Kapitel XCVIII

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Anastasia

Immer noch völlig unter Schock, stand ich im Flur unseres Hauses und wartete darauf, dass der Arzt mich über Onkel Boris Zustand aufklärte.
Nachdem ich seine Wunde versorgt hatte, kam Christiano in die Kirche und half mir dabei, den Verwundeten ins Auto zu befördern. Unterwegs rief er einen Arzt an und bestellte diesen zum Anwesen. Seit einer Stunde war er jetzt in dem Zimmer und ich kämpfte gegen die aufkommende Angst in mir an, etwas falsch gemacht zu haben.
Was, wenn ich etwas verletzt hatte, während ich die Wunde zunähte?
Was, wenn ich die Naht zu fest oder zu locker angebracht habe?

Nach weiteren dreißig Minuten, kam der Doktor endlich heraus.
"Es geht ihm gut. Die Wunde wird sauber verheilen und keine Probleme machen. Sie sollten aber dennoch darauf achte, dass sich keine Infektion entwickelt." Ich nickte und stürmte in das Zimmer. Christiano folgte mir, wie ein Schatten.
Ich schätze, dass ich nach heute nicht mehr frei herum laufen werde, zumindest nicht, bis Dante wieder nach Hause kommt.
Oh Verdammt, Dante!
Ich frag mich, ob er mittlerweile von meiner kleinen Aktion erfahren hatte? Er muss außer sich sein vor Wut, selbst, wenn mir nichts passiert war.

Mein Blick folg zu dem Bruder meines Vaters, welcher in dem Gästebett lag. Er sah ziemlich gut aus, zumindest für jemanden, der gerade in einer Kirche provisorisch zusammengenäht wurde.
"Wie geht es dir?" Ich näherte mich seinem Bett und setzte mich an das Ende.
Obwohl ich diesmal versucht hatte, alles richtig zu tun, lief es schief. Ich hatte es sogar geschafft, noch mehr Menschen in Gefahr zu bringen.
Die Schuldgefühle in meinem Inneren drängten sich wieder an die Oberfläche und ich kämpfte mit den Tränen.
Verdammt! Diese dummen Schwangerschaft Hormone machten mein Gefühlschaos nur noch unerträglicher.

"Es geht mir gut. Die Kugel hat nichts lebenswichtiges getroffen und du hast einen guten Job gemacht, als zu mich zu nähtest. Es wird alles wieder gut."
Ich nickte und umfasste sein Bettlacken. Der Gedanke, ich hätte ihn verloren und dann auch noch nur meine eigene Dummheit, war unvorstellbar. Onkel Boris war immer in Teil meines Lebens und ich war noch nicht bereit, diesen los zulassen.
"Ich lass dich dann mal ein wenig schlafen." Er brauchte jetzt Ruhe und die brauchte ich auch.

Ich streifte durch das Haus, bis ich im Wohnzimmer ankam und mich auf dem Sofa niederließ. Die Anspannung der letzten Stunden viel von mir ab und brachte den Damm, welchen ich so mühsam in mir aufgebaut hatte. Tränen kullerten meine Wangen hinunter und ich fing an zu schluchzten. All der Frust sprudelte aus mir heraus und ich ließ es gewähren.
Ich brauchte es!
"Ist alles in Ordnung?" Mein Ausbruch wurde von einer bekannten Stimme unterbrochen. Ich hob den Blick und sah Beatrice am Eingang des Raumes stehen.
Ich konnte ihr ansehen, dass sie unschlüssig darüber war, ob sie näher treten sollte.
"Ist was mit deinem Onkel? Ich dachte der Arzt hat gesagt, er wird wieder gesund?!?"
Sie klang aufrichtig, als würde sie sich wirklich um ihn und mich sorgen.
Ich nickte und wischte mir die Tränen vom Gesicht.
"Ja, es geht ihm gut. Ich hab nur etwas die Nerven verloren."

Ohne ein Wort zu sagen, ging sie aus dem Wohnzimmer und ließ mich perplext zurück.
Es dauerte nur ungefähr eine Minute, bis sie mit einem Glas Wasser in der Hand zurück kam.
Sie reichte es mir und ich nahm es dankbar entgegen.
Nach ein paar Schlucken spürte ich, wie mein Organismus sich beruhigte. Mein Puls senkte sich, die Tränen versiegten und auch meine Nerven kribbelten nicht mehr.
"Danke."
Sie nickte mit dem Kopf und setzte sich dann auf den Platz, mir gegenüber. Mein Blick fixierte sie kurz, ehe ich das Glas Wasser wieder an meine Lippen setzte. Ich wurde einfach nicht schlau aus diesem Mädchen.
Vielleicht hatte ich es geschafft, ihren inneren Eisberg zum schmelzen zu bringen?
Möglicherweise war sie nicht so, wie ich sie zunächst beurteilt hatte?

Unser Gespräch konzertierte sich danach auf ihre Hochzeitsvorbereitungen. Wobei, Gespräch wäre vielleicht etwas zu viel gesagt. Eigentlich sprach sie die meiste Zeit, während ich ihr knappe Antworten ab. Sie fragte mich nach meiner Hochzeit mit Dante, doch da ich diese nicht selbst geplant hatte, konnte ich ihr nicht wirklich weiter helfen. Ich verstand auch nicht recht, wieso sie dieses Thema gerade jetzt hervorbrachte?
Es könnte daran liegen, dass sie als zukünftige Braut an nichts anderes dachte, oder aber sie versuchte mich abzulenken. Beides war ihr, trotz der jetzigen Umstände, nicht vorzuwerfen. Sie konnte weder dabei helfen Isabella zu finden, noch meinem Onkel dabei gesund zu werden.
Und sie gehörte sicher nicht zu den Menschen, die ihre Probleme hinter denen von anderen stellten. Auch, wenn sie anfing sich etwas zu ändern.
Jedoch konnte man nicht alles auf einmal haben, richtig? Sie zu ändern braucht Zeit und vor allem den Willen es zu tun. Ich hoffe wir hatten beides um es zu tun, denn so gefiel sie mir viel besser.

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