Alles vernichtender Satz

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Tim versuchte im Kopf zu behalten, was Tobi ihm gerade eingetrichtert hatte. Er setzte sich neben Stegi auf den Boden und streckte vorsichtig seine Hände nach Stegi aus.
„ Kleiner, darf ich dich in den Arm nehmen? Ich bin auch ganz vorsichtig. Keine Berührungen, die du nicht willst. Versprochen." Schluchzend nickte Stegi und krabbelte von selbst auf seinen Schoß und schmiegte sich an ihn. Behutsam verschränkte Tim seine Arme in Stegis Nacken, drückte ihn aber sonst nicht näher an sich, wie Tobi ihm geraten hatte. Jetzt einen Fehler zu machen wäre fatal, aber verdammt es tat weh Stegi jetzt nicht an sich zu drücken, oder ihm beruhigend durch die Haare zu fahren. Allgemein ihn leiden zu sehen und nichts tun zu können, war ein absolut grauenhaftes Gefühl, welches er am liebsten nie wieder fühlen wollen würde. Aber bei Stegi musste er wohl noch öfter mit diesem Gefühl zu recht kommen, obwohl er es hasste und am liebsten dafür sorgen würde, dass es niemals wieder passieren würde.
„ Bitte Tim tu mir das nicht an. Versprich es mir bitte. Behandel mich nie so.", flehte Stegi ihn mit Tränen in den Augen an. Wie denn, wenn ich nicht mal weiß, was ich nicht tun soll, wollte Tim am liebsten schreien, doch er blieb stumm. Er würde es Stegi alles versprechen und versuchen es so gut es ging umzusetzen. Egal ob Stegi ihm jemals erzählen würde, was passiert war, oder nicht.
„ Natürlich kleiner. Nur sag mir bitte, was ich nicht machen soll. Ich kann nicht in deinen Kopf rein schauen." Stegi musste anfangen zu reden. Sonst klappte das alles hier nicht. Er erwartete nicht alles, was Stegi widerfahren war und schon gar keine Details, aber klare Grenzen, was für Stegi ging und was nicht. Sonst konnte er auf Dauer nur Fehler machen und Stegi damit schaden.
„ Stegi vielleicht solltest du dich Tim gegenüber zumindest mal ein bisschen öffnen. Du konntest nichts dafür. Weder damals noch heute. Wenn noch was ist, ruf einfach an. Ich bin noch wach. Mach's gut."
„ Tobi....", Stegi stockte mit seinen Worten, wollte sichtlich noch etwas sagen, traute sich aber nicht. Nicht vor ihnen.
„ Ich würde es immer und immer wieder tun Stegi. Ich wünschte, ich wäre früher eingeschritten." Damit legte Tobi auf und ließ sie alle noch ratloser zurück. Stegi wand sich aus seinen Armen und setzte sich neben ihn auf den kalten Boden. Stegi versuchte schon wieder Abstand zwischen sie zu bringen. Zwar konnte er es verstehen, aber so konnte er Stegi doch niemals näher kommen. Stegi schloss seine Augen, als Tränen begannen seine Wangen hinab zu laufen.
„ Ich war zehn, als es passiert ist.", fing Stegi mit gedrückter, heiserer Stimme an zu reden, brach dann aber wieder ab. Er konnte es nicht aussprechen und das bedeutete das schlimmste vom schlimmsten im Moment.
„ Ich geh dann mal und lass euch alleine. Ich werd dafür sorgen, dass der Rest auch weg bleibt.", hörte er ihren Trainer hinter sich sagen und dann seine leisen Schritte im Flur verhallen. Stegi raffte sich dazu auf weiter zu reden, scheute aber vor seiner Berührung zurück, als spüre er genau, was Tim vorhatte. Stegi wollte keine beruhigenden Berührungen, von egal wem im Moment.
„ Es war das erste Silvester, bei dem ich bis zum Feuerwerk wach bleiben durfte. Tobi war mit seinen Eltern ebenfalls bei uns eingeladen, ebenso meine Großeltern und mein Cousin und meine Cousine. Wir hatten eine menge Spaß und gerade wir kleinen haben unheimlich viel Mist gemacht, aber es war toll. Das Feuerwerk zum ersten mal zu sehen war atemberaubend schön. Wir kleinen sind dann ins Bett geschickt worden, während die älteren dann langsam mal zu etwas mehr Alkohol gegriffen hatten. Wir haben nichts davon mitbekommen. So halb wach geworden bin ich dann, als jemand mein Zimmer betrat, aber es war mir egal, weil ich ja noch halb geschlafen hab. Eigentlich dachte ich nur, dass mein Cousin oder meine Cousine sich ins Bett schleichen wollten und dabei zu laut gewesen waren. Ich hätte in dem Moment schon wach werden und schreien sollen, aber ich hab es nicht getan." Stegi stoppte, wohl um die passenden Worte zu finden, um das zu beschreiben, was ihm passiert war, aber das war so nebensächlich. Sein Verstand versuchte immer noch zu begreifen, dass Stegi gerade im begriff war, ihm zu erzählen, was in seiner Vergangenheit passiert war. Passierte das jetzt wirklich? Würde er wirklich erfahren, was Stegi zu diesem berührungsscheuen Menschen gemacht hatte, der er war? Würde er erfahren, wer Stegi das angetan hatte und warum? Wollte er überhaupt wissen, welche Grausamkeit man Stegi angetan hatte und damit für immer das Bild des kleinen, ängstlichen Jungen, das er von Stegi hatte zerstören? Würde Stegi das überhaupt selbst ertragen, ihnen zu erzählen, was passiert war, oder verlor er sich in seinen Erinnerungen und brauchte dann wirklich psychologische Betreuung? Tim hatte das Gefühl zur gleichen Zeit alles richtig und falsch zu machen, sofern es ein richtig oder falsch überhaupt gab. Gefühlt wusste er gar nichts mehr. Er hatte Angst vor dem, was jetzt kam und er war sich sicher, dass er es nicht hören wollte. Aber gerade das war wichtig, um zu verstehen. Um Stegi zu verstehen und ihm besser zu helfen. Sein Blick wanderte zu Stegi, um dort ein bisschen halt zu finden. Herauszufinden, was im Moment richtig oder falsch war. Doch Stegi starrte immer noch auf den Boden, während sich Tränen aus seinem gequollenen roten Augen verirrten und auf den Boden tropften. Es bildete sich sogar schon eine kleine Pfütze unter seinem Gesicht. Stegi begann zu zittern, stärker als noch zuvor und er war sich sicher, dass er  es nicht nur die Kälte war, die Stegi langsam zittern ließ. Ee hatte Angst auszusprechen, was passiert war und er würde ihm so gerne helfen, aber er konnte nicht. Nein er durfte nicht, weil Stegi ihn blockte. Dabei würde er ihn so gerne beruhigend an sich drücken, ihn küssen und ihm versprechen, dass alles gut werden würde. Aber er konnte nicht und Stegi wollte nicht. Nicht jetzt, wo er scheinbar die richtigen Worte fand und sich seine kleinen Lippen teilten, um dieses alles vernichtenden Satz über die Lippen zu bringen. „ Ich wurde..."

Der beste Cut in der gesamten Geschichte. *Zufrieden Grinsen.

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