Seit einer Stunde starrte ich jetzt auf den Bildschirm und hörte mir pausenlos die Aufnahmen von dem Gespräch zwischen meinem Vater und Onkel Boris an.
Ich hatte alle Beweisstücke vor mir auf dem Tisch ausgebreitet, das Gedicht vom Grab meiner Mutter, den Brief aus ihrem Parfum, das alles lag vor mir und forderte mich förmlich dazu auf, die Puzzleteile zusammenzusetzten. Doch ich konnte den roten Faden einfach nicht erkennen.
Also entschied ich mich dazu, meine Aufmerksamkeit auf eine Sache zu lenken.
Ich fokussierte mich wieder auf mein Gehör und auf das, was die Aufnahmen erzählten.
Ich war mir sicher, dass sich dort die Lösung versteckte, wieso sollte jemand sie mir sonst zuschicken?
Ich spielte sie immer wieder in der Reihenfolge ab, in welcher sie mir zugeschickt wurden.
Bei den Wutausbrüchen meines Vater, stellte ich die Lautstärke leiser, da mir seine Stimme bereits in den Ohren klingelte.
Ich war bereits bei der dritten Rund des Abhörens angelangt, doch war immer noch nicht schlauer.
Die Gespräche teilen mir keine neuen Informationen mit. Es ging nur um den territorialen Streit zwischen meinem Vater und den Serben.
Doch obwohl ich den Inhalt bereits auswendig kannte, spulte ich nicht vor, sondern hörte mir jedes Wort wieder und wieder an.
Und dann erklang die Stimme meiner Mutter. Und so, wie die Freude darüber mein Herz schneller schlagen ließ, so stoppte die Verzweiflung in ihrer Tonlage ihn wieder. Sie wollte das mein Vater aufhört, dass Onkel Boris ihn aufhält, doch das schaffte er nicht.
Vielleicht sollte ich genau dort anfangen. Herausfinden was mein Vater vorhatte, dass sich sogar meine Mutter einschaltete.
Doch wie sollte ich das tun? Ich kann das genau Datum der Unterhaltung nicht, wusste nicht über welche Zeit sie sprachen. Mir fielen noch so viele Information und ich konnte nicht einmal erahnen, woher ich sie bekommen sollte.
Frustriert klappte ich meinen Laptop zu und sah mir das Gedicht und den Brief an. Das Gedicht hatte mich zu dem Brief geführt, wieso ich nicht davon ausging, dass es weiter interessant sein würde. Demnach blieb nur noch der Brief.
Meine Augen flogen über die Zeilen, doch auch hier fand ich nichts, was ich nicht vorher schon gesehen hatte.
Wer auch immer hinter dieser Schnipsel Jagd steckte, wie kam er darauf, dass ich aus all diesem Chaos irgendetwas verstand.
Sofern das überhaupt sein oder ihr Ziel war.
Moment mal, vielleicht war genau das der Punkt, welchen wir übersahen.
Die Person, welche mir all diese Dinge schickte, ging davon aus, dass ich damit etwas anfangen konnte.
An mich wurden diese Nachrichten geschickt, nicht an meinen Vater, oder Onkel Boris, nicht einmal an Ivan.
Sondern ausgerechnet ich!
Also entweder vertrauten sie den anderen Petrovs nicht, oder aber die Person ging davon aus, dass ich es verstehen würde.
Dies bedeutete aber, dass wir nach jemanden suchten, der mich kannte.
Wusste wie ich war und dachte.
Dieser Gedanke setzte sich in meinem Verstand fest und ich war mir sicher, dass ich mit dieser Erkenntnis auf der richtigen Spur war.
Ich schrieb diese Notiz auf die Skizze, welche ich vor ein paar Monaten angefertigt hatte.
Neben dem Zeitstrahl über die Entführung durch die Serben, den Tod meiner Mutter und den Informationen, welche ich von Vlad über die Zeit danach hatte, platzierte ich auch diesen Punkt.
Ich kreiste ihn ein und ließ ein großes Fragzeichen dahinter stehen. Sobald Dante mit seiner Arbeit fertig war, würde ich ihm von meiner Erkenntnis berichten.
Möglicherweise könnte mir seine Sicht helfen, den Personenkreis noch weiter einzugrenzen.
Gerade als ich fertig war, klopfte es an der Tür.
"Herein." Ich legte alle Unterlagen sorgfältig zur Seite und drehte mich dann zur Zimmertür um.
Amelia stand vor dem Türrahmen und sah mich wartend an.
Ich tat es ihr nach und hob genervt die Augenbrauen. Worauf wartet sie? Dass ich nach ihrem Wohlbefinden fragte? Wohl kaum!
Wir starrten uns an und es schien so, als wenn keiner das Schweigen zuerst brechen wollte, doch dann gab sie nach.
"Seniora Martinelli schickte mich nach ihnen. Sie wartet im Wohnzimmer auf sie."
Nickend stand ich auf und folgte ihr die Treppe hinunter.
Wie sie gesagt hatte, wartete Letizia im Wohnzimmer auf mich.
"Komm herein, setzt dich." Dantes Großmutter zeigte auf den den Stuhl neben sich. Ich folgte ihrer Bitte und nahm platz.
Vor uns stand ein Couchtisch aus Glas und da drauf lag ein braunes Lederbuch.
"Seniora, kann ich sonst noch was für sie tun?" Amelia lächelte Letizia an und ich könnte schwören, dass sie bereit war ihr die Füße zu waschen, wenn diese es verlangen würde.
"Nein, du kannst gehen."
Amelia verneigte sich leicht und ließ uns dann alleine.
Während ich Amelia noch mit dem Blick nach draußen verabschiedete, ergriff Letizia erneut das Wort.
"Ich denke du möchtest wissen, wieso ich dich erneut um ein Gespräch gebeten hatte."
Gebeten? So nett sie das, wenn sie mich aus meinem Zimmer holt. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass sie mir jemals eine Wahl gelassen hatte.
"Als Frau des Dons hast du die Pflicht dich in der Familiengeschichte auszukennen. Du musst die Vorgänger deiner Mannes kennen. Ihre Entscheidungen, ihre Beschlüsse aber viel wichtiger, ihr Leben. Die Geschichte heckt oft die Antworten auf die Fragen, welche wir in der Gegenwart oder Zukunft haben. Ein Blick in die Vergangenheit kann uns viele Türen öffnen, Fehler vermeiden und vor allem ein Wegweiser sein. Und genau aus diesem Grund musst du sie kennen."
Ihre Worte hatten viel wahres, doch ich verstand immer noch nicht, wieso ich?
Ja, ich war Dantes Frau und mein Platz war an seiner Seite, doch wie sollte ich mit dem Wissen der Vergangenheit Fehler verhindern?
Sollte nicht lieber Vlad diese dinge lernen? Ich meine er war sein SIC, sein Ratgeber.
"Dem Fragezeichen auf deinem Gesicht nach hast du noch nicht verstanden, was die Rolle einer Frau in Wirklichkeit ist. Dein Mann mag einen Cape haben, einen ganzen Rat an erfahrenden und weisen Männern, doch in kritischen Moment wird er immer zu dir kommen. Er wird seine Probleme mit dir besprechen, bewusst oder unbewusst wird er deinen Rat suchen. Männer denken immer, dass sie die Macht haben, doch was denkst du was für eine Kraft die Frau hinter diesem starken Mann hat."
Eine solch feministische Ansprache hatte ich von ihr gar nicht erwartet. Ich dachte diese konservative Frau wurde mich jetzt darüber aufklären, dass eine gute Don Ehefrau den Haushalt zuschmeißen hat und auf die Kinder achtgeben soll.
Doch dann fing sie an über die Macht zusprechen, welche eine Frau hatte und, dass sie die Anlaufstelle für seine Probleme war.
Ich war verwundert und überrascht zugleich.
Letizia öffnete die erste Seite des Buches und ermöglichte mir einen Blick in die Martinelli Familiengeschichte.
"Dann fangen wir an."
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Ace of Hearts II
RomanceBand II -Eine Welt voller Geheimnisse, ungelöster Tode und anonymen Nachrichten- Anastasia hat ihre Familie zurückgelassen, um den Mann, den sie liebt zu retten und einen hohen Preis dafür gezahlt, doch eine Lektion steht ihr immer noch bevor. Egal...