Bittere Wahrheit

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„ Ich wurde vergewaltigt." Tims Augen weiteten sich und ihm klappten der Kiefer auf. Nein das war nicht passiert. Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Nein. Das was er am wenigsten wahrhaben wollte, konnte einfach nicht wahr sein. Es musste eine andere Erklärung geben, eine andere Bedeutung als die, die er diesen Worten zuschob. Doch jedes weitere Wort, was über Stegis Lippen glitt, zerschmetterte diese Hoffnung in all seine Einzelteile. Ließ ihn mindestens so schmerzhaft zerbrechen, wie Stegi es im Moment tat.
„ Es war mein eigener Cousin, als er unter Alkohol und Drogen stand. Er hat mich an den Haaren aus dem Bett gezogen und mit dem Bauch gegen die Wand gepresst. Hat mir den Mund zugehalten und mir gedroht, dass er mir wehtun würde, wenn ich jetzt nicht mitmache oder auch nur einen Mucks von mir gebe. Zuerst hat er mich nur angegrabscht und geküsst, doch irgendwann waren seine Hände dann unter meinen Hosenbund gewandert und haben mich ausgezogen. Und dann...." Stegi stockte erneut und schluchzte unterdrückt auf. Tim war immer noch zu geschockt, um auch nur ein Wort über die Lippen zu bringen. Sein kleines Stegilein war wirklich vergewaltigt worden. Von seinem eigenen Cousin, in seinem eigenen Zimmer. Je mehr Tim versuchte das zu begreifen, desto weniger wollte er es wahrhaben. Stegi war doch noch ein Kind gewesen. Man hatte ihm sein ganzes Leben genommen und alles ruiniert. Tim liefen nur noch Tränen die Wangen hinab und er schluchzte stumm auf. Er wollte Stegi nur noch in den Arm nehmen und vor allem Unheil dieser Welt beschützen. Aber er durfte nicht und das war es, was so unglaublich schmerzhaft im Moment war, neben der Erkenntnis, das sein Freund als Kind vergewaltigt worden war. Hilfesuchende wanderte sein Blick zu Veni und Basti, die jedoch nur beide betreten auf den Boden vor sich starrten und versuchte das ganze zu verarbeiten. Tim wollte mit aller Vorsicht eine Hand nach Stegi ausstrecken, um ihm irgendwie Mut zu machen und zu beruhigen, doch er schüttelte heftig den Kopf und formte stumm das Wort bitte. Gekränkt zog er seine Hand zurück und und sah nur wehleidig zu Stegi der trotz allem noch die Worte und den Mut fand weiter zu erzählen, obwohl er pausenlos weinte und ihn jedes Wort sichtlich quälte. Ihm alles noch mal vor Augen hielt und seine Gedanken in aller Gänze füllte.
„ Ich kann mich ehrlich nicht mehr an wirklich viel erinnern. Meine Erinnerungen verschwimmen danach vollkommen. Ich hab es einfach zu sehr verdrängt und damit vergessen. Ich konnte allerdings nur vergessen, was passiert war. Die Angst blieb. So richtig an irgendwas erinnern kann ich mich erst wieder, als ich Tobi schreien gehört hab. Er war aufgewacht, weil ich vor schmerzen zu laut geweint hab. Ich bin einfach nur zusammen gebrochen, als ich losgelassen wurde und hab mich unter Schmerzen zusammengekrümmt und geheult. Als meine Mutter dann kam und mich beruhigen wollte, bin ich umgekippt und mehrere Stunden bewusstlos gewesen. Also wirklich bewusstlos und nicht nur dieses Umkippen, wie es mir jetzt passiert. Sonst müsstest du mich jedes mal wiederbeleben, wenn ich umkippe. Damals wurde ich künstlich beatmet, bis ich bin im Krankenhaus zu mir gekommen bin, umringt von Ärzten, Psychologen, der Polizei und meiner Familie. Die Psychologen haben erstmal ne Ewigkeit auf mich eingeredet, bis sie dann fast alle raus geschickt haben, um mich untersuchen zu können. Ich bin denen direkt nochmal umgekippt, als es darum ging mir einen Zugang zu legen. Was die jetzt genau gemacht haben, weiß ich nicht und ich hab auch von der Nachbesprechung recht wenig mitbekommen. So wirklich weiß ich nur, dass mir Bauch abwärts alles weg getan hat und ich mehrere Quetschungen an den Armen und am Oberkörper hatte. Ich war traumatisiert, wollte kleinen mehr an mich ran lassen. Nicht mal meine eigenen Eltern. Selbst die Ärzte waren mir zu viel. Als meine Mutter mich dann in den Arm nehmen wollte, um mir zu versprechen, dass alles wieder gut werden würde, bin ich wieder umgekippt. Ich konnte wochenlang niemanden mehr an mich ran lassen, hab mit niemandem mehr geredet. Mich einfach nur in meinem Zimmer eingeschlossen und bin nur mitten in der Nacht raus gekommen. Tobi hat dann probiert, mit mir zu reden und mich ganz vorsichtig aufzubauen. Einfach Zugang zu mir zu bekommen und mir zu Therapie zu raten. Weil das aber überhaupt nichts gebracht hat und ich bei der kleinsten Berührungen umgekippt bin, wurde ich in stationäre psychologische Behandlung gegeben. Hat nur dafür gesorgt, dass ich mehrmals umgekippt bin, unzählige Panikattacken hatte und schließlich mit Gehirnerschütterung wieder im Krankenhaus gelandet bin, weil ich mir den Kopf angeschlagen habe. Danach bin ich trotzdem weiter in Behandlung geblieben, aber nicht mehr stationär. Tobi war zu dem Zeitpunkt gefühlt der einzige, der mir nah sein durfte. Also näher als zwei Meter nah. Ich hab ihn an mich ran gelassen, weil ich ihm noch vertraut habe. Ich konnte mir bei keinem mehr sicher sein, dass er mir nicht das gleiche antut. Es war schließlich jemand aus der Familie, der mir das angetan hat. Ich war in meinen eigenen vier Wänden plötzlich nicht mehr sicher gewesen. Es hätte genauso gut jeder andere wiederholen könne. Es kam zwar wenig später zum Gerichtsprozess, jedoch nicht zu einer Verurteilung. Rauschzustand und nicht zurechnungsfähig hatte es geheißen. Natürlich waren alle stinksauer gewesen und hatten ihn aus der Familie regelrecht verbannt, nachdem rausgekommen war, was er getan hatte. Meine Cousine hatte sich daraufhin natürlich von ihm getrennt. Sie waren nicht verwandt, falls ihr fragt. Sie war aus erster Ehe meiner zugeheirateten Tante. Ich mochte sie damals unglaublich gerne, aber ich hab es in ihrer Nähe nicht mehr ausgehalten, weil ich ständig an ihn gedacht habe. Seitdem haben wir keinen Kontakt mehr. Ich hab es generell überhaupt nicht mehr bei Leuten ausgehalten, hab über zwei Jahre Schule v0n daheim vor dem Laptop gemacht, bis ich wieder dazu in der Lage war, den normalen Unterricht zu besuchen und da wurde es nicht gerade leichter für mich. Ich hatte gerade vor männlichen Lehrern ziemlich viel Angst und hab unter mehreren Panikattacken gelitten, selbst ohne Berührung. Irgendwann so schätzungsweise drei Monate danach hab ich dann Tobi erlaubt mich quasi zu therapieren. Er war jung und ich hatte bei ihm keine Angst, dass er mir sowas antun würde. Er war ja selbst nichtmal in dem Alter, wo man darüber nachdachte. Seine Art der Therapie hat angeschlagen, auch wenn es für mich purer Stress war. In der Schule hatte das natürlich die Runde gemacht, daher haben meine Eltern die Entscheidung getroffen umzuziehen und alles zurück zu lassen. Mir quasi einen Neuanfang zu ermöglichen und zu vergessen.

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