Kapitel 36

3.9K 426 195
                                    


„Was verstehst du nicht daran, wenn eine Frau das nicht möchte, huh?!"

Die Worte hallten durch den Raum, durchdrangen die Stille wie eine Explosion. Mein Körper reagierte sofort, bevor mein Verstand überhaupt realisierte, was gerade passierte. Diese Stimme. Diese tiefe, raue Stimme, die mir einmal so vertraut war, als hätte sie in meinem Herzen ein unauslöschliches Echo hinterlassen.

Ich hob den Kopf und mein Atem stockte. Mein Herz begann zu rasen, als ich die Silhouette des Mannes erkannte, der Fernando auf dem Boden festhielt. Sekunden vergingen wie Stunden, in denen meine Gedanken einander jagten, unfähig zu begreifen, was sich vor meinen Augen abspielte.

„Enzo..." flüsterte ich, kaum mehr als ein Hauch, aber es reichte aus, um die Spannung im Raum zu verdoppeln. In der Sekunde, in der mein Flüstern den Raum füllte, erstarrte sein ganzer Körper. Es war, als hätte die Zeit selbst aufgehört zu fließen. Seine breiten Schultern spannten sich, die Muskeln unter seinem
Pullover verhärteten sich, und er verharrte in einer Bewegung, die durch die unerwartete Wirkung meiner Stimme ausgelöst wurde.

Ich konnte sehen, wie seine Hand, die immer noch Fernandos Kragen umklammert hielt, sich unmerklich verkrampfte. Er hatte meine Stimme erkannt. Nach all der Zeit. Nach all den Jahren. Es war, als wäre dieser Moment in Stein gemeißelt, als hätte die Welt den Atem angehalten, während die Vergangenheit in all ihrer Härte und Intensität zwischen uns aufstieg.

Enzo drehte sich langsam zu mir um, sein Blick war intensiv, wie ein Sturm, der nur darauf wartete, loszubrechen. Seine dunkelblauen Augen trafen meine, und es war, als würde eine unsichtbare Macht uns miteinander verbinden. Die Zeit, die uns getrennt hatte, war in diesem Augenblick bedeutungslos.

Doch es war keine Freude, die ich in seinem Blick sah. Es war Wut. Reine, unverfälschte Wut, die sich mit Unglauben vermischte und mir das Gefühl gab, als würde der Boden unter meinen Füßen beben.

„Aurora..." Seine Stimme war rau, fast ein Knurren, und doch lag in ihr eine Zärtlichkeit, die mich erschüttern ließ. Seine Stimme war leise, aber geladen mit so viel Ungesagtem, dass ich Mühe hatte, den Druck in meiner Brust zu ertragen.

Doch bevor ich etwas sagen konnte, drehte sich Enzo zu Fernando um, der sich gerade mühsam aufrappelte. Ohne zu zögern, schlug Enzo auf ihn ein, als ob all seine angestaute Wut, seine Frustration der letzten Jahre mit jedem Schlag explodierte. Seine Fäuste trafen Fernando immer wieder, mit einer Präzision und Wucht, die mich schockiert erstarren ließ.

Ich beobachtete, wie Enzos Augen sich dunkel verfärbten, als ob ein Schalter in ihm umgelegt worden war. Es war, als wäre er in einen Rausch verfallen, unfähig, seine Wut zu kontrollieren, und Fernando war das Ventil, das all seine unterdrückten Emotionen aufbürdete. Jeder Schlag ließ Fernandos Gesicht blutiger werden, seine Lippen platzten auf, und seine Augen weiteten sich vor Schmerz und Angst.

„Enzo! Enzo, hör auf!", rief ich, meine Stimme war ein Zittern aus purer Panik. Ich sprang auf, meine Beine fühlten sich wie Wackelpudding an, doch die Angst in mir verlieh mir genug Kraft, um mich ihm zu nähern. Meine Hände zitterten, als ich seine Faust packte, die gerade zum nächsten Schlag ausholte. Meine Finger klammerten sich an seine angespannte Hand, verzweifelt in der Hoffnung, ihn zu erreichen.

Und dann geschah es. In der Sekunde, in der ich ihn berührte, hielt er inne. Es war, als hätte meine Berührung eine unsichtbare Macht über ihn ausgeübt, die ihn plötzlich in die Realität zurückholte. Sein Körper erstarrte, jeder Muskel schien sich anzuspannen, als ob er gegen einen inneren Sturm ankämpfen würde. Der Raum war von Stille erfüllt, nur unterbrochen durch Fernandos keuchendes Atmen.

Enzo blieb regungslos. Er sah nicht zu Fernando, nicht zu mir – sein Blick war leer, als ob er sich von dem, was gerade geschehen war, erst erholen musste. Ich spürte, wie sein Arm unter meiner Hand leicht zitterte, als die Wut langsam von ihm abfiel, aber seine Atmung war immer noch tief und unkontrolliert, als hätte er Schwierigkeiten, wieder klar zu denken.

Dark PassionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt