vergessen

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16:34

Am nächsten Tag flogen wir zurück nach Ludwigshafen. Jamal hatte sein Auto im Parkhaus des Flughafens geparkt, damit wir nicht seine Freunde anrufen mussten, um uns abzuholen. Als wir endlich wieder auf deutschem Boden standen und ins Auto stiegen, war ich einerseits froh, andererseits ein wenig traurig, dass unser Urlaub vorbei war.

"Endlich, mein Baby" sagte er und meinte damit sein Auto.

Ich musste lachen und er grinste. Jamal startete den Motor und fuhr los. Die Fahrt war zuerst ruhig, und wir genossen die Stille nach all den aufregenden Tagen in Madrid.

"Wie haben deine Eltern überhaupt zugelassen, dass du mit mir nach Madrid fliegst?" fragte Jamal plötzlich, und ich lachte nervös.
"Ähm... na ja," begann ich zögernd.
"ich hab ihnen gesagt, dass ich mit der Uni weg bin."

Jamal warf mir einen skeptischen Blick zu.

"Du hast gelogen?"
"Ja, aber was hätte ich sonst tun sollen?" erwiderte ich defensiv.
"Sie hätten es niemals erlaubt."

"Und haben sie immer noch keine Ahnung, dass du durchgefallen bist?" fragte er weiter, seine Stimme klang besorgt.

Ich schüttelte den Kopf.

"Nein, sie wissen es nicht. Willkommen zurück im Alltag."

Er seufzte und fuhr weiter.

"Jiyan, das ist nicht okay. Was, wenn der Urlaub schiefgegangen wäre? Das ist eine große Sache. Du kannst deine Eltern nicht so anlügen."

Seine Worte trafen mich wie ein Schlag, und ich fühlte mich sofort angegriffen.

"Wirklich, Jamal? Du wirst jetzt moralisch? Du hast doch keine Ahnung, wie meine Eltern sind!"

Er seufzte genervt und versuchte, ruhiger zu klingen.

"Ich will dir nicht zu nahe treten, aber es wäre besser gewesen, wenn du ehrlich gewesen wärst. Was, wenn etwas passiert wäre?"

Ich fühlte, wie meine Wut aufstieg.

"Es ist doch nichts passiert. Warum musst du immer das Negative sehen?"

Er blieb ruhig, obwohl ich sehen konnte, dass ihn die Situation nervte.

"Jiyan, ich mache mir nur Sorgen um dich. Das ist alles. Ich will, dass du sicher bist."

Ich verschränkte die Arme vor der Brust und starrte aus dem Fenster.

"Ich bin sicher, okay? Ich weiß, was ich tue."

Wir fuhren schweigend weiter, die Spannung im Auto war greifbar. Schließlich seufzte Jamal tief.

"Es tut mir leid, wenn es so rüberkam, als würde ich dich angreifen. Ich wollte nur, dass du verstehst, dass Ehrlichkeit wichtig ist."

Ich entspannte mich ein wenig und nickte.

"Ich weiß, dass du es gut meinst. Es ist nur... kompliziert."
"Ich verstehe," sagte er leise.
"Wir schaffen das schon."

Als wir bei mir zu Hause ankamen, hielt Jamal vor dem Haus, wir stiegen aus und er sah mich an.

"Wenn du Hilfe brauchst, mit deinen Eltern zu reden oder so... ich bin da."

Ich lächelte schwach und nickte.

"Danke, Jamal. Das bedeutet mir viel."

Er holte mein Koffer aus dem Kofferraum und ich bedankte mich. Er zog mich in eine Umarmung und küsste mich auf die Stirn.

"Ruf mich an, wenn du was brauchst, okay?"
"Mach ich," versprach ich.
"Ich vermisse dich jetzt schon" sagte er leise und küsste mich wieder auf die Stirn.
"Sei nicht so dramatisch" sagte ich grinsend und provokant.
"Es hat gut getan wegzufliegen. Ich fühle mich wie ein neuer Mensch" ignorierte er mein Kommentar.
"Mein Herz" ich schaute zu ihm hoch und machte ein Kussmund, woraufhin er mich sanft küsste.

Wir verabschiedeten uns danach und er stieg wieder ins Auto.
Ich sah ihm nach, wie er davonfuhr, und wusste, dass es nicht einfach werden würde, meinen Eltern die Wahrheit zu sagen. Aber ich war dankbar, dass ich jemanden wie Jamal an meiner Seite hatte, der mich unterstützte, auch wenn er manchmal unbequeme Wahrheiten aussprach.

Als ich durch die Tür trat, wurde ich von meinen Eltern freudig begrüßt. Die Umarmungen und die warmen Worte ließen mich für einen Moment die Last der letzten Tage vergessen. Doch je länger ich bei ihnen war, desto mehr fühlte ich mich schuldig, dass ich sie belogen hatte.

"Wie war es im Ausland, Jiyan?" fragte meine Mutter mit einem Lächeln, das jedoch schnell verblasste, als ich ihre Fragen mit vagen Antworten entschuldigte.

Ich atmete tief durch und setzte mich ihnen gegenüber.

"Es gibt etwas, das ich euch sagen muss," begann ich, meine Stimme zitterte leicht.
"Ich bin durchgefallen. Ich kann das Semester nicht wiederholen und werde einen anderen Studiengang suchen müssen."

Ein Schweigen legte sich über den Raum. Meine Eltern schauten mich mit einer Mischung aus Unglauben und Enttäuschung an. Schließlich lachte mein Vater spöttisch auf.

"Alles umsonst," murmelte er.
"Wir haben uns so viel Mühe gegeben."

Die Reaktion meiner Eltern war schockierend. Sie waren enttäuscht, und die Atmosphäre war schwer von Vorwürfen und Missmut. Meine Mutter begann, mit scharfer Stimme zu sprechen.

"Du kannst keine Verantwortung übernehmen. Du hast dich nie wirklich angestrengt zu lernen. Wir haben alles aufgegeben, unser Leben im Irak, den Krieg, um dir hier eine Zukunft zu ermöglichen. Und was machst du daraus?"

Ihr Ton war hart und voller Enttäuschung.

"Wir haben so viel aufgegeben," fuhr sie fort.
"und wir haben uns hier in Deutschland so viel Mühe gegeben, damit du eine gute Zukunft hast. Und jetzt enttäuschst du uns so sehr. Wir haben große Opfer gebracht, und wir haben uns erhofft, dass du uns eines Tages aus dieser Gegend herausbringen würdest."

Mein Vater sprach dann, und ich konnte die Enttäuschung in seiner Stimme hören.

"Wir haben uns immer auf dich verlassen. Wir haben so viel von dir erwartet. Und du machst nichts daraus."

In diesem Moment erstarrte ich. Die Worte meiner Eltern trafen mich hart. Ich hatte in meiner Besessenheit, meinen eigenen Weg zu finden, vergessen, woher ich kam und wofür ich das alles tat. Ich hatte immer alles für das Lächeln meiner Eltern gemacht. Ihr Stolz war mein Antrieb gewesen, und ihr Lächeln war der Grund, warum mein Herz schneller schlug.

Ich fühlte mich wie in einem Albtraum, als ich realisierte, wie sehr ich sie enttäuscht hatte. Sie waren immer meine Motivation gewesen, und ich hatte sie aus den Augen verloren. Wie konnte ich nur vergessen, wofür ich kämpfte? Sie hatten so viel für mich aufgegeben und erwarteten, dass ich ihnen etwas zurückgab.

Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, als ich sagte: "Es tut mir leid. Ich habe alles falsch gemacht. Ich werde alles tun, um es wieder gut zu machen. Ich möchte, dass ihr stolz auf mich seid. Ich werde nicht vergessen, wo ich herkomme und für wen ich das tue."

Meine Mutter sah mich an, ihre Augen gefüllt mit Tränen, aber auch mit einem Funken Hoffnung. Mein Vater nickte langsam, seine Enttäuschung war noch spürbar, aber ich konnte sehen, dass er mir eine Chance geben wollte.

In diesem Moment schwor ich mir, dass ich es wieder gutmachen würde. Ich durfte nicht vergessen, woher ich kam und was meine Eltern für mich getan hatten. Sie zählten auf mich, und ich würde alles in meiner Macht Stehende tun, um ihnen zu zeigen, dass sich ihre Opfer gelohnt hatten.

in meiner Welt Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt