuließ.

"Es ist alles gut. Du hast heute einen riesigen Schritt voran gemacht. Ich bin so dankbar, dass du dich mir anvertraust.", murmelte ich, während ich ganz sanft meine Hand durch sein Haar gleiten ließ.

"Ich denke das wir es damit heute bewenden lassen, du dich jetzt gleich ein wenig ausruhst. Ich weiß, wie anstrengend das ist.", in dem Moment, als ich das sagte löste er sich, schüttelte heftig den Kopf.

"Nein!", kam es so energisch, dass ich ihn mit großen Augen ansah. "Nein, ich will das nicht noch einmal anfangen müssen. Nein."

Ich lächelte, erkannte da meinen Jakob wieder. Den Kämpfer, der der alles dafür tun würde, dass es anderen gut ging und der bisher jede Situation gemeistert hatte.

"Wenn du es so möchtest, natürlich.", ich sah ihm in die Augen, erkannte immer noch die Angst in ihnen, aber als er nach meinen Händen griff, sie drückte, wusste ich, dass wir hier gerade wirklich den richtigen Weg bestritten.

XXX

Jakob hatte dann erneut zu erzählen begonnen und für mich war das was dann kam kaum erträglich. Mir diesen starken Mann vor mir in einer solchen Situation vorzustellen war der pure Horror und ich riss mich zusammen, um ihm nicht genau das zu zeigen.

Als er damit endete, dass Tom ihn befreit hatte, dieser ihn hielt und tröstete, tat ich genau das mit Jakob. Wieder hatte ich ihn umfangen, streichelte ihn am Kopf, sprach ihm ruhige Worte zu, die ihn nach und nach erneut zur Ruhe brachten.

"Wie geht es dir jetzt?", fragte ich vorsichtig, nachdem sein ganzer Körper Entspannung signalisierte. 

"Besser.", kam es und er löste sich wieder aus meiner Umarmung, wischte sich die Feuchte von den Wangen. "Es ist, es fühlt sich befreiend an.", ich sah, dass sein einer Mundwinkel fast zu einem Lächeln nach oben zuckte und ich nickte.

"Das ist, was ich erreichen wollte. Genau das, Jakob.", ich nickte ihm zu. "Ab jetzt wird es einfacher. Es wird immer wieder dazu kommen, dass dich die Erinnerungen in nächster Zeit heimsuchen werden, einzelne Szenen. Du wirst immer wieder Anflüge von Angst bekommen, bei Berührungen oder sie auch erstmal wieder gar nicht zulassen wollen, aber das ist normal und das werden wir nach und nach auflösen, wenn du uns lässt."

Extraordinary Ways - LS 5. Teil der HeptalogieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt