Kapitel LXXXIV

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Bevor ich es mir anders überlegen konnte, beschleunigte ich meine Schritte.
"Amore?!" Dante versuchte meinen Arm zu fassen, doch ich hatte die Tür bereits erreicht.
Meine Hand legte sich auf die Klinke und mein Inneres brodelte. Alle meine Gefühle sammelten sich an einem Ort und ich spürte wie der Zorn die Überhand nahm.
Die Erkenntnisse, welche ich in den letzten Tagen erhalten habe spuckten in meinem Verstand herum und ließen nicht klar denken.
Ich wollte Antworten, aber nicht auf meine üblichen Fragen, denn die hatte ich bereits, nein ich wollte wissen wieso!
Wieso war mein Leben so verdammt verkorkst.
Wieso hatte ich einen Vater, der nur sich selbst liebte?
Wieso tat mir das Schicksal so etwas an?

Ich drückte die Tür mit einem starken Schwung auf und trat mit einem Schritt hinein. Ein kleines Licht leuchtete in dem Zimmer und ich suchte das Innere mit den Augen ab. Der Raum war ähnlich aufgebaut wie das Zimmer, indem ich vor der Hochzeit gelebt hatte. Ich ließ den Blick weiter schweifen und erkannte eine Gestalt in der Ecke. Die Person saß in einem Sessel und las ein Buch.
Eigentlich hatte ich damit gerechnet ihn schlafend vorzufinden, doch mein Onkel nutzte die späten Stunden um sich zu belesen.
Was für ein Scheiß?!
Meine Welt geht gerade unter und er steckt seine Nase in ein Buch!
Diese Tatsache machte mich noch wütender.
Boris Petrov hatte endlich meine Anwesenheit bemerkt und hob seinen Blick.
"Anastasia? Ist etwas passiert?" Er legte das Buch zur Seite und stand auf.
"Erzähl mir alles!"
Das schuldete er mir. Er kam her, um genau das zu tun, also sollte er das jetzt auch machen.
"Kind, ich denke nicht, dass die Uhrzeit geeignet ist ein solches Gespräch zuführen."
Wieder weichte er mir aus. Schob es auf die Uhrzeit, dabei wussten wir beide, dass er einen anderen Grund hatte.

Dante trat an mich heran und stand dicht hinter mir. Ich konnte seine Brust an meinem Rücken spüren und auch sein Parfum einatmen. Er legte mir eine Hand auf die Schulter, sichtlich um mich zu beruhigen, doch es half nicht. Ich bebte!
"Mir ist egal wie spät es ist oder ob du bereit bist darüber zu reden!"
Ich machte einen weiteren Schritt auf ihn zu und Dantes Hand fiel von meiner Schulter. Obwohl er mich nun nicht mehr berührte, konnte ich seinen Blick immer noch auf mir spüren.
"Ich weiß, dass Papa eine Blutschuld verursacht hat, als er die Mutter der Kovacs in die Luft sprengte. Sie forderten von ihm diese Schuld ein und lieferte sie aus. ER GAB SIE IHNEN EINFACH!" Ich schrie und Tränen flossen mir in Form eines Flusses herunter.

Eine Stille breitete sich zwischen uns aus und die Augen meines Onkel nahmen die Form von Untertassen an.
"Wie? Woher weißt du das von deinem Vater?"
Auch wenn sein Gesicht einen deutlichen Schock zeigt, so war seine Stimme dennoch ruhig, zu ruhig.
"Fabio Martinelli hatte die Freundlichkeit mich aufzuklären. Seltsam oder, dass gerade ein Martinelli mehr über die Geheimnisse meiner Familie weiß, als ich." Ich war so auf meinen Onkel fokussiert, dass ich meinen Mann ganz vergaß.
"Amore, was sagst du da?" Er trat näher und stellte sich neben mich. Er drehte mich zu sich und hielt mich an den Schultern fest.
"Was hat diese Ratte dir erzählt?" Verdammt, natürlich war diese Information neu für ihn. Er war nach unserem Gespräch in den Raum gestürmt und hatte den Hauptteil verpasst.

"Das kann nicht sein, das würde er nicht tun." Onkel Boris murmelte etwas vor sich hin und fing an, auf und ab zu gehen.
Meine Blicke wechselten von Dante zu meinem Onkel und ich fühlte mich wie bei einem Tennis Turnier. Mein Mann stand wie angewurzelt stehen und gab sich seinen Gedanken hin.
Sollte nicht ich diejenige sein, die Antworten bekommt? Wieso grübelten sie beiden jetzt vor sich her?
Was übersah ich?
"Ich bringe diesen Bastard um." Wie vom Blitz getroffen drehte sich Dante um und rannte aus dem Raum.
"Was geht hier verdammt nochmal vor sich?"
Ich wusste nicht wen von den beiden ich zuerst zur Rede stellen sollte, aber da Dante bereits weg gelaufen war, konzentrierte ich mich auf Boris.
"Rede endlich!" Ich ging zu dem Sofa am anderen Ende des Zimmers herüber und ließ mich darauf fallen.
Onkel Boris sah mich einige Sekunden an, ehe er zu mir herüber kam und sich in seinen Sessel setzte. Er lehnte sich zurück und schlug ein Bein über das andere.
Sein Blick traf meinen und ich spannte mich noch etwas an. Neugier und Angst mischten sich in meinem Verstand und ließen meinen Körper gefrieren.
Onkel Boris nahm einen tiefen Atemzug und ich bereitete mich vor.

"Ich denke nicht, dass ich dir jetzt etwas neues erzählen werde, da du bereits alles weißt, doch ich kann eine rote Linie hinzufügen und alles an seinen Platz stellen." Ich nickte und bat ihn damit anzufangen.
"Es fing vor einigen Jahren an, als die Kovac Familie ihren Einfluss in Serbien ausweitete und versuchte uns vom Markt zu vertreiben. Zur selben Zeit verschlechterte sich unsere Beziehung mit den Martinellis. Du weißt, dass wir mit den Italienern immer verfeindet waren, doch Jahrelang lebten wir ohne offene Konflikte. Dein Vater bekam Angst, dass sich seine Feinde verbünden würden und ihn aus dem Geschäft drängen. Er wurde paranoid und verdächtigte alles und jeden. Er fing an die serbische Versorgungslinie mehr zu überwachen und terrorisierte die Familie Kovac."
Er machte eine kurze Pause und sah mir direkt in die Augen. Ich höre ihm aufmerksam zu, da ich nichts von all dem mitbekommen hatte.
"Er schirmte sie von der Außenwelt ab und schaffte für sie unmögliche Umstände um selbst zu handeln. Nach einigen Monaten hatte er die Kovacs zu weit zurückgedrängt, dass sie sich selbst bedroht fühlten und angriffen. Es kam zu einigen Übergriffen auf unsere Lieferungen und wir fühlten uns gezwungen ein Gespräch mit ihnen zu suchen. Sie verlangten von deinem Vater, dass er ihnen ein Gebiet in Serbien übergibt und ihnen einen autonomen Handel gewährt."
Ich kannte die Antwort auf diese Forderung bereits, denn wenn ich richtig lag, dann ging es in den Audioaufnahmen genau darum.
Jedoch unterbrach ich ihn nicht, er sollte seinen Redefluss nicht verlieren.
"Natürlich ließ sich Wasili nicht darauf ein. Er wollte weder Verhandlungen führen, noch war er bereit auch nur einen Zentimeter seines Gebietes abzutreten. Er hatte einen anderen Plan."
Ich schloss meine Augen. Ich wusste, dass mein Vater kein guter Mensch war, doch die letzten Monate zeigten mir, was für ein Monster er war.
"Er wollte die komplette männliche Seite mit Hilfe einer Autobombe in die Luft sprengen." Maschinell fing ich an zu nicken, da ich diesen Teil der Geschichte ebenfalls bereits kannte.
"Die Bombe tötete jedoch nur die Mutter und verwundete einen der Söhne, sodass die anderen die Blutschuld einforderten. Sie teilten uns auf blutige Art uns Weise mit, dass sie entweder deine Mutter wollten, oder aber das Gebiet."
Mein Onkel atmete zitternd ein und auch ich bekam eine Gänsehaut.
"Ich versuchte Wasili zu überreden, ich flehte ihn an ihnen das Gebiet zu geben, doch er lenkte nicht ein. Er entschied sich dazu deine Mutter zu opfern."
Mein Blick wanderte zum Boden und ich versuchte eine Träne zu unterdrücken. Meine Atmung wurde schneller und ich umfasste das Polster des Sofas.
"Deine Mutter wusste, dass Wasili sich nicht umstimmen lässt und, dass sie bald sterben wird. Ich musste ihr versprechen euch nichts zu erzählen. Sie bat deinen Vater um einen Tag mit euch, bevor er sie übergibt und er willigte ein. Sie wollte mit dir und Ivan an dem Tag in den Park und an den See fahren um eure Kindheitserinnerungen noch einmal zu durchleben. Doch auch hier ließ dein Vater den Wunsch deiner Mutter nicht in Erfüllung gehen und zog Ivan ab. Er schickte in nach Sibirien um eine Lieferung entgegen zu nehmen. Ich erfuhr erst später, wieso er das tat, ansonsten hätte ich eingegriffen."
Er sprach von dem Tag unserer Entführung. Ivan hatte mir erst vor einigen Monaten erzählt, dass er ebenfalls mit kommen sollte, doch Vater ihn kurzfristig wegschickte.
"Wieso ging sie mit mir dann in die Galerie?"
Boris sagte doch, dass sie mit uns in den Park gehen wollte? Also wieso die Änderung?
"An dem Tag hattest du so schlechte Laune, dass sie dich aufmuntern wollt. Als sie erfuhr, dass Ivan weggefahren war, sah sie keinen Sinn darin eure Zeit im Park zu vergeuden, sondern wollte noch einmal den Ort sehen, den sie am liebsten hatte und zwar mit dir."
Ja, jetzt ergab das Sinn. Der Ort, welchen meine Mutter kurz vor dem Tod besuchen wollen würde, war die Galerie.
Meine Gedanken rasten. Ich konnte nicht begreifen, ob es meine Schuld war oder nicht. Hatte meine schlechte Laune ihr den Tag verdorben? Hab ich ihren letzten Wunsch zerstört?
Jetzt verstand ich, wie undankbar Kinder in Wirklichkeit waren.

"Wie ging es weiter." Ich brauchte die ganzen Einzelheiten.
"Du weißt bereits, dass dein Vater deine Mutter opferte und, dass er euren Standort an die Kovacs weitergab und damit deiner Mutter auch noch ihren letzten Tag nahm." Er sah mich an und ich konnte Mitleid darin ausmachen. Ich musste den Blick abwenden, um nicht wieder zu weinen.
"Als wir von eurer Entführung erfuhren suchten wir alles ab. Ivan kam sofort zurück und zusammen mit Vlad machten sie sich daran euren Standort auszumachen. Dein Vater erzählte jedem, dass ihr von den Kovacs entführt wurden, weil sie ihn erpressten. Sie wollte Geld, weil sie wegen ihm keine Geschäfte mehr machen konnten. Timur tat sein bestes um herauszufinden, wo ihr wart, doch alle Spuren führten ins Nichts. Erst nach einigen Tagen bekamen wir einen Tipp und fanden euch..."
Er machte wieder eine Pause, ehe er sich korrigierte.
"..dich."
Ich schluckte.
Mein Verstand wollte die Bilder von der Entführung wieder hochbringen, doch ich verdrängte sie. Ich muss fokussiert bleiben.

Nach einigen Augenblicken hatte ich mich wieder so weit im Griff, dass ich einen wichtigen Gedanken fassen konnte.
"Und woher wusste Fabio davon?"





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